Schwefelwasserstoff
Synonyme: Wasserstoffsulfid, Dihydrogensulfid, Sulfan,
Englisch: hydrogen sulfide, sulfane, sulfur hydride
Definition
Schwefelwasserstoff ist eine chemische Verbindung von Wasserstoff mit Schwefel, deren Summenformel H2S lautet. Es ist ein stechend riechendes, korrosives Gas, das für die meisten Lebewesen hochtoxisch ist. In geringen Mengen wird es auch endogen im menschlichen Organismus gebildet und fungiert als Gasotransmitter.
Chemie
Schwefelwasserstoff ist farblos, leichtentzündlich, und die Löslichkeit in Wasser beträgt 6,72 g/l. Die molare Masse beträgt 34,08 g/mol. Die Siedetemperatur liegt bei –60,20 °C, weshalb Schwefelwasserstoff bei Raumtemperatur als Gas vorliegt. Die Schmelztemperatur liegt bei –85,7 °C.
Die Salze des Schwefelwasserstoffes heißen Sulfide. Schwefelwasserstoff ist durch die beiden Wasserstoffatome schwach sauer, die Salze basisch. Der erste pKa Wert liegt bei 7.
H2S ist schwerer als Luft und befindet sich somit höher konzentriert in Bodennähe. Die Löslichkeit in Wasser nimmt mit steigendem pH-Wert ab 9 aufwärts drastisch zu. Es wird durch seine toxische und korrosive Wirkung als umweltschädigender Stoff eingestuft. Die am Arbeitsplatz maximal herrschende Konzentration sollte laut dem MAK-Wert bei 7,1 mg/m3 liegen.
Vorkommen
H2S kommt in der Natur in vielen Rohstoffen wie z.B. Erdöl oder Erdgas vor. Darüber hinaus ist es als vulkanisches Gas in Quellwasser gelöst. Durch Zersetzungsprozesse oder Fäulnisprozesse von verschiedenartiger Biomasse, wie z.B. Kadaver von toten Tieren, entsteht eine große Menge an H2S. Diese sind in hohen Konzentrationen in Kanalisationen, Klärwerken, Mülldeponien oder eutrophen Seen anzutreffen.
Im menschlichen Organismus entsteht H₂S enzymatisch aus schwefelhaltigen Aminosäuren (Cystein und Methionin) durch die Enzyme Cystathionin-β-Synthase (CBS), Cystathionin-γ-Lyase (CSE) sowie 3-Mercaptopyruvat-Sulfurtransferase (3-MST). H₂S fungiert dort als sekundärer Botenstoff und beeinflusst u.a. Gefäßtonus, Neurotransmission, Entzündung und Zellstoffwechsel.
Synthese
Die technische Synthese im Labormaßstab von H2S wird durch die Reaktion von Eisensulfid (FeS) und Salzsäure (HCl) durchgeführt:
Physiologie
H₂S wird als dritter endogener Gasotransmitter neben NO und CO angesehen. Es besitzt folgende bekannte Funktionen:
- Gefäßrelaxation durch Aktivierung von ATP-sensitiven Kaliumkanälen in glatten Gefäßmuskeln
- Modulation von Entzündungsreaktionen (z.B. Hemmung von NF-κB)
- Beteiligung an Neurotransmission und Gedächtnisbildung (z.B. im Hippocampus)
- Schutz vor oxidativem Stress durch Förderung von Glutathion-Synthese und Antioxidans-Enzymen
- Stoffwechselregulation
Bei physiologischen Konzentrationen wirkt H₂S zellschützend, bei erhöhten Konzentrationen potenziell schädlich.
Toxikologie
Die Toxizität von H2S beruht auf mehreren Eigenschaften. Bei Kontakt mit Schleimhäuten und Gewebeflüssigkeiten bilden sich stark reizende Hydrogensulfide (HS-). Die Folgen sind Wassereinlagerungen, wie z.B. Lungenödeme.
H2S zerstört Hämoglobin indem es vermutlich mit dem im Hämoglobin gebundenen Eisen reagiert. Dabei geht man davon aus, dass eine Komplexierung stattfindet und dieser Komplex eine bessere Komplexbildungskonstante besitzt, als die koordinative Bindung zwischen Eisen und der Häm-Untereinheit. Somit kann das Eisen aus Hämoglobin extrahiert werden. Die Folge ist eine Lähmung der intrazellulären Atmung, da ohne Hämoglobin kein Sauerstofftransport stattfindet. Der genaue Reaktionsmechanismus ist jedoch bisher (2025) noch unklar.
Schwefelwasserstoff schädigt das zentrale Nervensystem, wobei in Studien selten auch eine Schädigung des peripheren Nervensystems beobachtet wurde. Die Konzentration und die Expositionsdauer entscheiden über die Toxizität von H2S. Unter 250 ppm leidet man an Reizungen und geringfügigen Beschwerden wie Benommenheit, Schwindel oder Übelkeit. Ab 250 ppm werden die Geruchsrezeptoren betäubt, sodass der weitere Anstieg der Konzentration fast immer unbemerkt bleibt. Dies ist eines der größten Gefahrenpotentiale dieses Gases. Ab 500 ppm tritt nach Übelkeit, Schwindel und Krämpfen die Bewusstlosigkeit ein. Der lebensgefährliche Zustand wird bei einer Konzentration von 500 ppm nach 30-minütiger Exposition erreicht. 1000 ppm ist in wenigen Minuten lebensgefährlich. Ab Konzentrationen von 0,1 % (1000 ppm) tritt die Bewusstlosigkeit nach wenigen Atemzügen ein. Bei einer Konzentration von 5000 ppm tritt der Tod nach wenigen Sekunden ein.
Der Körper kann in den Mitochondrien H2S zu Sulfit und dann zu Sulfat oxidieren, die unschädlich für den Organismus sind. Durch einen Enzymkomplex aus Sulfid-Chinon-Oxidoreduktase, Schwefeldioxygenase und Rhodanase wird das Hydrogensulfid zu Thiosulfat umgewandelt:
Nach diesem Schritt stehen zwei weitere Umwandlungsprozesse zur Verfügung, die meist beide parallel ablaufen:
Thiosulfat wird mit Glutathion und durch das Enzym Thiosulfatreduktase zu Sulfit umgewandelt:
Thiosulfat wird durch die Thiosulfat-Schwefeltransferase zu Sulfit umgewandelt:
Als letzter Schritt oxidiert die Sulfitoxidase das entstandene Sulfit zu Sulfat:
Quellen
- Munteanu et al., Hydrogen Sulfide: An Emerging Regulator of Oxidative Stress and Cellular Homeostasis—A Comprehensive One-Year Review, Antioxidants (Basel), 2023