Rizin
Synonym: Ricin
Englisch: ricin
Definition
Rizin ist ein hochtoxisches Lektin, das aus den Samen des Wunderbaums (Ricinus communis) gewonnen werden kann.
Geschichte
Bereits 1887 wurde festgestellt, dass es sich beim Gift der Samen des Wunderbaums um ein Protein (Toxalbumin) handeln muss. Von Stillmark, der die Samen 1888 im Rahmen seiner Dissertation an der Universität Dorpat (heute Tartu, Estland) untersuchte, stammt die Bezeichnung Rizin. Ihm gelang es, sehr reines Rizin darzustellen und seine agglutinierende Wirkung nachzuweisen.[1] Erst Anfang der 1970er Jahre wurde das eigentliche toxische Prinzip, die Hemmung der Proteinsynthese, entdeckt.[2][3]
Eigenschaften
Das globuläre Glycoprotein hat eine molekulare Masse von 60 bis 65 kDa. Es besteht aus zwei Polypeptidketten, einer A- und einer B-Kette, die über Disulfidbrücken verknüpft sind. Die B-Kette verfügt über ein zuckerbindendes Potential und kann sich an Zelloberflächen anheften, die A-Kette agiert als N-Glycosidase. Rizin zeigt eine Sequenzhomologie zum Abrin und gehört zu der Gruppe der Ribosomeninaktivierenden Proteine (RIP) des Typs 2. Es besitzt außerdem agglutinierende und proteolytische Eigenschaften.
Vorkommen
Gewinnung
Rizin kann als Nebenprodukt bei der Herstellung von Rizinusöl gewonnen werden. Durch die Kaltpressung der Samen verbleibt das fettunlösliche Rizin im Rückstand und kann anschließend im schwach sauren pH-Bereich extrahiert und dann gefällt werden. Um reines Rizin zu gewinnen, bedarf es allerdings einer Extraktion mit Essigsäure und einer Gelfiltration.
Toxikologie
Toxikodynamik
Die Wirkung von Rizin beruht auf einem mehrstufigen Prozess. Die B-Kette (Haptomer) ermöglicht in einem ersten Schritt die Anheftung an die Zelloberfläche, wobei als Anheftungspunkte N-Acetylgalactosaminreste oder Galactosereste von Glycoproteinen und Glycolipiden dienen. Pro Einzelzelle können 106 bis 108 Rizinmoleküle gebunden werden. Das an die Zelle gebundene Rizin wird über Clathrin-vermittelte Endozytose zusammen mit den Zuckerresten aufgenommen. Zunächst werden intrazellulär die Zuckerreste lysosomal abgespalten und Rizin gelangt über den Golgi-Apparat in das endoplasmatische Retikulum. Dort wird die A-Kette (Effektomer) durch Spaltung der Disulfidbrücken freigesetzt und gelangt über Chaperone in das Zytosol. Die A-Kette besitzt N-Glycosidase-Aktivität und spaltet des Adenin an Position 4324 der 28S-RNA der 60S-Untereinheit der Ribosomen. Durch die Abspaltung des Adenins ist die Bindung des Elongationsfaktors 2 nicht mehr möglich und es kommt zu einer Störung der Translationsinitiation. Auch die Translokation der mRNA wird unterbunden. Die Proteinsynthese der Zelle wird vollständig blockiert.[2][4]
Toxikokinetik
Die orale Bioverfügbarkeit von Rizin ist sehr gering, die letale Dosis bei Injektion ist deshalb etwa um den Faktor 1.000 kleiner. Wenn intakte Samen unzerkaut verschluckt werden, kommt es auf Grund der harten Schalen nicht zu Freisetzung von Rizin. Über die Haut kann Rizin aufgenommen werden, sodass es durch Schmuckketten mit den angebohrten Samen zur Vergiftung kommen kann. Nicht letale Mengen werden innerhalb von 24 Stunden wieder über den Urin ausgeschieden.
Vergiftung
Die mittlere letale Dosis von Rizin liegt bei etwa 1 mg/kgKG. Das entspricht dem Rizingehalt von 10 bis 20 Samen für Erwachsene und 5 bis 6 Samen für Kinder. Die ersten Anzeichen einer Vergiftung treten nach oraler Aufnahme von Rizin nach etwa 2 bis 24 Stunden auf. Es können aber auch erst nach 3 Tagen erste Symptome auftreten, die sich meist als Gastroenteritis manifestieren. Im Blut kann es zur Hämolyse kommen. Das Fortschreiten der Vergiftung mündet in ein Multiorganversagen nach 48 bis 72 Stunden. Der Tod tritt durch Kreislaufversagen ein. Nach inhalativer Aufnahme (Aerosole) von Rizin kommt es rasch zu Atembeschwerden. Es manifestiert sich ein toxisches Lungenödem und ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS). Der Tod tritt durch Erstickung ein.[4]
Maßnahmen der primären Giftentfernung sind nur in der Initialphase in Form der Verabreichung von Aktivkohle sinnvoll. In vitro konnte die Bindung der B-Kette durch Milch, Lactose und Galactose gezeigt werden. Es gibt aber keine Untersuchungen über die Wirksamkeit bei einer Vergiftung. Bisher (2023) steht kein Antidot gegen Rizin zur Verfügung. Die Behandlung einer manifesten Vergiftung erfolgt symptomatisch. An der Entwicklung neutralisierender Antikörper wird gearbeitet.[4][5]
Quellen
- ↑ Stillmark H. Über Ricin, ein giftiges Ferment aus den Samen von Ricinus comm. L und einigen anderen Euphorbiaceen. Thesis, Dorpat 1888
- ↑ 2,0 2,1 Olsnes S. The history of ricin, abrin and related toxins. Toxicon. 2004
- ↑ Bolt HM, Hengstler JG. Ricin: an ancient toxicant, but still an evergreen. Arch Toxicol. 2023
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Doan LG. Ricin: mechanism of toxicity, clinical manifestations, and vaccine development. A review. J Toxicol Clin Toxicol. 2004
- ↑ Yu H et al. Ricin toxin and its neutralizing antibodies: A review. Toxicon. 2022
Literatur
- Roth et al.: Giftpflanzen - Pflanzengifte, Nikol Verlag, Karlsruhe/ München, 2008.
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