Anorexie-Kachexie-Syndrom
Synonym: Kachexie-Anorexie-Syndrom
Englisch: Anorexia-Cachexia Syndrome
Definition
Das Anorexie-Kachexie-Syndrom, kurz AKS, ist ein komplexes metabolisches Syndrom, das durch anhaltenden Appetitverlust (Anorexie) und erheblichen Gewichtsverlust (Kachexie) gekennzeichnet ist. Es tritt häufig bei Patienten mit fortgeschrittenen chronischen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs, AIDS, Herzinsuffizienz oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) auf.
Einteilung
Man unterscheidet zwischen einem primären und einem sekundären Anorexie-Kachexie-Syndrom. Bei der primären Form kommt es aufgrund einer zehrenden Grunderkrankung mit chronischer Entzündungsreaktion zu einem erhöhten Kalorienverbrauch mit kataboler Stoffwechsellage.
Bei der sekundären Form des AKS basiert die Auszehrung des Körpers in der Regel auf einer unzureichenden Ernährung sowie einer ungenügenden Aufnahme von Nährstoffen aus dem Darm.
Ätiologie
Beispiele für ein primäres AKS sind verbrauchende Erkrankungen wie maligne Tumorerkrankungen (häufig ein Bronchialkarzinom) oder AIDS.
Ein sekundäres AKS kann u. a. im Rahmen folgender Umstände auftreten:
- Auswirkungen einer Chemotherapie
- Entzündungen der Mundschleimhaut
- Geruchs- und Geschmacksstörungen
- Abneigung gegen bestimmte Speisen
- Inappetenz als Medikamentennebenwirkung (z.B. Opioide, Sedativa, oder Antibiotika)
- Schluckstörungen
- Appetitlosigkeit durch starke Schmerzen, Luftnot oder krankheitsbedingte Fatigue
Auch ein AKS, das Folge der körperlichen Einschränkung durch eine Grunderkrankung (z.B. durch Bewegungsmangel und Muskelabbau) ist, wird zu den sekundären AKS gezählt. Beispiele sind:
- Akute oder chronische Infektionskrankheiten
- Herzinsuffizienz
- Schwere chronische Lungenerkrankungen
- Niereninsuffizienz
- Leberzirrhose
- Diabetes mellitus mit hohem oder stark schwankendem Blutzuckerspiegel
- Hyperthyreose
- Paraneoplastische Erkrankungen, die zu Magen-Darm-Funktionsstörungen führen
Pathogenese
Beim primären AKS handelt es sich um eine komplexe Stoffwechselstörung auf der Basis von Grunderkrankungen, besonders bei chronischen Entzündungen. Es kommt zu einer Dysbalance kataboler und anaboler Stoffwechselprozesse, die nicht notwendigerweise mit einer Erhöhung des C-reaktiven Proteins kombiniert sind. Neben der verminderten Nahrungsaufnahme liegt ein pathologisch erhöhter, ineffizienter Energieumsatz vor. Für das Syndrom werden unterschiedliche humorale Faktoren verantwortlich gemacht. Der gesteigerte Energieumsatz wird hauptsächlich durch systemische Entzündungsmediatoren wie Zytokine (verschiedene Interleukine, TGF-β, TNF-α und -β, sowie IFN-γ) vermittelt. Darüber hinaus sind Hormone, Neuropeptide und Neurotransmitter beteiligt. Zusätzlich kommt es zu Veränderungen des Leberstoffwechsels. Gemeinsam führen diese Faktoren zu einem Abbau von Fetten (Lipolyse) und Proteinen (z.B. Myolyse).
Klinisch entsteht bei beiden Formen des AKS ein Circulus vitiosus – der bereits durch die Grunderkrankung geschwächte Organismus reagiert nicht mehr angemessen auf anabole Stoffwechselprozesse. Dies führt zu Symptomen wie Anorexie, Kachexie und Mangelernährung, die wiederum die Behandlung der Grunderkrankung erschweren und so zu einer weiteren Verschlechterung führen.
Symptome
Neben den Leitsymptomen Anorexie und Kachexie kommt es zu Muskelatrophie, Schwäche und Fatigue. Weitere Symptome sind Ödeme, Anämie und Infektanfälligkeit. Dazu kommen die Symptome der Grunderkrankung.
Diagnose
Da das Appetitempfinden subjektiv ist, lässt es sich nur schwer quantifizieren. Maßnahmen wie Rating-Skalen, sowie die persönliche Einschätzung können bei der Diagnosestellung helfen. Wegweisend ist die Quantifizierung des Gewichtsverlusts. Folgende Ausprägungen weisen auf das Anorexie-Kachexie-Syndrom hin:
- mindestens 2 % Verlust des Körpergewichts innerhalb von zwei Monaten
- mindestens 5 % Verlust des Körpergewichts innerhalb von sechs Monaten
Therapie
Die Behandlung des Anorexie-Kachexie-Syndroms konzentriert sich auf die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung, den Versuch, den Appetit zu steigern und den Gewichtsverlust umzukehren. Da das Syndrom meist auf schwerwiegenden, teilweise unheilbaren Erkrankungen beruht, ist rechtzeitig eine Therapie mit multimodalem Ansatz zusätzlich zu der Behandlung der Grunderkrankung einzuleiten.
Supportive Therapie
Bei der supportiven Therapie sollte der Fokus auf der Therapie krankheitsbedingter Komplikationen sowie auf der Symptombehandlung liegen. Zusätzlich sollte eine psychologische Betreuung in Betracht gezogen werden.
Ernährungstherapie
Es gibt verschiedene ernährungstherapeutische Ansätze, die je nach Krankheitsbild orale, enterale oder parenterale Konzepte beinhalten.
Pharmakotherapie
Die Gabe von Arzneimitteln sollte sich nach der vorliegenden Grunderkrankung richten. Ein Beispiel bilden Stoffwechselmodulatoren wie Glukokortikoide, die sich positiv auf den Appetit sowie das subjektive Empfinden auswirken.
Körperliche Aktivität
Je nach körperlicher Verfassung kann sich physiotherapeutisch angeleitete körperliche Aktivität positiv auf den Verlauf des Anorexie-Kachexie-Syndroms auswirken. So kann dem Verlust von Muskelmasse entgegengewirkt und Muskelaufbau gefördert werden.
Differentialdiagnose
Differentialdiagnostisch sollte man andere Ursachen für Anorexie und Kachexie ausschließen. Beispiele sind hier der normale altersbedingte Gewichtsverlust, primäre Depression, Essstörungen wie Anorexia nervosa und bestimmte Stoffwechselstörungen.
Literatur
- Heckmayr. Das Anorexie-Kachexie-Syndrom beim Bronchialkarzinom: Pathophysiologie-Therapieansätze. Pneumologie 2003; 57: 328-334 Thieme Verlag. 2003
- MedizInfo. Anorexie-Kachexie-Syndrom. Abgerufen am 25.25.2023
- Ohnuma et al. Anorexia and Cachexia. National Library of Medicine. Abgerufen am 25.05.2023