Arrhythmogene Kardiomyopathie
Synonyme: arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, arrhythmogene linksventrikuläre Kardiomyopathie, arrhythmogene biventrikuläre Kardiomyopathie
Englisch: arrhythmogenic cardiomyopathy, arrhythmogenic right ventricular cardiomyopathy (ARVC), arrhythmogenic right ventricular dysplasia (ARVD), arrhythmogenic left ventricular cardiomyopathy (ALVC), arrhythmogenic biventricular cardiomyopathy
Definition
Die arrhythmogene Kardiomyopathie, kurz ACM, ist eine hereditäre Herzerkrankung, bei der das Kammermyokard progredient durch fibrös-fettiges Gewebe ersetzt wird. Klinisch ist sie durch lebensbedrohliche ventrikuläre Arrhythmien gekennzeichnet.[1]
Nomenklatur
Ursprünglich wurde die Krankheit als Entwicklungsstörung des rechtsventrikulären Myokards betrachtet und daher als "Dysplasie" bezeichnet. Die Entdeckung von Mutationen in Genen, die für kardiale Desmosomen kodieren, führte zur Bezeichnung der arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie (ARVC). Als Folge der Identifizierung biventrikulärer und linksdominanter Varianten (ALVC) wurde schließlich die Bezeichnung arrhythmogene Kardiomyopathie eingeführt.
Einteilung
Je nach Beteiligung der Herzventrikel unterscheidet man zwischen:
- arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC)
- arrhythmogene linksventrikuläre Kardiomyopathie (ALVC)
- arrhythmogene biventrikuläre Kardiomyopathie
Epidemiologie
Die Prävalenz der arrhythmogenen Kardiomyopathie wird auf 1:1.000 bis 1:5.000 geschätzt.[1] Sie ist ist eine seltene, aber wichtige Ursache für den plötzlichen Herztod bei jungen Menschen und Sportlern. Männer sind 2,7-mal häufiger betroffen. Die ACM tritt in etwa 30 bis 50 % der Fälle familiär gehäuft auf, dabei mit meist autosomal-dominantem Erbgang mit unterschiedlicher Penetranz.
Ätiologie
Bei der arrhythmogenen Kardiomyopathie handelt es sich um eine genetische Erkrankung, wobei Mutationen bei ca. 60 % der Patienten bestätigt werden. Bisher wurden ca. 13 Gene identifiziert, wobei die meisten für Desmosomen der Kardiomyozyten kodieren. Aufgrund der desmosomalen Störung scheinen die Gap junctions nicht richtig zu funktionieren, sodass Störungen der Erregungsleitungssystem des Herzens entstehen.
Die häufigste Mutation betrifft das Plakophilin 2, seltener sind z.B. Desmoglein, Desmoplakin, Desmocollin oder der Ryanodin-Rezeptor 2 beteiligt.
Klinik
Bei Patienten mit ACM kommt es meist zu Palpitationen, Synkopen und plötzlichem Herzstillstand. Körperliche Anstrengung ist ein häufiger Auslöser für ventrikuläre Tachyarrhythmien. Des Weiteren kann es zu Jugularvenenstauung, Stauungsleber, Beinödemen und Leistungsminderung kommen.
Diagnostik
Die arrhythmogene Kardiomypathie wird primär klinisch und radiologisch diagnostiziert. Entscheidend für die Diagnosestellung sind die Padua-Kriterien.[2] Hierbei muss mindestens ein morphofunktionelles oder strukturelles Kriterium (entweder ein Haupt- oder ein Nebenkriterium) erfüllt sein.
Padua-Kriterien
Rechtsventrikuläre Beteiligung
Hauptkriterien | Nebenkriterien | |
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Morpho-funktionelle ventrikuläre Befunde (2D-Echokardiographie, Kardio-MRT oder Angiographie) | regionale RV-Akinesie, Dyskinesie oder Bulging plus eines der folgenden Kriterien:
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regionale RV-Akinesie, Dyskinesie oder Aneurysma der rechtsventrikulären freien Wand |
Strukturelle myokardiale Befunde |
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Repolarisationsstörungen (EKG) | T-Inversion in rechts präkordialen Ableitungen (V1 bis V3) oder darüber hinaus bei postpubertären Personen und Fehlen eines kompletten Rechtsschenkelblocks |
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Depolarisationsstörungen (EKG) |
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Ventrikuläre Arrhythmien (EKG) | häufige ventrikuläre Extrasystolen (> 500 pro 24 Stunden) oder nicht-anhaltende oder anhaltende ventrikuläre Tachykardien mit Linksschenkelblock-Morphologie | häufige ventrikuläre Extrasystolen (> 500 pro 24 Stunden) oder nicht-anhaltende oder anhaltende ventrikuläre Tachykardien mit Linksschenkelblock-Morphologie und inferiorer Achse (RVOT-Muster) |
Familienanamnese, Genetik |
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Linksventrikuläre Beteiligung
Hauptkriterien | Nebenkriterien | |
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Morpho-funktionelle ventrikuläre Befunde (2D-Echokardiographie, Kardio-MRT oder Angiographie) | globale systolische LV-Dysfunktion (reduzierte RV-EF oder reduziertes globales longitudinales Echo-Strain) mit/ohne LV-Dilatation (erhöhtes LV-EDV, indiziert auf Alter, Geschlecht und Körperoberfläche) | regionale LV-Hypokinesie oder Akiinesie der linksventrikulären freien Wand und/oder des Septums |
Strukturelle myokardiale Befunde (Kardio-MRT) |
streifiges Late-Gadolinium-Enhancement (LGE) in ≥ 1 LV-Segment (in zwei orthogonalen Ansichten) der freien Wand (subepikardial oder mid-myokardial) und/oder des Septums (excl. septales junktionales LGE) |
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Repolarisationsstörungen (EKG) |
T-Inversion in links präkordialen Ableitungen (V4 bis V6) bei Fehlen eines vollständigen Linksschenkelblocks | |
Depolarisationsstörungen (EKG) |
Niedervoltage (maximale QRS-Amplitude < 0,5 mV) in Extremitätenableitungen (bei Fehlen von Fettleibigkeit, Emphysem oder Perikarderguss) | |
Ventrikuläre Arrhythmien (EKG) |
häufige ventrikuläre Extrasystolen (> 500 pro 24 Stunden) oder nicht-anhaltende oder anhaltende ventrikuläre Tachykardien mit Rechtsschenkelblock-Morphologie (excl. faszikuläre ventrikuläre Tachykardie) | |
Familienanamnese, Genetik |
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Algorithmus
Für die phänotypische Charakterisierung der ACM eignet sich folgendes Vorgehen:
- Schritt 1: ≥ 1 Haupt- oder Nebenkriterium aus der morphofunktionellen und/oder strukturellen Gruppe der RV-Beteiligung erfüllt?
- nein: Hauptkriterium der strukturellen Gruppe der LV-Beteiligung + (mutmaßlich) pathogene Genmutation → ALVC
- ja → Schritt 2
- Schritt 2: ≥ 1 Haupt- oder Nebenkriterium aus der morphofunktionellen und/oder strukturellen Gruppe der LV-Beteiligung erfüllt?
- nein → Schritt 3 (biventrikuläre ACM)
- ja → Schritt 4 (ARVC)
- Schritt 3: Anwendung der RV- und LV-Kriterien
- 2 Nebenkriterien: mögliche biventrikuläre ACM
- 1 Hauptkriterien + 2 Nebenkriterien oder 3 Nebenkriterien: Borderline biventrikuläre ACM
- 2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium + 2 Nebenkriterien oder 4 Nebenkriterien: sichere biventrikuläre ACM
- Schritt 4: Anwendung der RV- und LV-Kriterien
- 2 Nebenkriterien: mögliche ARVC
- 1 Hauptkriterien + 2 Nebenkriterien oder 3 Nebenkriterien: Borderline ARVC
- 2 Hauptkriterien oder 1 Hauptkriterium + 2 Nebenkriterien oder 4 Nebenkriterien: sichere ARVC
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Kalliopi Pilichou, Gaetano Thiene, Barbara Bauce, Ilaria Rigato, Elisabetta Lazzarini, Federico Migliore, Martina Perazzolo Marra, Stefania Rizzo, Alessandro Zorzi, Luciano Daliento, Domenico Corrado, and Cristina Basso: Arrhythmogenic cardiomyopathy Orphanet J Rare Dis. 2016
- ↑ Graziano F et al. The 2020 "Padua Criteria" for Diagnosis and Phenotype Characterization of Arrhythmogenic Cardiomyopathy in Clinical Practice. J Clin Med. 2022