Liquorverlust-Syndrom
Synonyme: Liquorunterdrucksyndrom, spontane intrakranielle Hypotonie (SIH), Liquorlecksyndrom, Hypoliquorrhoe, orthostatisches Kopfschmerzsyndrom, spontane spinale Liquorfistel
Englisch: cerebrospinal fluid leak syndrome (CSF leak), spontaneous intracranial hypotension
Definition
Das Liquorverlust-Syndrom, kurz LVS, beschreibt einen Symptomenkomplex, der durch den Abfluss von Liquor infolge einer Leckage der Dura mater entsteht. Der pathologisch erniedrigte Liquordruck (intrakranielle Hypotension) löst typischerweise orthostatische Kopfschmerzen aus und zeigt charakteristische Veränderungen im kranialen MRT.
Epidemiologie
Die Inzidenz der idiopathischen Form liegt etwa bei 5 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr. Bei der iatrogenen Form ist die Inzidenz höher. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Der Häufigkeitsgipfel der Erkrankung liegt im mittleren Erwachsenenalter (30 bis 50 Jahre).
Ätiologie
- Iatrogen
- Lumbalpunktion, Spinal- oder Periduralanästhesie (häufigste Ursache)
- neurochirurgische oder spinale Eingriffe
- Spontan
- Spontane Durarisse ohne erkennbare äußere Einwirkung
- Bandscheibenprotrusionen oder knöcherne Sporne (Osteophyten), welche die Dura verletzen
- Traumatisch
- Schädel-Hirn-Trauma mit duralem Defekt
- erhöhter intrathorakaler oder intraabdominaler Druck (z.B. starkes Husten, Pressen, Niesen)
Ein erhöhtes Risiko besteht bei Bindegewebserkrankungen wie dem Marfan- oder Ehlers-Danlos-Syndrom.
Pathogenese
Der Verlust von Liquor senkt den intrakraniellen Druck. Im Sinne der Monro-Kellie-Doktrin kommt es zu einer kompensatorischen venösen Dilatation und zu einem Absinken von Hirnstrukturen ("brain sagging"). Die veränderten Druckverhältnisse führen zu mechanischen Zugreizen an schmerzempfindlichen meningealen Strukturen und zu einer Gefäßkompression.
Klinik
Charakteristisches Merkmal ist ein orthostatischer Kopfschmerz. Tritt er nach einer Punktion des Liquorraums auf, wird er auch als postpunktioneller Kopfschmerz bezeichnet. Weitere mögliche Symptome sind:
- Übelkeit
- Erbrechen
- Nackensteifigkeit
- Hypakusis
- Tinnitus
- Diplopie (meist Abduzensparese)
- Photophobie
- kognitive Verlangsamung
Diagnostik
Die Diagnose erfolgt durch ein kontrastmittelverstärktes Kopf-MRT. In der pachymeningealen Kontrastmittelaufnahme können die Hirnabsackung, subdurale Hygrome oder Hämatome nachgewiesen werden. Eine MR-Myelographie wird zur Lecklokalisation eingesetzt. Bei der Liquordruckmessung ist der Eröffnungsdruck meist kleiner als 50 bis 60 mm H₂O. Ggf. sind zudem die Liquorproteine und Lymphozyten erhöht.
In unklaren Fällen kann eine Zisternographie durchgeführt werden.
Differenzialdiagnosen
Therapie
Die konservative Therapie umfasst Bettruhe, Hydrierung sowie die Gabe von Koffein, Theophyllin und Analgetika. Heilt das Leck nicht von alleine ab, kann es durch einen Blood-Patch abgedichtet werden. Die Erfolgsrate beträgt etwa 85 %. Bei persistierenden Symptomen ist ein chirurgischer Verschluss des Lecks notwendig.
siehe auch: Therapie des postspinalen Kopfschmerzes
Prognose
Bei adäquater Therapie ist ein günstiger Verlauf zu erwarten. In seltenen Fällen kommt es zu chronischen Kopfschmerzen oder subduralen Komplikationen.
Literatur
- Schievink, Spontaneous spinal cerebrospinal fluid leaks and intracranial hypotension, JAMA, 2006
- Mokri, Spontaneous low pressure, low CSF volume headaches: spontaneous CSF leaks, Headache, 2013
- Beck et al., Spinal cerebrospinal fluid leak as the cause of chronic subdural hematomas in nongeriatric patients, J Neurosurg, 2014
- Kranz et al., Spontaneous Intracranial Hypotension: Pathogenesis, Diagnosis, and Treatment, Neuroimaging Clin N Am, 2019
- Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS), The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition, Cephalalgia, 2018