Nervenläsion
Synonyme: Nervenverletzung, Nervenschädigung
Englisch: nerve injury, nerve lesion
Definition
Als Nervenläsion bezeichnet man die Verletzung von Nervengewebe, im engeren Sinn die Verletzung eines peripheren Nerven.
Hintergrund
Nervenläsionen werden als separate Verletzungsgruppe hervorgehoben, da das Nervengewebe im Gegensatz zu vielen anderen Gewebetypen nur eine eingeschränkte Fähigkeit zur Regeneration besitzt.
Ursachen
Mögliche Ursachen für Nervenläsionen sind u.a.:
- Traumata (z.B. Frakturen, Schnittverletzungen)
- Engpasssyndrome
- Druckbelastungen
- Tumoren und andere Raumforderungen
Einteilung
...nach dem Ort der Läsion
- Zentrale Nervenläsion: Verletzung im Bereich des ZNS
- Periphere Nervenläsion: Verletzung im Bereich des PNS
...nach dem Ausmaß der Läsion
Seddon-Klassifikation
Anhand der Seddon-Klassifikation (1943) werden drei Formen der Nervenläsion unterschieden:
Diese klassische Einteilung wurde zugunsten der Sunderland-Klassifikation (s.u.) aufgegeben. In der nachfolgenden Tabelle sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Formen aufgelistet.
Neurapraxie | Axonotmesis | Neurotmesis | |
---|---|---|---|
Funktionsstörung | passager | ja | ja |
Kontinuitätsunterbrechung | nein | ja | ja |
Axon und Myelinscheide | intakt |
|
unterbrochen |
Hüllstrukturen (Endoneurium, Perineurium, Epineurium) | erhalten | erhalten | teilweise oder vollständig unterbrochen |
Spontane Regeneration | vollständig | vollständig | partiell oder fehlend (je nach betroffener Hüllschicht) |
Sunderland-Klassifikation
Die Sunderland-Klassifikation (1951) erweitert die Seddon-Klassifikation durch eine präzisere Differenzierung der Beschädigung der Hüllstrukturen:
- Grad 1: entspricht der Neurapraxie nach Seddon
- Grad 2: Axonotmesis mit intaktem Endoneurium, Perineurium und Epineurium
- Grad 3: Axonotmesis mit unterbrochenem Endoneurium bei intaktem Perineurium und Epineurium
- Grad 4: Axonotmesis mit unterbrochenem Endoneurium und Perineurium bei intaktem Epineurium
- Grad 5: Diskontinuität; entspricht der Neurotmesis nach Seddon
Symptome
Die klassischen Beschwerden peripherer Nervenläsionen strahlen meist in die Versorgungsgebiete aus und zeigen sich nicht nur im Bereich der Schädigung. Typische Symptome sind:[1]
- Schmerzen
- Hypästhesie
- Kribbeln
- Dysästhesien
- Paresen der innervierten Muskeln
Bekannte Fehlstellungen bei Beeinträchtigung peripherer Nervenbahnen sind beispielsweise die Schwur-, Krallen- und Fallhand an den oberen Extremitäten sowie der Hackenfuß an den unteren Extremitäten.
Diagnostik
Nervenläsionen werden mittels Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG) diagnostiziert. Dabei kann vor allem zwischen axonalen und nicht axonalen Schädigungen unterschieden werden. Sind sowohl die Myelinscheiden als auch die Axone betroffen, kommt es entsprechend zu einem gemischten klinischen Erscheinungsbild.
Ein Indikator für eine Axonotmesis ist zudem ein stark positives Hoffmann-Tinel-Zeichen. Während der Reinnervation wandert dieses nach distal und kann als Marker für den Prozess gesehen werden. Auf das Ausmaß der Reinnervation kann dabei aber kein Rückschluss gezogen werden. Die Wanderung erfolgt mit 1 bis 2 mm pro Tag und unterbleibt bei fehlender axonaler Aussprossung.
Elektroneurographie
nicht axonaler Schaden/Demyelinisierung | axonaler Schaden | |
---|---|---|
Paresen (mit oder ohne Sensibilitätsstörung) | ja (ohne Atrophie) | ja (mit Atrophie) |
Nervenleitgeschwindigkeit | erniedrigt | erniedrigt bis normal |
Distale motorische Latenz | erhöht | normal |
Amplitude | herabgesetzt | herabgesetzt |
F-Welle | verlängerte Latenz oder fehlend | teils fehlend durch geringe Amplitude |
Elektromyographie
nicht axonaler Schaden/Demyelinisierung | axonaler Schaden | ||
---|---|---|---|
Akut | Pathologische Spontanaktivität | nein | erhöht |
Willküraktivität | Lichtung durch Ausfall motorischer Einheiten | ||
Chronisch | Pathologische Spontanaktivität | nein | unterschiedlich repetitive Entladungen/Faszikulationen |
Willküraktivität | siehe akut | v.a. Amplitudenzunahme |
Verlauf
Die Reinnervation nach einer totalen Axonotmesis kann mehrere Wochen und bis zu einem Jahr dauern. Sie läuft rein axial und daher ohne Kollaterale, welche die Erneuerung nervaler Verbindungen beschleunigen. Nach einer partiellen Axonotmesis verläuft dieser Prozess durch zusätzliche kollaterale Aussprossung deutlich schneller.
Die axiale Reinnervation nach einer Neurotmesis ist nur durch eine operative Therapie möglich.
Quellen
- ↑ Universitätsklinik Freiburg - Erkrankungen der Peripheren Nerven, abgerufen am 18.07.2022.
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