Pulmonalatresie
Englisch: pulmonary atresia
Definition
Unter einer Pulmonalatresie versteht man eine seltene, angeborene, zyanotische Herzfehlbildung aus dem Single-Ventricle-Formkreis. Man unterscheidet zwischen der Pulmonalklappenatresie (PA) und der Atresie der Pulmonalarterie (PAA).
Hintergrund
Die Pulmonalklappe befindet sich zwischen dem rechten Ventrikel und der Pulmonalarterie, die das sauerstoffarme Blut in die Lungen leitet. Bei der Pulmonalatresie gibt es keinen natürlichen Blutfluss von der rechten Herzkammer zur Lunge, sodass die Sauerstoffversorgung des Blutes erheblich beeinträchtigt ist. Die Erkrankung gehört zu den zyanotischen Herzfehlern, da sie zu einer mangelhaften Sauerstoffversorgung des gesamten Körpers führt, was oft durch eine bläuliche Verfärbung der Haut (Zyanose) erkennbar ist.
Einteilung
- Pulmonalklappenatresie: Die Pulmonalklappe ist entweder verschlossen oder fehlt vollständig.
- Atresie der Pulmonalarterie: Die Pulmonalarterie ist nicht korrekt angelegt oder vollständig verschlossen
- Sonderform: Unilaterale Pulmonalarterienatresie (UPAA)
Ätiologie
Die genaue Ursache der Pulmonalatresie ist derzeit (2024) unklar. Die genetischen Grundlagen sind komplex und nur teilweise verstanden. Eine familiäre Häufung spricht für eine genetische Prädisposition. Genmutationen z.B. in NKX2-5 oder GATA4 wurden in einigen Fällen identifiziert. Darüber hinaus ist die Pulmonalatresie häufig mit Syndromen, wie dem DiGeorge-Syndrom assoziiert, bei dem es zu einer Fehlentwicklung der dritten und vierten Schlundbogenarterien kommt.
Pathophysiologie
Pulmonalklappenatresie
Bei der Pulmonalklappenatresie erfolgt der Blutfluss zur Lunge bei Neugeborenen über den Ductus arteriosus, also der fetalen Verbindung zwischen der Aorta und der Pulmonalarterie. Der rechte Ventrikel und die Trikuspidalklappe bleiben aufgrund der verminderten Druck- und Volumenbelastung in ihrer Entwicklung zurück.
Atresie der Pulmonalarterie
Bei der Atresie der Pulmonalarterie, bei der die Pulmonalarterien unterentwickelt sind oder fehlen, erfolgt der Blutfluss zur Lunge häufig über Kollateralgefäße, die sich aus der Aorta entwickeln und die Lungenperfusion sicherstellen. Häufig liegt jedoch eine ungleichmäßige Sauerstoffversorgung der Lunge vor. Die Entwicklung des rechten Ventrikels hängt dabei von der Anatomie und den Begleitanomalien ab. Insbesondere bei Patienten mit einem Ventrikelseptumdefekt (VSD) kann der rechte Ventrikel besser entwickelt sein, da durch den VSD eine Belastung des rechten Ventrikels erfolgt. Bei einem intakten Ventrikelseptum bleibt der rechte Ventrikel häufig ebenfalls hypoplastisch.
Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum
Bei der Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum liegt kein begleitender Defekt im Ventrikelseptum vor. Der rechte Ventrikel ist oft hypoplastisch, da er aufgrund des fehlenden Blutflusses nicht ausreichend gefordert wird. Als Konsequenz ist auch die Entwicklung der Trikuspidalklappe beeinträchtigt, was zu einer signifikanten Trikuspidalklappenstenose oder -insuffizienz führen kann. Bei dieser Form besteht zudem das Risiko, dass koronare Fisteln ausgebildet werden, die den Blutfluss in den rechten Ventrikel weiter erschweren.
In diesem Fall gibt es zwei Varianten des Blutflusses:
- Das Blut fließt aus dem rechten Ventrikel in den rechten Vorhof und über das Foramen ovale in den linken Vorhof. Über die Aorta gelangt ein Teil durch den Ductus arteriosus in den Truncus pulmonalis und nimmt dann am Gasaustausch in der Lunge teil. Bei Verschluss des Ductus arteriosus kommt es bei dem Kind schnell zu einer Zyanose.
- Manchmal finden sich im Herz des Kindes noch die vorgeburtlichen Verbindungen zwischen dem Inneren der rechten Kammer und den im Myokard verlaufenden Koronararterien. Durch den extrem hohen Druck im rechten Ventrikel presst sich das Blut in die Koronargefäße und fließt teilweise gegen den Strom in die Aorta. Es kommt zu einer sehr stark ausgeprägten Rechtsherzhypertrophie
Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt
Bei der Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt liegt zusätzlich ein Ventrikelseptumdefekt (VSD) vor, also eine Verbindung zwischen der rechten und der linken Herzkammer. Dies ermöglicht eine gewisse Kompensation, da der rechte Ventrikel durch den VSD belastet wird, was dessen Entwicklung unterstützt. Der Blutfluss zur Lunge erfolgt häufig über sogenannte "major aortopulmonary collateral arteries", kurz MAPCAs. Das sind aortopulmonale Kollateralarterien aus der Aorta, welche die pulmonale Durchblutung gewährleisten. Die Größe und Anzahl dieser MAPCAs variieren und sind ein entscheidender Faktor für das Ausmaß der Zyanose sowie für die Therapie und Prognose. Je mehr Kollateralen vorhanden sind, desto besser kann die Pulmonalklappenatresie kompensiert werden.
Klinik
Die Symptome der Pulmonalklappenatresie manifestieren sich meist unmittelbar nach der Geburt und sind eine direkte Folge der reduzierten Sauerstoffversorgung des Blutes. Die klinischen Hauptsymptome umfassen:
- Zyanose: Eine bläuliche Verfärbung der Haut, der Lippen und der Schleimhäute infolge der verminderten Sauerstoffsättigung.
- Dyspnoe und Tachypnoe
- Trinkschwäche und mangelnde Gewichtszunahme
- Müdigkeit und Unruhe
Diagnose
Die Diagnose der Pulmonalatresie wird typischerweise pränatal durch eine fetale Echokardiographie oder postnatal durch verschiedene diagnostische Verfahren gestellt:
- Echokardiographie: Beurteilung der Anatomie des Herzens, des Blutflusses und Identifikation zusätzlicher Fehlbildungen
- Herzkatheteruntersuchung: Invasive Diagnostik zur Analyse der Herzstruktur, der hämodynamischen Verhältnisse und der Lungenarterienversorgung, insbesondere im Hinblick auf Kollateralarterien (MAPCAs)
- Kardiale Magnetresonanztomographie (MRT): Kann zusätzliche Informationen zur Ventrikelgröße, Myokardfunktion und den Kollateralarterien liefern
- CT-Angiographie: Beurteilung der Verteilung der Kollateralarterien, insbesondere für die chirurgische Planung
- Genetische Untersuchung: Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Fehlbildungssyndroms
Therapie
Die Behandlung der Pulmonalatresie ist komplex und hängt von der spezifischen Anatomie und der Schwere der Fehlbildung ab. Sie erfordert eine multidisziplinäre Zusammenarbeit von Kardiologen, Herzchirurgen und Kinderärzten.
Die Therapie umfasst folgende Säulen:
- Prostaglandin-Infusion: Prostaglandin E1 wird direkt nach der Geburt verabreicht, um den Ductus arteriosus offenzuhalten und damit eine Lungenperfusion zu gewährleisten.
- Chirurgische Eingriffe: Eine chirurgische Behandlung ist notwendig, um die Lungenperfusion langfristig sicherzustellen und die anatomische Fehlbildung zu korrigieren. Mögliche operative Maßnahmen umfassen:
- Systemisch-pulmonaler Shunt (Blalock-Taussig-Shunt): Der Shunt wird eingesetzt, um den Blutfluss zwischen Aorta und Lungenarterie zu ermöglichen und so die Sauerstoffsättigung zu verbessern.
- Stentimplantation in den Ductus arteriosus: um den Ductus arteriosus offenzuhalten
- Univentrikuläre Palliation (Fontan-Strategie): Falls eine biventrikuläre Reparatur aufgrund einer Rechtsherzhypoplasie nicht möglich ist, wird eine Fontan-Palliation angestrebt. Dabei sind mehrere Schritte notwendig (z.B. Glenn-Operation, modifizierte Fontan-Operation), um den systemischen und pulmonalen Kreislauf zu trennen und die Sauerstoffversorgung zu verbessern.
- Katheterinterventionen: häufig ergänzend oder als Alternative zur Operation eingesetzt. Eine Ballonvalvuloplastie kann beispielsweise dazu dienen, den Blutfluss durch die Pulmonalklappe zu erleichtern oder zu ermöglichen, sofern eine Restklappe vorhanden ist.
Forschung
Forschungsansätze beschäftigen sich mit der Regeneration der Pulmonalklappe mittels Tissue Engineering, um dauerhafte Klappenlösungen zu entwickeln, die mit dem Patienten mitwachsen. Darüber hinaus werden Ansätze zur Optimierung der chirurgischen Versorgung durch die Integration von 3D-Druckmodellen zur präoperativen Planung untersucht.
Prognose
Die Prognose hängt stark von der Komplexität der Fehlbildung, der frühzeitigen Diagnosestellung und der adäquaten Versorgung und Nachsorge ab. Bei der Pulmonalklappenatresie ist eine funktionierende Verbindung zwischen dem rechten Ventrikel und dem Lungenkreislauf essentiell. Bei der Atresie der Pulmonalarterie hängt die Prognose von der Anzahl, Größe und Verteilung der Kollateralarterien ab. Die Überlebensraten von Kindern mit Pulmonalatresie hat sich in den letzten Jahrzehnten gebessert. Langfristig kann es jedoch zu Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen, Rechtsherzinsuffizienz, pulmonaler Hypertonie oder einer Degeneration von eingesetzten Klappen kommen. Eine lebenslange kardiologische Überwachung sowie eine engmaschige Endokarditisprophylaxe sind daher zwingend notwendig.