MINOCA
Synonym: Myokardinfarkt ohne obstruktive Atherosklerose, Myokardinfarkt mit nichtobstruktiven Herzkranzgefäßen
Englisch: myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries, MINOCA
Definition
MINOCA steht für einen Myokardinfarkt ohne obstruktive Atherosklerose. Mit diesem Akronym labelt man Infarkte, bei denen das Myokard durch eine akute Ischämie geschädigt wird, ohne dass angiographisch relevante Koronarstenosen nachweisbar sind. Ursächlich für einen MINOCA kann eine Vielzahl von Krankheitsbildern sein. Am häufigsten sind Plaquerupturen und/oder Koronarspasmen.
Epidemiologie
Bei etwa 5 bis 11 % aller akuten Myokardinfarkte zeigt sich in der Koronarangiographie kein Hinweis auf eine relevante koronare Herzerkrankung (KHK). Diese akuten Myokardinfarkte werden als MINOCA klassifiziert. Ein MINOCA tritt häufiger bei Frauen auf. Im Vergleich sind MINOCA-Patienten häufiger jünger und haben seltener typische kardiale Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Hypertonie oder Dyslipidämie. Ein MINOCA tritt häufiger in Form eines NSTEMI als in Form eines STEMI auf.
Ätiologie
Die genauen Mechanismen des MINOCA sind noch (2023) unklar. Die Ursachen sind heterogen und führen ggf. erst in Kombination zu einer ischämischen Myokardschädigung:
- Plaqueruptur (häufigste Ursache, ca. 40 %)
- Koronarer Vasospasmus
- Spontane Koronardissektion
- Mikrovaskuläre Ursachen
- Koronare Thromboembolie
- Koronare mikrovaskuläre Dysfunktion (KMD)
- Akute Mikrozirkulationsstörung
- Myokardinfarkt Typ 2
- Aortendissektion mit Involvierung der Koronararterien
Myokarditis und das Takotsubo-Syndrom werden in den neuen Leitlinien der European Society of Cardiology (2020) nicht mehr als Ursachen eines MINOCA gezählt, sondern als eigenständige Krankheitsbilder gewertet. Der Grund dafür ist, dass sie zwar die klinische Präsentation eines MINOCA nachahmen können, aber keinen ischämischen Myokardschaden hervorrufen. Genauso verhält es sich bei anderen Erkrankungen (z.B. Lungenarterienembolien). Bei 20 % der Patienten stellt sich im Verlauf eine alternative Ursache des Myokardinfarkts heraus. In etwa 8 bis 25 % der Fälle eines MINOCA lässt sich keine konkrete Ursache nachweisen.
Symptome
Die Patienten klagen über die typischen Symptomen eines akuten Myokardinfarkts. Dazu gehören u.a.:
- Angina pectoris: anfallsartiger thorakaler bzw. retrosternaler Schmerz
- Schmerzausstrahlung in Schulter, Arm, Kiefer, Rücken oder Oberbauch
- Dyspnoe
- Kaltschweißigkeit
- Übelkeit
Diagnosekriterien
Laut ESC müssen folgende Kriterien zur Diagnosestellung eines MINOCA erfüllt sein:[1]
- Troponinerhöhung mit infarkttypischem Verlauf ("rise and fall") und mindestens eines der folgenden infarkttypischen Symptome:
- Angina pectoris
- typische EKG-Veränderungen (ST/T-Veränderungen, neu aufgetretener Linksschenkelblock)
- Ausbildung von Q-Zacken
- Nachweis von Myokardschäden in der Bildgebung oder neue regionale Wandbewegungsstörung
- Identifikation eines Koronarthrombus in der Angiographie oder Autopsie
- Keine Koronarstenosen ≥ 50 % in einem epikardialen Hauptgefäß in der Angiographie
- Keine spezifische alternative Diagnose für die klinische Präsentation. Alternative Diagnosen umfassen unter anderem Sepsis, Lungenembolie und Myokarditis
Diagnostik
MINOCA sollte bei einem akuten Myokardinfarkt ohne relevante Koronarstenose (≥ 50 %) als Arbeitsdiagnose gelten, bis andere Ursachen für eine Troponinerhöhung ausgeschlossen sind. Mögliche Mittel zur Diagnosestellung sind:
- Ausführliche Anamnese zum Ausschluss nicht-ischämischer Ursachen (z.B. Sepsis)
- Echokardiographie zur Identifikation von Wandbewegungsstörungen
- LV-Angiographie zur Bestätigung eines Takotsubo-Syndroms
- Kardio-MRT: gilt als Goldstandard
- Wiederholung der Angiographie zum Ausschluss von übersehenen Obstruktionen
- Intravaskuläre Bildgebung bei Verdacht auf Plaqueruptur
- optische Kohärenztomographie (OCT)
- IVUS (invasive intravascular imaging technology)
- Intrakoronare Funktionstestung (Acetylcholin/Ergometrin) zur Feststellung von Vasospasmen
- Transösophageale Echokardiographie (TEE) bei Verdacht auf Mikroembolien
Eine Überdiagnostik sollte vermieden werden.
Therapie
Zurzeit (2023) gibt es keine klaren Leitlinien zur Behandlung und Sekundärprävention des MINOCA. Die Therapie orientiert sich an der vorliegenden Grunderkrankung. In klinischen Studien hat eine Sekundärprävention mit ACE-Hemmern/AT1-Rezeptorblockern, Statinen, Betablockern und Calciumkanalblockeren langfristig die Prognose nach MINOCA verbessert. Die duale antithrombozytäre Therapie (DAPT) wird kontrovers diskutiert.
Wenn keine Ursache nachzuweisen ist, sollten MINOCA-Patienten dieselbe Behandlung und Vorsorge wie nach einem Myokardinfarkt mit obstruktiver KHK erhalten.
Prognose
In Studien hatten MINOCA-Patienten eine bessere Prognose als Patienten nach obstruktivem Myokardinfarkt. Im Vergleich zu gesunden Personen liegt ihre Überlebensrate jedoch niedriger. Die 1-Jahres-Mortalität von MINOCA bei STEMI liegt bei ca. 4,5 %. Fast ein Viertel der Patienten mit MINOCA erleben innerhalb von 4 Jahren noch ein schweres kardiales Ereignis. Nach fünf Jahren liegt die Mortalitätsrate nach MINOCA bei ungefähr 11 %.
Die Diagnose MINOCA wird zum Teil verkannt. Wird sie nicht richtig gestellt, erhalten Patienten häufig keine adäquate Sekundärprophylaxe.
Literatur
- Reynolds HR, Maehara A, Kwong RY, et al. Coronary Optical Coherence Tomography and Cardiac Magnetic Resonance Imaging to Determine Underlying Causes of Myocardial Infarction With Nonobstructive Coronary Arteries in Women. Circulation. 2021;143(7):624-640. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.120.052008.
- Gue YX, Kanji R, Gati S, Gorog DA. MI with Non-obstructive Coronary Artery Presenting with STEMI: A Review of Incidence, Aetiology, Assessment and Treatment. Eur Cardiol. 2020;15:e20-e20. doi:10.15420/ecr.2019.13.
- Collet J-P, Thiele H, Barbato E, et al. 2020 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2020. doi:10.1093/eurheartj/ehaa575.
- Abdu FA, Mohammed A-Q, Liu L, Xu Y, Che W. Myocardial Infarction with Nonobstructive Coronary Arteries (MINOCA): A Review of the Current Position. Cardiology. 2020;145(9):543-552. doi:10.1159/000509100.
Quellen
- ↑ Thiele H, Bauersachs J, Mehilli J, Möllmann H, Landmesser U, Jobs A. Kommentar zu den 2020er Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum Management des akuten Koronarsyndroms bei Patienten ohne persistierende ST-Strecken-Hebung. Kardiologe. 2021;15(1):19-31. doi:10.1007/s12181-020-00442-9.
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