Neugeborenenikterus
Synonyme: Icterus neonatorum, Hyperbilirubinämie des Neugeborenen
Englisch: neonatal jaundice, neonatal hyperbilirubinemia
Definition
Verlaufsformen
In der Pädiatrie werden verschiedene Verlaufsformen des Neugeborenenikterus unterschieden.
Physiologischer Neugeborenenikterus
Der sogenannte physiologische Neugeborenenikterus tritt am 3.-6. Lebenstag des Säuglings auf und bildet sich bis zum 10. Lebenstag zurück. Ursache des physiologischen Neugeborenenikterus ist ein Zusammentreffen von vermehrtem Hämoglobin-Abbau und unreifer Leberfunktion. Durch den Ersatz des fetalen Hämoglobins kommt es zu einem vermehrten Anfall von unkonjugiertem, wasserunlöslichem Bilirubin. Dieses indirekte Bilirubin kann nicht schnell genug durch die UDP-Glucuronyltransferase der Leber in direktes (konjugiertes, wasserlösliches) Bilirubin umgesetzt werden. Entsprechend entsteht eine indirekte Hyperbilirubinämie.
Bei gestillten Neugeborenen kann zusätzlich durch Bestandteile der Muttermilch die Aktivität der Glukuronyltransferasen gehemmt werden - in diesen Fällen wird auch von einem Muttermilchikterus gesprochen.
Icterus praecox
Als Icterus praecox wird ein im Gegensatz zum physiologischen Neugeborenenikterus bereits am ersten Lebenstag vorhandener Ikterus bezeichnet. Dabei steigt das Bilirubin bereits sehr früh - innerhalb der ersten 36 Lebensstunden - auf Werte über 12 mg/dl an. Der Icterus praecox wird meist durch eine AB0-Blutgruppenunverträglichkeit verursacht.
Icterus gravis
Beim Icterus gravis übersteigt die Bilirubinkonzentration 20 mg/dl beim reifen Neugeborenen. Bei unreifen Neugeborenen ist die Grenze zum Icterus gravis tiefer anzusetzen. Hier besteht je nach Gewicht und Alter in Schwangerschaftswochen bereits ab einer Erhöhung auf 10 mg/dl ein Icterus gravis.
Icterus prolongatus
Der Icterus prolongatus ist durch einen länger als zwei Wochen fortbestehenden Neugeborenenikterus gekennzeichnet.
Klinik
Die Säuglinge werden durch das ikterische Hautkolorit auffällig. Diagnostisch werden das direkte und indirekte Bilirubin bestimmt, um eine Aussage über Schweregrad und Ursache treffen zu können. Zusätzlich wird ein Blutbild mit Retikulozytenzahl erstellt und eine Kontrolle der Elektrolyte vorgenommen.
Je nach angenommener Ursache kann eine weitere Leberdiagnostik erforderlich sein (Transaminasen, Hepatitis-Nachweis). Auch sollten Infektparameter kontrolliert werden. Abweichungen vom Verlauf des physiologischen Neugeborenenikterus sollten immer Anlass zur weiteren Diagnostik und Klärung der Ursache sein.
Ohne Therapie kann ein schwerer Ikterus zum Kernikterus führen, bei dem es durch Bilirubin zu irreversibler toxischer Schädigung von Basalganglien und Hirnnervenkernen kommt.
Ursachen
Die Ursachen des Neugeborenenikterus sind vielfältig. Grundsätzlich sollte systematisch zwischen direkter und indirekter Hyperbilirubinämie und ihren Ursachen unterschieden werden.
Ursachen indirekter Hyperbilirubinämie
Eine indirekte Hyperbilirubinämie als Grundlage des Neugeborenenikterus tritt beim physiologischen Ikterus, einer vermehrten Bilirubinbildung und bei primären sowie sekundären Störungen des Bilirubinstoffwechsels auf.
Gängige Ursachen der indirekten Hyperbilirubinämie sind unter anderem:
- Hämatom (z.B. ausgedehntes Kephalhämatom)
- Morbus haemolyticus neonatorum
- Spätabnabelung (maternofetale Transfusion)
- fetofetale Transfusion
- Enzym- oder Strukturdefekte der Erythrozyten (z.B. Favismus, Sphärozytose)
- Polyzythämie
- Mekoniumileus und Atresien des Gastrointestinaltraktes
- Hypoxie
- Hypothyreose
- Hungerzustände mit Energiemangel
- maternaler Diabetes mellitus
- Crigler-Najjar-Syndrom
Ursachen direkter Hyperbilirubinämie
Bei einer direkten Hyperbilirubinämie wird das anfallende Bilirubin ausreichend konjugiert, häuft sich jedoch als direktes Bilirubin an.
Ursachen hierfür können unter anderem sein:
- Hepatitis (z.B. Virushepatitis, Riesenzellhepatitis des Neugeborenen oder Hepatitis bei Neugeborenensepsis)
- Stoffwechselstörungen
- extrahepatische Cholestase (z.B. bei Gallengangsatresie)
Therapie
Die Therapie eines Neugeborenenikterus hat das Ziel, den Kernikterus als wichtigste Komplikation zu verhindern. Die Gefahr eines Kernikterus besteht ab einem Bilirubinspiegel von 20 mg/dl. Jedoch liegt diese Grenze bei Frühgeborenen teilweise deutlich niedriger.
Therapeutische Optionen bei einer relevanten Hyperbilirubinämie sind die Blaulicht-Fototherapie und die Austauschtransfusion. Durch die Therapie des Neugeborenenikterus ist der gefürchtete und zu schwerer geistiger und körperlicher Behinderung führende Kernikterus in funktionierenden Gesundheitssystemen eine Rarität geworden.
Blaulicht-Fototherapie
Bei der Blaulicht-Fototherapie wird durch Beleuchtung des Kindes mit Licht der Wellenlängen im blauen Bereich (430-490 nm, 30 μW/cm2) das unkonjugierte Bilirubin photochemisch in wasserlösliche Bilirubinderivate umgesetzt. Dadurch kann eine Ausscheidung erfolgen. Für Frühgeborene wird die Blaulicht-Fototherapie bei Werten ab ca. 10 mg/dl empfohlen, bei reifen Neugeborenen liegt die Grenze höher. Generell bestehen abhängig von Lebenstag, Reifezustand und Ausmaß der Hyperbilirubinämie Therapie-Richtlinien.
Bei der Durchführung der Fototherapie ist unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (vermehrtes Schwitzen unter der Lampe) und Augenschutz zu achten. Eine wichtige Kontraindikation ist eine deutliche direkte Hyperbilirubinämie, da es zu irreversiblen Veränderungen der Hautfarbe kommen kann (Bronze-Baby-Syndrom).
siehe Hauptartikel: Phototherapie
Austauschtransfusion
Die Austauschtransfusion ist dann indiziert, wenn durch die intermittierende Fototherapie kein ausreichender Behandlungserfolg gewährleistet oder zu erwarten ist. Dabei wird nahezu das gesamte Blutvolumen des Neugeborenen durch blutgruppengleiches Blut ersetzt, welches für das Antigen negativ ist, gegen das die Mutter immunisiert wurde. Beim häufigsten mütterlichen Antikörper, Anti-D, wird also rhesusnegatives (D-negatives) Blut verwendet. Der Zugang erfolgt meistens über die Vena umbilicalis, die in den ersten Tagen noch nicht obliteriert ist.
Schrittweise wird das kindliche Blut abgezogen und durch Fremdblut ersetzt. Dabei wird in der Regel ein Volumen von 500 ml umgesetzt, also etwa das zweifache Blutvolumen des Neugeborenen getauscht. Dies ist notwendig, da das kindliche Blut nur schrittweise verdünnt, aber nicht tatsächlich "getauscht" werden kann, da immer ein ausreichendes Blutvolumen in der Zirkulation bleiben muss.