Rathke-Zyste
nach dem deutschen Anatomen Martin Heinrich Rathke (1793 bis 1860)
Synonym: Rathke-Taschen-Zyste
Englisch: rathke cleft cyst, RCC, pars intermedia cyst
Definition
Die Rathke-Zyste ist eine benigne, nicht-neoplastische Zyste im Bereich der Hypophyse. Sie resultiert aus einer unvollständigen Verschmelzung der Rathke-Tasche während der Embryonalentwicklung.
Epidemiologie
Rathke-Zysten werden i.d.R. als Zufallsbefund und in 15 % aller Autopsien gefunden. Frauen sind häufiger betroffen. In den meisten Fällen werden Rathke-Zysten im 5. Lebensjahrzehnt entdeckt.
Ätiologie
Die Rathke-Zyste entsteht aus der Rathke-Tasche, einer embryonalen Struktur, die sich während der Entwicklung des Hypophysenvorderlappens bildet. Bei unvollständiger Verschmelzung in der 12. Schwangerschaftswoche kann eine persistierende Zyste entstehen, die mit einer Flüssigkeit gefüllt ist, die Proteine, Mucopolysaccharide und selten Cholesterin enthält. Die Zyste ist endodermalen Ursprungs.
Pathophysiologie
Obwohl die meisten Rathke-Zysten klein und asymptomatisch sind, können größere Zysten durch Kompression der umgebenden Strukturen zu Symptomen führen. Dies kann die Hypophyse, den Hypophysenstiel oder das Chiasma opticum betreffen.
Lokalisation
Die Rathke-Zyste befindet sich typischerweise in der Mittellinie der Sella turcica. Etwa 40 % der Zysten sind rein intrasellär, während 60 % eine supraselläre Ausdehnung aufweisen. Eine rein supraselläre Lage ist sehr selten.
Klinik
Die meisten Rathke-Zysten sind asymptomatisch und werden zufällig bei einer Bildgebung aus anderen Gründen entdeckt. In symptomatischen Fällen können sie sich wie folgt bemerkbar machen:
- Hypophysen-Dysfunktion durch Kompression der Hypophyse (70 %): z.B. mit Müdigkeit, Kälteintoleranz, Libidoverlust
- Diabetes insipidus: durch Kompression des Hypophysenstiels
- Sehstörungen bzw. Gesichtsfeldausfälle (45 - 55 %): durch Kompression des Chiasma opticum
- Kopfschmerzen (50 %)
- Apoplexie: meist durch plötzliche intrazystische Blutung verursacht. Die Symptome sind im Allgemeinen nicht von denen einer Hypophysenapoplexie zu unterscheiden.
Die meisten Rathke-Zysten sind stabil. Eine maligne Transformation kommt nicht vor.
Pathologie
Makroskopie
Rathke-Zysten sind glatt lobulierte, scharf begrenzte Zysten. Der Zysteninhalt variiert von klar und Liquor-ähnlich bis zu dickem, gelbem, mukoidem Material.
Mikroskopie
Rathke-Zysten sind von einer zilientragenden, säulenförmigen Epithelschicht ausgekleidet, die eine variable Anzahl von Becherzellen enthält. An der Zystenwand haften oft solide, weiße, intraluminale Knoten, die abgeschilfertem Zellmaterial entsprechen. Sie sind immunhistochemisch positiv für Zytokeratin 8 und 20.
Diagnostik
Die Diagnose der Rathke-Zyste erfolgt radiologisch. Bei der klinischen Untersuchung sollte besonders auf die Bewertung der Sehschärfe und des Gesichtsfeldes sowie auf eine vollständige endokrinologische Untersuchung zur Beurteilung der Hypophysenfunktion geachtet werden.
Radiologie
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist das bildgebende Verfahren der Wahl für die Diagnose von Rathke-Zysten. Die MRT ermöglicht eine Beurteilung der Größe, Lokalisation und des Verhaltens der Zyste im Verhältnis zu den benachbarten Strukturen. Rathke-Zysten befinden sich normalerweise in der Mittellinie, weisen keine Septierungen und eine homogene Signalintensität auf. Flüssigkeits-Flüssigkeits-Spiegel sind selten und weisen eher auf ein Adenom hin. Die typische Größe ist 5 bis 15 mm. Die Signalcharakteristik variiert je nach Zysteninhalt:
- T1w: 50 % der Fälle hyperintens (hoher Proteingehalt), 50 % hypointens
- T2w: meist hyperintens (70 %), seltener iso- oder hypointens (30 %). In 20 % der Fälle hypointenser Rand (häufiger bei Adenomen)
- FLAIR: fast immer hyperintens
- T1w-KM: meist keine Kontrastmittelanreicherung. Randständiges Enhancement (Claw-Sign) möglich, das komprimiertem Hypophysengewebe entspricht
- DWI/ADC: keine Diffusionsstörung
- Intrazystische Knoten: T1w-hyperintense, T2w-hypointense Knoten finden sich in 65 - 75 % der Fälle und werden auf desquamierte Zellen und Proteine zurückgeführt
Computertomographie
Die Computertomographie (CT) kann verwendet werden, wenn eine MRT nicht verfügbar oder kontraindiziert ist. Bei großen Zysten kann die Sella turcica erweitert sein. Die Zyste erscheint als eine gut abgegrenzte runde Raumforderung innerhalb oder knapp oberhalb der Sella turcica. Drei Viertel der Zysten sind hypodens, während 20 % gemischt hypo- und isodens sind. Zwischen 5 und 10 % sind hyperdens. Verkalkungen sind im Vergleich zum Kraniopharyngiom eher selten.
Differentialdiagnosen
Die wichtigste Differentialdiagnose der Rathke-Zyste ist das Kraniopharyngiom. Hier finden sich häufiger flockenförmige, randständige oder noduläre Verkalkungen. Noduläre oder dickere, randständige, irreguläre Kontrastmittelanreicherungen sind ebenfalls häufiger. Weiterhin zeigt sich oft ein gemischter solid-zystischer Aspekt. Kraniopharyngeome sind meist suprasellär lokalisiert.
Ein zystisches Hypophysenadenom – insbesondere ein nicht-funktionales zystisches Mikroadenom – kann schwer von einer kleinen intrasellären Rathke-Zyste zu unterscheiden sein. Beide verkalken selten. Beide erfordern keine Behandlung. Flüssigkeit-Flüssigkeit-Spiegel oder hämorrhagischer Debris sowie Septierungen und eine solide Komponente sind weitere Merkmale von Adenomen.
Andere nicht-neoplastische Zysten, die in der Sellaregion auftreten können, sind Dermoidzysten (Fett, häufig Verkalkung), Epidermoidzysten (selten in der Mittellinie, gewöhnlich Liquor-ähnliches Signal, DWI-hyperintens) und Arachnoidalzysten (größer, Liquor-ähnliches Signal, keine intrazystischen Knoten). Differentialdiagnostisch kommen auch entzündliche Zysten im Rahmen einer Neurozystizerkose (meist multiple Zysten) infrage.
Therapie
Bei asymptomatischen Rathke-Zysten ohne Hinweise auf Kompression benachbarter Strukturen kann eine regelmäßige Beobachtung und Verlaufskontrolle mittels MRT ausreichend sein.
Wenn eine Zyste Symptome verursacht oder wächst, kann eine chirurgische Behandlung erforderlich sein. Dabei wird ein transsphenoidaler Zugang bevorzugt.
Bei hormoneller Dysfunktion kann eine hormonelle Substitutionstherapie notwendig sein, um die fehlenden Hypophysenhormone zu ersetzen.
um diese Funktion zu nutzen.