Histondeacetylase
Synonym: Histon-Deacetylase
Englisch: histone deacetylase
Definition
Die Histondeacetylasen, kurz HDACs, sind Enzyme, die Acetylgruppen von den ε-Aminogruppen der Lysinreste an Histonproteinen abspalten. Dieser Vorgang führt zur Verdichtung der Chromatinstruktur und bewirkt somit eine Repression der Transkription. HDACs spielen daher eine zentrale Rolle in der epigenetischen Genregulation.
Klassifikation
HDACs werden anhand ihrer Sequenzhomologie und Co-Faktor-Abhängigkeit in vier Hauptklassen eingeteilt. Die Klassen I, II und IV sind Zink-abhängige Deacetylasen, während die Klasse III (Sirtuine) NAD⁺-abhängig ist.
| Klasse | Vertreter | Lokalisation |
|---|---|---|
| Klasse I | HDAC1, HDAC2, HDAC3, HDAC8 | vorwiegend nukleär |
| Klasse IIa | HDAC4, HDAC5, HDAC7, HDAC9 | Zellkern und Zytoplasma ("shuttle") |
| Klasse IIb | HDAC6, HDAC10 | hauptsächlich zytoplasmatisch |
| Klasse III (Sirtuine) | SIRT1–SIRT7 | Zellkern, Mitochondrien, Zytoplasma |
| Klasse IV | HDAC11 | Zellkern und Zytoplasma |
Funktion
Histonproteine
Die Histonacetylierung führt zu einer Auflockerung der Chromatinstruktur, wodurch Transkriptionsfaktoren und RNA-Polymerasen besser an die DNA binden können. HDACs wirken diesem Prozess entgegen, indem sie die Acetylgruppen wieder entfernen:
- Die Deacetylierung der Lysinreste erhöht die positive Ladung der Histonproteine.
- Dadurch verstärken sich die elektrostatischen Wechselwirkungen mit dem negativ geladenen DNA-Rückgrat, was zu einer höheren Chromatinkondensation führt.
- In der Folge werden Transkriptionsfaktoren verdrängt und die Genexpression reprimiert.
Nicht-Histon-Proteine
Neben Histonproteinen deacetylisieren HDACs auch zahlreiche andere Substrate und beeinflussen dadurch verschiedene zelluläre Signalwege. Zu den wichtigsten zählen:
- Transkriptionsfaktoren wie p53, NF-κB, STAT3 oder HIF-1α
- Chaperone wie HSP90
- Zytoskelettproteine wie α-Tubulin (v.a. durch HDAC6)
- DNA-Reparaturproteine wie Ku70
Durch diese Vielfalt an Substraten sind HDACs an weiteren zellulären Prozessen beteiligt, etwa an der Zellzyklussteuerung (v.a. im Übergang von der G1- in die S-Phase), an DNA-Reparaturmechanismen, der Zelldifferenzierung und der Apoptosekontrolle.
Klinische Relevanz
Eine Fehlregulation der HDAC-Aktivität ist bei vielen Erkrankungen nachweisbar, u.a. bei
- Krebserkrankungen: Überexpression bestimmter HDACs kann zur epigenetischen Repression von Tumorsuppressorgenen führen; besonders HDAC1, HDAC2 und HDAC3 sind in verschiedenen Tumorarten (z.B. Kolonkarzinom, Prostatakarzinom, Mammakarzinom, Lungenkarzinom) überrepräsentiert.
- Neurodegenerative Erkrankungen: Fehlregulierte Deacetylierungsprozesse tragen zur Aggregatbildung und zum neuronalen Zelltod bei (z.B. Morbus Alzheimer, Morbus Huntington, Morbus Parkinson).
- Entzündliche und metabolische Erkrankungen: HDACs modulieren die Aktivität von NF-κB und beeinflussen damit Entzündungsreaktionen und Insulinsensitivität.
Pharmakologie
Die Hemmung von HDACs stellt ein etabliertes therapeutisches Konzept dar, insbesondere in der Onkologie. HDAC-Inhibitoren (HDACi) bewirken eine Hyperacetylierung von Histon- und Nicht-Histon-Proteinen. Dadurch können zuvor reprimierte Gene reaktiviert und Prozesse wie Apoptose, Zelldifferenzierung oder Zellzyklusarrest ausgelöst werden.
Zugelassene HDAC-Inhibitoren
| Wirkstoff | Ziel-Klasse | Indikation |
|---|---|---|
| Vorinostat | Klasse I, II | kutanes T-Zell-Lymphom |
| Romidepsin | Klasse I | peripheres und kutanes T-Zell-Lymphom |
| Belinostat | Klasse I, II, IV | peripheres T-Zell-Lymphom |
| Panobinostat | Klasse I, II, IV | multiples Myelom (Kombinationstherapie) |
Studien
HDAC-Inhibitoren werden in klinischen Studien außerdem untersucht bei
- neurodegenerativen Erkrankungen,
- fibrotischen Prozessen,
- entzündlichen Erkrankungen
- Virusinfektionen (z.B. HIV)
Die Entwicklung isoformspezifischer Inhibitoren soll künftig Nebenwirkungen reduzieren und gezieltere epigenetische Therapien ermöglichen.
Literatur
- Duale Reihe Biochemie, 4. Auflage, Georg-Thieme-Verlag, S. 467–468; 531.
- Tang et al., Histone deacetylases as targets for treatment of multiple diseases, Clin Sci (Lond), 2013
- Haberland et al., The many roles of histone deacetylases in development and physiology: implications for disease and therapy, Nat Rev Genet, 2009