Postspinaler Kopfschmerz
Synonyme: Postpunktioneller oder postduraler Kopfschmerz, PPKS, postpunktionelles Syndrom, postpunktionelles Liquorunterdruck-Syndrom
Englisch: postspinal headache, postdural puncture headache, PDPH
Definition
Unter postspinalen Kopfschmerzen versteht man Kopfschmerzen, die nach einer Punktion des äußeren Liquorraumes (z.B. im Rahmen einer Spinalanästhesie oder zur Liquorentnahme) auftreten. Sie sind die häufigste Form des Liquorverlust-Syndroms.
- ICD10-Code: G97.1 - Sonstige Reaktion auf Spinal- und Lumbalpunktion
Epidemiologie
Die Inzidenz variiert stark und liegt je nach Verfahrens- und Patientenfaktoren zwischen < 2 % (unkomplizierte Spinalanästhesie mit dünner, atraumatischer Nadel) und ca. 40 % (versehentliche Perforation der Dura mater bei einer Periduralanästhesie). Ältere Patienten sind seltener betroffen als jüngere Patienten und Männer seltener als Frauen.
Ätiopathogenese
Als Ursache wird ein Liquorverlust angenommen. Der genaue Pathomechanismus ist jedoch bisher (2025) nicht abschließend geklärt. Vermutet wird eine kompensatorische Dilatation der Gefäße im Gehirn mit Gefäßdehnungsschmerz, der vom Patient als Kopfschmerz wahrgenommen wird. Außerdem wird ein Absinken von Hirnstrukturen ("brain sagging") angenommen, das zu mechanischen Zugreizen an schmerzempfindlichen meningealen Strukturen führt.
Generell konnte festgestellt werden, dass die Verwendung von dünnen Kanülen (z.B. 25 oder 27 Gauge) das Risiko für postspinale Kopfschmerzen reduziert. Da bei der Periduralanästhesie sehr dicke Kanülen (G17) verwendet werden, ist das Risiko bei akzidenteller Perforation der Dura mater deutlich erhöht.
Auch der Schliff der Spinalkanüle hat nachweislich einen Einfluss: bei konischer Spitze (z.B. sog. "atraumatische" Sprotte-Nadel) werden postspinale Kopfschmerzen seltener beobachtet als bei der Verwendung schräg angeschliffener "traumatischer" Nadeln (z.B. Quincke-Kanüle). Wird eine Quincke-Kanüle verwendet, kann das Risiko für postspinale Kopfschmerzen gesenkt werden, indem der Kanülenschliff beim Einstich parallel zu den Durafasern ausgerichtet wird.
Klinik
In 80 % der Fälle treten die Kopfschmerzen innerhalb von zwei Tagen nach der Punktion auf. Sie sind meist im Okzipitalbereich des Kopfes lokalisiert. Seltener wird über frontale oder diffuse Kopfschmerzen geklagt.
Die Schmerzen treten typischerweise auf oder werden erheblich verstärkt, wenn der Patient steht oder sitzt. Durch Hinlegen nimmt die Intensität der Schmerzen deutlich ab. Zusätzlich kann eine Hörminderung auftreten, die vornehmlich die tiefen Töne betrifft und überwiegend reversibel ist. Einige Patienten berichten zudem über Nackenschmerzen und/oder Rückenschmerzen. In seltenen Fällen treten passagere Hirnnervenläsionen auf (am häufigsten Abduzensparesen).
Diagnostik
Anamnese mit Zustand nach Punktion des äußeren Liquorraumes und die Klinik weisen in der Regel auf die Diagnose hin. Die International Headache Society definiert folgende Diagnosekriterien:
- A: jede Kopfschmerzform, die das Kriterium C erfüllt
- B: eine durale Punktion ist erfolgt
- C: Kopfschmerz entwickelt sich innerhalb von 5 Tagen nach der duralen Punktion
- D: nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose
Wenn eine andere Ursache der Kopfschmerzen nicht ausgeschlossen werden kann und weitere Symptome (z.B. neurologische Ausfälle) bestehen, sollte eine entsprechende weitergehende Diagnostik erfolgen.
Differentialdiagnose
Differenzialdiagnostisch sollte an andere Kopfschmerzursachen gedacht werden. Dazu gehört z.B. eine durch die Punktion verursachte Infektion (z.B. Meningitis), die unter anderem mit einer Erhöhung der Entzündungsparameter, Fieber und einem Meningismus einhergeht. Weiterhin sind Blutungen im Bereich des Gehirns auszuschließen, die häufig zu weiteren neurologischen Symptomen führen. Je nach Alter können z.B. auch eine hypertensive Krise, ein Glaukomanfall oder eine Sinusitis die Ursache von Kopfschmerzen sein.
Therapie
Konservative Therapie
Nachgewiesen ist die Wirksamkeit von Koffein, Theophyllin Gabapentin und Hydrokortison. Die entsprechende Leitlinie empfiehlt z.B.:
- Koffein 200–300 mg p.o., 3–4 x tgl. (alternative ist auch die Aufnahme durch z.B. Kaffee möglich)
- Theophyllin 200–350 mg p.o., 3 x tgl.
- Gabapentin 300 mg p.o., 1–4 x tgl.
- Hydrokortison 10 mg p.o., 1–3 x tgl.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Der Einsatz von Theophyllin wird kontrovers diskutiert, da als Nebenwirkungen u.a. Herzrhythmusstörungen auftreten können.[1]
Zudem hilft Bettruhe bzw. Flachlagerung, die Symptome zu lindern. Eine prophylaktische Bettruhe nach der Punktion ist jedoch unwirksam und wird daher nicht mehr empfohlen.
Zur Analgesie können zudem NSAR wie ASS, Paracetamol, Metamizol oder Diclofenac gegeben werden. Sind die Schmerzen hiermit nicht beherrschbar, ist auch der Einsatz von Opioiden möglich. Besteht zusätzlich Nausea, können Antiemetika sinnvoll sein.
Die Wirksamkeit von Infusionen zur vermehrten Flüssigkeitsgabe ist nicht belegt. Eine ausreichende bzw. gesteigerte orale Flüssigkeitszufuhr wird aber allgemein als hilfreich angesehen.
Invasive Therapie
Bei schwerem postspinalem Kopfschmerz (z.B. zwei Tage lang starke Kopfschmerzen) oder Versagen konservativer Maßnahmen (z.B. über vier Tage Kopfschmerz ohne Tendenz zur Besserung) sind invasive Verfahren indiziert. Dazu zählt in erster Linie der epidurale Blutpatch (EBP).
Prognose
Die Prognose der postspinalen Kopfschmerzen ist in den meisten Fällen gut. In ca. 80 % der Fälle kommt es innerhalb einer Woche zur spontanen Remission. Anhaltende Beschwerden über Wochen bis Monate sind selten.
Podcast
Einzelnachweise
- ↑ Der Kopfschmerz, Hartmut Goebel, Springer, ISBN-13 978-3540030805
Literatur
- Dieterich M. et al.: Diagnostik und Therapie des postpunktionellen und spontanen Liquorunterdruck-Syndroms, S1-Leitlinie AWMF, 2023
- Striebel: Die Anästhesie, 4. Auflage, Thieme, 2019
- Uppal et al.: Consensus Practice Guidelines on Postdural Puncture Headache From a Multisociety, International Working Group: A Summary Report. JAMA Netw Open. 2023
Bildquelle
- Bildquelle Podcast: © Midjourney