Varizellen
Synonyme: Windpocken, Varizellen-Zoster, Wasserpocken, Schafblattern
Englisch: chickenpox, chicken pox, varicella
Definition
Varizellen sind eine durch das Varizella-Zoster-Virus (VZV) aus der Familie der Herpesviren hervorgerufene Infektionskrankheit, die vorwiegend im Kindesalter auftritt.
Übertragung
Varizellen sind äußerst kontagiös. Wenn ein Familienmitglied Windpocken hat, werden sich 80 bis 90 % der anderen Familienmitglieder, die durch eine vorherige Infektion noch keine Antikörper gebildet haben, anstecken.
Die Patienten werden etwa 2 Tage vor Ausbruch des Exanthems zur Ansteckungsquelle. Die Ansteckungsgefahr dauert so lange an, bis alle Effloreszenzen verkrustet sind.
Schwangere Frauen sollten Kontakt zu Personen mit Varizellen meiden - insbesondere, wenn nicht sicher ist, ob sie schon eine Varizellen-Infektion hinter sich haben. Bei einer Infektion des Fetus, vor allem vor der 20. Schwangerschaftswoche, kann es zu Missbildungen und Abort kommen.
Symptome
Die Krankheit bricht typischerweise in den Wintermonaten oder im Frühjahr aus. Die typischen Symptome sind:
Das typische Varizellen-Exanthem zeigt kleine, rundliche rote Flecken oder Papeln, aus denen sich rasch sekretgefüllte Vesikel (Bläschen) mit entzündlichem roten Hof entwickeln. Die Vesikel verwandeln sich durch Einwanderung von Entzündungszellen in Pusteln. Nach dem Eintrocknen der Vesikel oder Pusteln bilden sich dünne Krusten. Der Ausschlag beginnt in der Regel am Rumpf und dehnt sich - in dieser Reihenfolge - auf den behaarten Kopf, das Gesicht und die Extremitäten aus. Charakteristischerweise sind die Handinnenflächen und Fußsohlen nicht vom Exanthem betroffen. Neben der Haut kann auch die Mundschleimhaut in Form eines Enanthems betroffen sein.
Das Nebeneinander neu entstehender und abheilender Hautläsionen führt zum typischen "bunten" Bild der Varizellen, das auch treffend als "Sternenhimmel" oder "Heubner'sche Sternenkarte" bezeichnet wird.
Verlauf
Die Inkubationszeit liegt zwischen 8 und 21 Tagen nach Exposition, die meisten Erkrankungen werden nach etwa 14 Tagen manifest. Insgesamt dauert die Varizellen-Erkrankung dann zwischen 7 und 10 Tagen. Bei Erwachsenen kann dieser Zeitraum verlängert sein.
In der Regel zeigen Varizellen einen milden Krankheitsverlauf. Die Infektion kann jedoch bei Kleinkindern, Erwachsenen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem schwerer verlaufen. Die häufigste Komplikation der Varizellen ist eine bakterielle Superinfektion, die vor allem die Haut, aber auch andere Organe befallen kann. Weitere ernsthafte Komplikationen sind die Viruspneumonie und die Varizellen-Enzephalitis. Die Varizellenpneumonie ist häufiger bei Erwachsenen als bei Kindern, beginnt etwa 3 bis 5 Tage nach Krankheitsausbruch und äußert sich durch Tachypnoe, Husten, Dyspnoe und Fieber. Zu ZNS-Manifestationen kommt es bei etwa 0,1 % der Erkrankungen.
Nach Abklingen der Varizellen-Infektion kann sich VZV in Neuronen der Spinalganglien vor der vollständigen Eradikation durch das Immunsystem verstecken. Es besteht dann eine latente Infektion, die zu einem späteren Zeitpunkt reaktiviert werden kann - insbesondere bei passagerer Immundefizienz. Diese Folgeerkrankung nennt man Zoster (Gürtelrose).
Bildgebung
Eine Varizellenpneumonie zeigt sich im Röntgen-Thorax durch multiple, meist bis zu 1 cm große Noduli, die im Verlauf verkalken können. Bei schwerem Verlauf entwickeln sich bilaterale alveoläre Verschattungen. Hiläre Lymphknotenschwellungen kommen vor. Eine in der Kindheit durchgemachte Varizellenpneumonie ist die häufigste Ursache für disseminierte kleine Kalkherde in beiden Lungen.
Prävention
Aktive Immunisierung
Seit Mitte der 90er Jahre sind Impfstoffe gegen Varizellen verfügbar, die in bis zu 95 % der Fälle erfolgreich sind. Die Impfung führt dazu, dass die Infektion symptomfrei oder mit generell milderer Symptomatik abläuft. Im aktuellen (2023) Impfkalender werden zwei Impfungen der Grundimmunisierung im Alter von 11 und 15 Monaten empfohlen, gängig als tetravalenter MMRV- oder Einzelimpfstoff verabreicht. Zu unterscheiden ist dieser Lebendimpfstoff vom Totimpfstoff, der vor allem im Senium indiziert ist und gegen eine Virusreaktivierung in Form eines Herpes zoster schützen soll.
Passive Immunisierung
Die Impfung ist nur erfolgreich, wenn sie vor der Exposition erfolgt. Bei Patienten mit hohem Erkrankungsrisiko kann nach mutmaßlicher Exposition innerhalb der vorangegangenen 72-96 Stunden eine passive Immunisierung mit Hyperimmunglobulin (Varicella-Zoster-Immunglobulin) erfolgen. Die übliche Dosierung beträgt 1 ml/kg KG i.v. oder 0,2 bis 0,5 ml/kgKG i.m.. Dieses Vorgehen ist u.a. indiziert bei:
- Patienten mit Leukämie, Lymphom oder HIV-Infektion
- Patienten nach Transplantation
- Neugeborenen peripartal erkrankter Mütter
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Therapie
Wie bei vielen anderen Virusinfektionen gibt es auch gegen Varizellen zur Zeit (2022) keine effektive kausale Therapie. Der beste Schutz ist die rechtzeitige Impfung.
Allgemeinmaßnahmen
- Bettruhe
- Wadenwickel bei Fieber
- Juckreizstillende Puder oder Lotionen
- Weiche, wenig säurehaltige Speisen bei Vorliegen eines Enanthems
Um das Aufkratzen der juckenden Bläschen und damit die Gefahr der bakteriellen Infektion zu vermeiden, sollten bei den erkrankten Kindern die Nägel kurz geschnitten werden.
Cave: Acetylsalicylsäure (Aspirin®) ist bei Kindern mit Varizellen gegen Fieber kontraindiziert, da die Gefahr eines Reye-Syndroms besteht. Stattdessen kann Paracetamol gegeben werden.
Virustatika
Bei Kindern über 12 Jahren können Virustatika (z.B. Aciclovir) verabreicht werden. Sie können den Krankheitsverlauf abmildern. Diese Behandlung wird vorwiegend bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem eingesetzt. Die Medikamentengabe muss innerhalb von 24 Stunden nach Ausbruch des Exanthems einsetzen, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Infektion sinkt die Effizienz.
Antibiotika
Antibiotika sind gegen Varizellen wirkungslos. Sie werden jedoch verordnet, wenn beim Patienten bakterielle Superinfektionen auftreten.
Meldepflicht
Gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) muss eine Varizellenerkrankung namentlich dem Gesundheitsamt gemeldet werden.