Rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie
Englisch: right ventricular outflow tract tachycardia
Definition
Die rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie, kurz RVOT-VT, ist die häufigste Form der idiopathischen ventrikulären Tachykardie (VT). Sie tritt überwiegend bei jungen Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung auf und verläuft in den meisten Fällen benigne.
Epidemiologie
Die RVOT-VT macht etwa 70–80 % aller idiopathischen VTs aus. Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung wird auf etwa. 30 bis 60 Fälle pro 100.000 Personen geschätzt, wobei viele Patienten aufgrund milder oder fehlender Symptome unerkannt bleiben. Die Erkrankung tritt typischerweise bei Erwachsenen zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr auf. Frauen sind etwas häufiger betroffen. Die RVOT-VT wird häufig bei sportlich aktiven Personen und nur selten familiär gehäuft beobachtet.
Ätiopathogenese
Die RVOT-VT gehört zu den idiopathischen ventrikulären Tachykardien, das heißt, sie tritt ohne erkennbare strukturelle Ursache auf. Der exakte Entstehungsmechanismus ist derzeit (2025) nicht vollständig geklärt, gilt aber als getriggerte Aktivität auf Basis einer intrazellulären Calciumüberladung. Sympathische Stimulation, z.B. durch körperliche Belastung, Stress oder Stimulanzien (Koffein, Nikotin), führt zu einem gesteigerten cAMP-Spiegel in den Kardiomyozyten. Dies bewirkt eine vermehrte Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und kann verzögerte Nachdepolarisationen (DADs) auslösen. Wenn diese DADs ein Schwellenpotenzial erreichen, kommt es zu fokalen Depolarisationen, die eine monomorphe ventrikuläre Tachykardie initiieren. Bei Frauen können auch hormonelle Schwankungen, etwa im Rahmen des Menstruationszyklus, eine Rolle spielen.
Der Entstehungsort liegt in über 80 bis 90 % im Myokard des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (RVOT), seltener im linken Ausflusstrakt (LVOT) oder im oberen Septum. Anatomische Besonderheiten wie dünnwandiges Myokard und hohe Dichte adrenerger Rezeptoren im RVOT begünstigen die Entstehung dieser Arrhythmien.
Klinik
Die klinische Symptomatik der rechtsventrikulären Ausflusstrakttachykardie ist meist unspezifisch und variiert je nach Häufigkeit und Dauer der Arrhythmieepisoden. Typische Beschwerden sind Palpitationen, oft begleitet von Schwitzen, Unwohlsein, Belastungsdyspnoe oder thorakalen Missempfindungen bis hin zu Angina-pectoris-ähnlichen Symptomen. Bei längeren Tachykardieepisoden kann es zu Präsynkopen kommen.
In der Mehrzahl der Fälle verläuft die RVOT-VT benigne und ist hämodynamisch gut toleriert, häufig bleibt sie sogar asymptomatisch. Synkopen oder ein plötzlicher Herztod sind extrem selten. Treten diese jedoch auf, muss immer eine strukturelle Herzerkrankung – insbesondere eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC) – differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
Diagnostik
Die Diagnostik der rechtsventrikulären Ausflusstrakttachykardie zielt darauf ab, die idiopathische, benigne Tachykardieform sicher von strukturellen Herzerkrankungen abzugrenzen. Hierzu werden klinische, elektrokardiographische und bildgebende Verfahren kombiniert.
EKG
Das 12-Kanal-EKG ist der Schlüsselbefund für die Diagnose der RVOT-VT. Die typischen EKG-Veränderungen spiegeln den Ursprung im rechtsventrikulären Ausflusstrakt wider. Typische Kriterien sind:
- Monomorphe ventrikuläre Tachykardie, meist regelmäßig.
- Linksschenkelblock-Morphologie der QRS-Komplexe (negatives QRS in V1, positives QRS in lateralen Ableitungen).
- Inferiore Herzachse: QRS-Komplexe positiv in II, III und aVF
- Relativ schmaler QRS-Komplex: < 140 ms (Abgrenzung zu VT bei struktureller Herzerkrankung).
- rS-Komplex in V1, hoher R in V6.
- R/S-Umschlag typischerweise nach V3 (bei septalem Ursprung vor V3)
EKG-Beispiel
Bildgebung
Die Bildgebung dient dem Ausschluss struktureller Herzerkrankungen.
Die Echokardiographie ist die initiale Methode der Wahl, um die Ventrikelgröße und -funktion zu beurteilen. Bei idiopathischer RVOT-VT zeigt sich typischerweise eine normale rechts- und linksventrikuläre Morphologie ohne regionale Wandbewegungsstörungen.
Die Kardio-MRT ist die sensitivste Methode zur Detektion subtiler struktureller Veränderungen des RVOT und dient zusätzlich der Gewebecharakterisierung. Ein unauffälliger MRT-Befund unterstützt die Diagnose einer idiopathischen RVOT-VT. Subtile Veränderungen wie fokale Fibrosen erfordern eine sorgfältige Differenzialdiagnose, insbesondere zur ARVC. Typische ARVC-Zeichen wie fibrotisches oder fettiges Gewebe mittels Late-Gadolinium-Enhancement (LGE) werden bei der idiopathischen RVOT-VT nicht gefunden. Die MRT kommt insbesondere bei Patienten mit Synkopen, familiärer Häufung oder atypischen EKG-Merkmalen zum Einsatz.
Elektrophysiologische Untersuchung
Die elektrophysiologische Untersuchung (EPU) ermöglicht die lokale Zuordnung des Ursprungsortes der Tachykardie und kann zugleich therapeutisch genutzt werden. Im Mapping zeigt sich ein fokaler Ursprung typischerweise im Bereich der freien RVOT-Wand oder des septalen Ausflusstrakts.
Indikation zur EPU sind:
- Symptomatische Patienten mit häufigen Tachykardieepisoden
- Vor geplanter Katheterablation
- Abklärung unklarer Rhythmusstörungen bei Verdacht auf ARVC oder atypische Morphologien
Adenosintest
Der Adenosintest ist ein diagnostisches Hilfsmittel, um zwischen einer idiopathischen, fokal getriggerten RVOT-VT und einer VT im Rahmen einer strukturellen Herzerkrankung zu unterscheiden.
Ein positiver Test liegt vor, wenn die Gabe von Adenosin zur sofortigen Terminierung der Tachykardie führt. Dies ist typisch für eine idiopathische RVOT-VT (cAMP-vermittelten Mechanismus).
Ein negativer Test liegt vor, wenn die Gabe von Adenosin keine Beendigung der VT bewirkt. In diesem Fall besteht der Verdacht auf eine ARVC oder eine andere strukturelle Ursache, zum Beispiel einen Reentry-Mechanismus. Hier sind weiterführende Bildgebung und eine molekulargenetische Diagnostik erforderlich.
Differentialdiagnosen
Die RVOT-VT muss sorgfältig von anderen ventrikulären und supraventrikulären Tachykardien abgegrenzt werden, da Therapie und Prognose stark variieren:
- ARVC: Strukturelle Veränderungen in Echo/MRT, kein Ansprechen auf Adenosin, oft familiäre Häufung, breiterer QRS, höheres Risiko für plötzlichen Herztod
- Faszikuläre VT: Rechtsschenkelblock-Morphologie im EKG, Ursprung im LV, gute Adenosin- oder Verapamil-Wirkung
- Supraventrikuläre Tachykardien mit aberranter Leitung: P-Wellen-Beziehung erkennbar, kein monomorphes Muster, oft variable Morphologie
- KHK bzw. VT durch Myokardnarben: Strukturelle Herzveränderungen, breiter QRS, Vorgeschichte Myokardinfarkt
- Idiopathische LVOT-VT: Ähnlicher Mechanismus, Ursprung im linken Ausflusstrakt, andere EKG-Morphologie
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der hämodynamischen Situation und den Symptomen der Patienten. Da die RVOT-VT in den meisten Fällen benigne ist, stehen minimal-invasive Verfahren im Vordergrund. Im Falle einer seltenen hämodynamisch instabilen VT wird eine sofortige synchronisierte elektrische Kardioversion durchgeführt. Bei stabiler VT in der Akutsituation helfen folgende Maßnahmen:
- Vagusmanöver als erster Versuch
- Intravenöse Gabe von Adenosin oder Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ zur Terminierung
Die Langzeittherapie umfasst:
- Katheterablation: Methode der Wahl bei symptomatischen Patienten oder sehr häufigen Tachykardieepisoden. Erfolgsrate > 90 %, Rezidivrate gering.
- Medikamentöse Therapie: Bei nicht ablationsfähigen Patienten oder Rezidiven werden Betablocker oder Calciumantagonisten eingesetzt. Sotalol oder Flecainid sind nur in Einzelfällen indiziert.
Literatur
- Stanford Healthcare: Right Ventricular Outflow Tract Tachycardia, abgerufen am 22.01.2022
- Dr. Smith ECG Blog Regular Wide Complex Tachycardia. What is the Diagnosis?, abgerufen am 22.01.2022
- www.circulation.or.kr, abgerufen am 22.01.2022
- Robert Buttner, Ed Burns: Right Ventricular Outflow Tract Tachycardia, LITFL Mar 7, 2021, abgerufen am 22.01.2022
- Springer Medizin - Ausflusstrakttachykardie, abgerufen am 28.07.2022
- Zeppenfeld K, Tfelt-Hansen J, de Riva M, et al. 2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death. Eur Heart J. 2022