Mikrotubulus
Englisch: microtubule
Definition
Mikrotubuli sind röhrenförmige intrazelluläre Polymere aus globulären Tubulin-Untereinheiten. Die Proteinstrukturen haben einen Durchmesser von etwa 20 bis 30 nm und bilden zusammen mit den Mikrofilamenten und den Intermediärfilamenten das Zytoskelett, das der Zelle Form und Festigkeit verleiht.
Aufbau
Mikrotubuli sind aus sich wiederholenden Heterodimeren aus α- und β-Tubulin aufgebaut. Über Kopf-Schwanz-Verknüpfungen bilden die Heterodimere die einzelnen Untereinheiten eines Mikrotubulus, die Protofilamente genannt werden.
Mehrere Protofilamente bilden einen Mikrotubulus. Durch in der Regel leicht vertikal versetzte seitliche Zusammenlagerung der Protofilamente wird der Hohlkörper des Mikrotubulus spiralförmig aufgebaut. Durch die Kopf-Schwanz-Anordnung weist ein Mikrotubulus eine gewisse Polarität auf. Die Protofilamente innerhalb eines Mikrotubulus besitzen die gleiche Polarität, somit befinden sich an einem Ende nur α-Tubulin-Einheiten während das andere Ende in einem Ring von β-Tubulinuntereinheiten endet.
Funktion
Mikrotubuli dienen z.B. Motorproteinen als "Schienen" durch die Zelle, auf denen der Vesikeltransport stattfindet. Sie spielen außerdem eine besondere Rolle bei der Zellbewegung durch Zilien- oder Geißelschlag. Weitere Funktionen sind unter anderem:
- Chromosomenanordnung in Mitose durch den Spindelapparat
- Axonstabilisierung und -wachstum
- Beutegreifen (Protozoa)
Eigenschaften
Sowohl α- als auch β-Tubulin binden 1 Molekül GTP. β-Tubulin besitzt eine zusätzliche GTPase-Aktivität, während das GTP am α-Tubulin irreversibel und nicht hydrolysierbar gebunden ist. In der Filamentstruktur ist kein Austausch von gebundenem GDP oder GTP möglich. Die Heterodimere lagern sich bevorzugt an das Plus-Ende an, so dass ein Mikrotubulus in Plus-Richtung "wächst", das Minus-Ende bildet dabei die stabile Startstelle. Die Länge eines Mikrotubulus kann zwischen Bruchteilen eines Mikrometers und mehreren hundert Mikrometern liegen.
Mikrotubuli sind oftmals als Singulett, Doublette oder Triplett angeordnet. Hierbei gehen die Filamente in der Regel von einem Zentrum (am Minus-Ende) aus, dem sogenannten "microtubule organizing center" (MTOC). Beispiele sind hierfür die Zentriolen oder Basalkörper (bei Zilien, Geißeln). Die Stabilität der Mikrotubuli wird durch 3 Kräfte gewährleistet:
- Wechselwirkungen zwischen α- und β-Tubulin
- Wechselwirkungen längsseits, innerhalb eines Protofilaments und
- Wechselwirkungen quer, zwischen den Untereinheiten der Protofilamente.
Einteilung
Bei Mikrotubuli kommen zwei verschiedene Populationen vor: als langlebige, stabile Mikrotubuli und als dynamische, kurzlebige Mikrotubuli.
Stabile Mikrotubuli
Neben der wichtigen Funktion im Zytoskelett und dem damit verbundenen Vesikeltransport bilden stabile Mikrotubuli auch das Gerüst von Zentriolen, Zilien und Geißeln. Die langlebigen Strukturen von Mikrotubuli kommen vor allem in Zellen vor, die sich nicht mehr replizieren, wie z.B. in den Axonen der Neuronen oder als Axonem in den Geißeln der Spermienzellen. Diese Strukturen sorgen für Stabilität, Flexibilität und mithilfe von Motorproteinen für Beweglichkeit.
Dynamische Mikrotubuli
Dynamische Mikrotubuli kommen dort vor, wo ein schneller Umbau von Mikrotubulistrukturen notwendig ist. Während der Mitose verschwindet das zytosolische Netzwerk der Interphase-Zellen, wobei das in ihm enthaltene Tubulin den Spindelapparat der Zelle ausbildet. Die dynamischen Mikrotubuli streben z.B. ausgehend vom MTOC ins Zellinnere, um Mikrotubuli des anderen MTOC zu "greifen". Findet kein Kontakt statt, erfolgt die Depolymerisation und ein neuer Anlauf wird gestartet. Die Mikrotubuli sorgen schließlich dafür, dass die Chromosomen in die Tochterzellen verteilt werden.
Der Auf- und Abbau von Mikrotubuli ist konzentrationsabhängig und erfolgt in einem dynamischen Wechsel. Sowohl Aufbau, als auch Abbau erfolgen bevorzugt am Plus-Ende. Oberhalb der kritischen Konzentration (Cc) werden Tubulindimere polymerisiert, unterhalb erfolgt die Depolymerisation.
Der stabilitätsbestimmende Faktor ist die Geschwindigkeit mit der sich die Heterodimere an das Plus-Ende anlagern. Erfolgt der Schritt zu langsam, wird das gebundene GTP zu GDP + P hydrolysiert und vermindert dadurch die Stabilität. Dies führt zum "Ausfransen" am Plus-Ende und bedingt den Verlust der seitlichen Stabilisierung der Protofilamente. Bei hoher Konzentration an GTP-gebundenem Tubulin wird eine das Filament schützende sogenannte "GTP-Kappe" ausgebildet.
Mit der Zeit wächst also ein Mikrotubulus bis zu dem Zeitpunkt, an dem nicht mehr genug Heterodimere zur Verfügung stehen und beginnt dann zu depolymerisieren ("Katastrophe"). Durch die Hydrolyse der gebundenen Heterodimere steigt wiederum die Konzentration von gelöstem Tubulin und der Mikrotubulus beginnt erneut zu wachsen ("Rescue"). Mikrotubuli-assoziierte Proteine (MAPs) können als stablisierende Faktoren an das Plus-Ende binden und die Frequenz der Katastrophen vermindern. Das Hormon Catastrophin hingegen destabilisiert die GTP-Kappe und begünstigt damit die Depolarisation. In Gegenwart von Catastrophin sind die Mikrotubuli daher kürzer und sehr dynamisch.
Motorproteine
Motorproteine, die an Mikrotubuli binden, können nach ihrer Bewegungsrichtung unterschieden werden. Hierbei orientieren sich Minus-Ende-Motorproteine (Dyneine) in Richtung des MTOC, während Plus-Ende-Motorproteine (Kinesine) mit ihrer Fracht zur Peripherie streben und so z.B. Proteine vom Endoplasmatischen Retikulum (ER) zur Zellmembran transportieren.
Pharmakologie
Polymerisation und Depolymerisation von Mikrotubuli werden durch verschiedene Substanzen unterbunden. Dazu zählen die pflanzlichen Wirkstoffe Colchicin, Taxol und Vinblastin. Sie binden ausschließlich an das α- und β-Tubulin der Mikrotubuli. Dieser Umstand wird in der Humangenetik bei der Erstellung eines Karyogramms genutzt, um die Chromosomen in der Metaphase zu arretieren. Darüber hinaus werden die Substanzen zur Behandlung verschiedener Krankheiten eingesetzt.
| Substanz | Wirkung | Anwendung | Vorkommen |
|---|---|---|---|
| Taxol | blockiert Depolymerisation: führt zu Stabilisierung | verhindert Mitose von Zellen: Anwendung bei Krebstherapie, z.B. Ovarialkarzinom | Eibe |
| Colchicin | blockiert De-/Polymersation, Spindelgift, bindet freie Dimere | Mitose wird angehalten: Herstellung von Zellpräparaten mit Metaphasechromosomen, Behandlung von Erkrankungen der Gelenke (Gicht) und der Haut | Herbstzeitlose |
| Vinblastin/Vincristin | blockiert Polymerisation: führt zu Instabilisierung und Abbau | verhindert Mitose von Zellen: Anwendung in der Krebstherapie | Immergrün |