Nervensonographie
Synonym: Neurosonographie peripherer Nerven, periphere Nervensonographie
Englisch: nerve ultrasound, peripheral nerve ultrasonography
Definition
Die Nervensonographie ist ein hochauflösendes, nichtinvasives Ultraschallverfahren zur morphologischen Darstellung peripherer Nerven. Sie wird zur Diagnostik, Differenzialdiagnostik und Verlaufskontrolle von Erkrankungen des peripheren Nervensystems eingesetzt. Dabei ergänzt sie elektrophysiologische Untersuchungen.
Technik
Die Untersuchung erfolgt mit hochfrequenten Linearschallköpfen, in der klinischen Praxis überwiegend im Bereich von etwa 12 bis 18 MHz, bei modernen Systemen auch darüber. Periphere Nerven zeigen im Querschnitt ein charakteristisches Faszikelmuster mit hypoechogenen Faszikelstrukturen und hyperechogenem Epineurium („Wabenstruktur“). Im Längsschnitt ergibt sich eine strähnige, fibrilläre Darstellung.
Erfasst werden insbesondere die Querschnittsfläche (CSA, cross-sectional area), die Echogenität, die Faszikelstruktur, die Nervenkontur sowie die Vaskularisation im Farbdoppler. Ein Seitenvergleich und die Orientierung an Normwerten sind essenziell, da interindividuelle anatomische Unterschiede bestehen.
Die Nervensonographie liefert direkte strukturelle und topographische Informationen über den Nerv und seine Umgebung und erlaubt dadurch eine Lokalisation und Charakterisierung fokaler oder diffuser Läsionen, etwa bei Engpasssyndromen, traumatischen Schädigungen oder Tumoren.
Formen
Je nach klinischer Fragestellung unterscheidet man:
- eine fokale Nervensonographie bei lokalisierten Läsionen (z.B. Karpaltunnelsyndrom)
- eine systematische bzw. segmentale Untersuchung bei generalisierten oder multifokalen Neuropathien
- eine dynamische Untersuchung (z.B. zum Nachweis einer Ulnaris-Subluxation)
Abzugrenzen von der (diagnostischen) Nervensonographie sind interventionelle Anwendungen in der Anästhesiologie und Schmerztherapie.
siehe auch: Ultraschallgeführte Regionalanästhesie
Anwendung
Untersuchungsorte, Landmarken und CSA-Normwerte für CSA
Standardisierte Landmarken ermöglichen eine reproduzierbare Untersuchung und den Vergleich mit Referenzwerten. Die Normwerte sind populationsabhängig und variieren u.a. in Abhängigkeit von Alter, Körpergröße und Habitus. Sie müssen immer im klinischen Kontext interpretiert werden.[1][2][3][4]
| Nerv | Untersuchungsort | CSA-Normwerte (Erwachsene) |
|---|---|---|
| Nervus medianus | proximal des Retinaculum flexorum | ca. 6–10 mm² |
| Nervus ulnaris | Sulcus ulnaris | ca. 4–8 mm² |
| Nervus peroneus communis | Fibulaköpfchen | ca. 8–12 mm² |
| Nervus tibialis | Tarsaltunnel | ca. 8–12 mm², meist ≤ 12 mm² |
Indikation
Die Nervensonographie ist insbesondere indiziert bei:
- Entrapment-Neuropathien (z.B. Karpaltunnelsyndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom)
- traumatischen Nervenläsionen
- Polyneuropathien (z.B. diabetisch, hereditär, entzündlich wie CIDP oder MMN)
- Tumoren peripherer Nerven (z.B. Schwannome, Neurofibrome)
- postoperativen Verlaufskontrollen
Sie wird zudem bei Plexusläsionen sowie in der pädiatrischen Neurologie, etwa bei geburtstraumatischen Plexusparesen oder hereditären Neuropathien, eingesetzt.
Typische sonographische Befunde
| Erkrankung | Typischer sonographischer Befund |
|---|---|
| Karpaltunnelsyndrom | Vergrößerte CSA des Nervus medianus, verminderte Echogenität |
| Sulcus-ulnaris-Syndrom | Lokale Nervenschwellung, ggf. dynamische Subluxation |
| Polyneuropathie | Diffuse Nervenschwellung, gestörte Faszikelstruktur |
| CIDP/MMN | Segmentale, multifokale Nervenschwellungen |
| Schwannom/Neurofibrom | Umschriebene hypoechogene Raumforderung in Kontinuität mit dem Nerven |
| Nervenruptur | Kontinuitätsunterbrechung, evtl. Neurombildung |
Vorteile
Die Nervensonographie ist ein nichtinvasives und strahlenfreies Verfahren, das eine schnelle morphologische Beurteilung peripherer Nerven ermöglicht. Sie erlaubt dynamische Untersuchungen und eignet sich besonders für Verlaufsbeurteilungen. Im Vergleich zu anderen Untersuchungen (z.B. MRT-Neurographie) ist sie deutlich kostengünstiger.
Nachteile
Limitiert ist das Verfahren durch die ausgeprägte Untersucherabhängigkeit sowie durch die eingeschränkte Darstellbarkeit sehr tief gelegener Nerven oder komplexer Plexusstrukturen. Zudem ermöglicht es keine direkte Aussage zur funktionellen Leitfähigkeit, sodass elektrophysiologische Verfahren weiterhin erforderlich sind.
Die Aussagekraft der Nervensonographie kann durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden. Eine zentrale Fehlerquelle ist die Anisotropie, bei der es bei schrägem Einstrahlwinkel zu scheinbaren Echogenitätsveränderungen kommt. Ein zu starker Schallkopfdruck kann zu Kompressionsartefakten und damit zu einer Unterschätzung der Nervengröße führen. Darüber hinaus bestehen interindividuelle Unterschiede der Querschnittsfläche, beispielsweise in Abhängigkeit von Körpergröße und Habitus.
Literatur
- Gallardo et al., Ultrasound in the diagnosis of peripheral neuropathy: structure meets function in the neuromuscular clinic, J Neurol Neurosurg Psychiatry, 2015
- Zhu und Padua, Ultrasound as the first choice for peripheral nerve imaging?, Neurology, 2013
- Goedee et al., High resolution sonography in the evaluation of the peripheral nervous system in polyneuropathy – a review of the literature, Eur J Neurol, 2013
Quellen
- ↑ Senarai et al., Normative Reference Values of the Tibial Nerve in Healthy Individuals Using Ultrasonography: A Systematic Review and Meta-Analysis, J Clin Med, 2023
- ↑ Roll et al., Sonographic reference values for median nerve cross-sectional area: A meta-analysis of data from healthy individuals, J Diagn Med Sonogr, 2023
- ↑ Fisse et al., Cross-sectional area reference values for peripheral nerve ultrasound in adults: A systematic review and meta-analysis – Part II: Lower extremity nerves, Eur J Neurol, 2021
- ↑ Schelle et al., Methodik und was kann die Nervensonografie, Klin Neurophysiol, 2015