Automatizität
Englisch: automaticity
Definition
Unter Automatizität versteht man in der Physiologie die Fähigkeit bestimmter Zellen oder Gewebe, rhythmische elektrische Erregungen selbstständig, also ohne äußeren Reiz, zu erzeugen. Diese Schrittmacherfunktion lässt sich im Myokard (Kardiomyozyten) und im Gastrointestinaltrakt (Cajal-Zellen) beobachten.
Abgrenzung
Die Automatizität ist abzugrenzen von anderen Formen der Erregung, z.B.
- Getriggerte Aktivität: durch Nachdepolarisationen ausgelöst
- Reentry-Mechanismus: kreisende Erregung durch Leitungsverzögerung oder Leitungsblock
Physiologie
Herz
Die physiologische Automatizität des Herzens wird durch Kardiomyozyten gewährleistet, sich spontan und rhythmisch ohne äußeren Stimulus depolarisieren. Sie beruht auf einem langsamen diastolischen Natrium- (Na+) und Calciumeinstrom (Ca2+) sowie auf einem Kaliumausstrom (K+) während Phase 4 des Aktionspotentials. Diese Prozesse werden durch die Aktivität spezifischer Ionenkanäle gesteuert (v.a. HCN4, L- und T-Typ-Calciumkanäle).
Der primäre Schrittmacher ist der Sinusknoten, der durch die Automatizität als physiologischer Taktgeber den Herzrhythmus vorgibt. Bei Ausfall des Sinusknotens übernehmen sekundäre Schrittmacher im AV-Knoten die Rhythmusgebung, während tertiäre Schrittmacher in His-Bündel, Tawara-Schenkeln und Purkinje-Fasern bei weiterem Ausfall höherer Zentren die Aktivität aufrechterhalten.
Gastrointestinaltrakt
Die interstitiellen Zellen von Cajal (ICC) sind die Schrittmacherzellen des Gastrointestinaltrakts. Sie erzeugen spontan elektrische Depolarisationswellen, die sogenannten "Slow-Wave-Potentiale", die rhythmische Kontraktionen der glatten Muskulatur der Darmwand hervorrufen.
Klinik
Eine pathologische Automatizität entsteht, wenn Zellen außerhalb der physiologischen Schrittmachergebiete –sogenannte ektopische Foci – spontane Depolarisationen generieren. Typische Ursachen hierfür sind:
- Hypoxie (z.B. bei einer Myokardischämie)
- Elektrolytstörungen (v.a. Hypokaliämie)
- erhöhte sympathische Aktivität durch gesteigerte Katecholamine oder bestimmte Medikamente (z.B. Digitalispräparate)
Eine gesteigerte oder pathologische Automatizität kann zu unterschiedlichen Herzrhythmusstörungen führen. Extrasystolen treten sowohl im Vorhof (atrial) als auch im AV-Knotenbereich (junktional) oder im Ventrikel (ventrikulär) auf und sind häufig das erste Zeichen einer erhöhten ektopen Aktivität. Darüber hinaus können Tachykardien durch ektopische Foci entstehen, wie beispielsweise die multifokale atriale Tachykardie oder verschiedene Formen der ventrikulären Tachykardie (VT).
Literatur
- Zipes und Jalife, Cardiac Electrophysiology – From Cell to Bedside, 7. Auflage, Elsevier, 2018
- Erdmann, Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße, 8. Aufl., Springer, 2011
- Lindner und Dubin, Schnellinterpretation des EKG: Ein programmierter Kurs, 8. Aufl., Springer, 2004
- Iden et al., Invasive Electrophysiology for Beginners, Springer, 2025