ASS-Intoleranz-Syndrom
Synonyme: Morbus Samter, Morbus Widal, Aspirin-Intoleranz-Syndrom
Definition
Das ASS-Intoleranz-Syndrom bezeichnet eine nicht-allergische Hypersensitivitätsreaktion auf Aspirin und bestimmte andere Analgetika, die zur Samter-Trias führen kann.
siehe Hauptartikel: Analgetikaasthma
Hintergrund
Der Zusammenhang zwischen Aspirineinnahme, Nasenpolypen und Asthma bronchiale wurde erstmals 1922 durch Widal et al. beschrieben.[1] 1968 wurde diese klassische Symptomkonstellation als Samter-Trias bezeichnet.
Aktuell wird die Bezeichnung Aspirin-exacerbated airway disease (AERD) bevorzugt.
Pathophysiologie
Die Ursache der AERD ist aktuell (2019) noch unklar. Vermutet wird eine Dysregulation im Arachidonsäurestoffwechsel.
Die Betroffenen besitzen unter anderem eine verminderte Aktivität des Enzyms Cyclooxygenase 2 (COX-2). Bei Einnahme von COX-1-Hemmern (Aspirin, Ibuprofen und andere NSAR) entsteht dann ein Ungleichgewicht im Arachidonsäureabbau mit Überproduktion von proinflammatorischen Cysteinylleukotrienen (CysLT) und reduzierter Bildung antiinflammatorischer Prostaglandine (Leukotrien-Shift). Folgen sind eine erhöhte Vasodilatation und Gefäßpermeabilität mit Entstehung von mukosalen Ödemen und Entzündungen in den Atemwegen. Vermutlich spielen epitheliale Alarmine (z.B. TSLP), natürliche lymphoide Zellen (ILC2), Thrombozyten, Mastzellen und eosinophile Granulozyten eine entscheidene Rolle bei dieser Typ-2-Inflammation.
Die Reaktion auf die COX-Hemmer ist jedoch keine allergische (IgE-vermittelte), sondern eine pseudoallergische Reaktion.[2] Diese verstärkt dabei eine vorherige Schädigung der Atemwege, löst sie aber nicht aus.
Selektive COX-2-Hemmer führen meist nicht zu einem AERD. Inwieweit die Einnahme von Salicylaten (z.B. mit der Nahrung) ein Analgetikaasthma auslösen können, ist umstritten (Salicylatintoleranz).[3]
Symptome
Die typische Symptomkonstellation aus Asthma bronchiale, chronischer Rhinosinusitis mit Polyposis nasi bei zugrundeliegendem ASS-Intoleranz-Syndrom wird als Samter-Trias bezeichnet. Dabei können die Symptome in einer bestimmten Reihenfolge auftreten: Die Patienten beklagen zunächst meist eine Rhinosinusitis, die oft nach einer Virusinfektion auftritt und nach einigen Monaten zur nasalen Kongestion, Dyspnoe, Rhinorrhö und Hyposmie führt. Im Verlauf entwickeln die Patienten ein Asthma bronchiale. Dabei kann die Einnahme von NSAR zu einem akuten Asthmaanfall führen.
Typisch ist auch eine chronisch rezidivierende Urtikaria sowie Diarrhö. Anaphylaktoide Reaktionen sind sehr selten.
Typischerweise beginnt die Erkrankung zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Dabei handelt es sich um eine meist progredient verlaufende Erkrankung (auch ohne NSAR-Einnahme).
Diagnostik
- Anamnese
- MRT der Nasennebenhöhlen
- ASS-Provokationstest (nur in einer erfahrenen Klinik durchzuführen)
Therapie
Die Behandlung erfolgt analog der Asthma-Stufentherapie. Insbesondere Glukokortikoide und Leukotrienantagonisten (z.B. Montelukast) sind effektiv. Bei schweren Verlaufsformen können Biologika verwendet werden, z.B.:
- Anti-IgE-Antikörper: Omalizumab
- Anti-IL-5-Antikörper: Mepolizumab, Reslizumab
- Anti-IL-5-Rezeptor-Antikörper: Benralizumab
- Anti-IL-4-Rezeptor-Antikörper: Dupilumab
Grundsätzlich sollten NSAR vermieden werden, jedoch besteht auch die Möglichkeit einer ASS-Desensibilisierung (adaptive Desaktivierung) in spezialisierten Zentren: ASS wird dauerhaft verabreicht und anfangs, sodass es zu einer adaptiven Enzyminduktion mit Modulation des Arachnidonsäurestoffwechsels kommt. Hierbei macht man sich zunutze, dass auch bei bestehender ASS-Intoleranz zwischen 24 und 72 Stunden nach der Einnahme keine erneute Unverträglichkeitsreaktion bei zweiter Applikation auftritt. So kann der Organismus an immer höhere Dosen von ASS gewöhnt werden.[4]
Des Weiteren kommen bei chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen auch operative bzw. endoskopisch-interventionelle Maßnahmen in Frage.
Quellen
- ↑ Widal F et al. First complete description of the aspirin idiosyncrasy-asthma-nasal polyposis syndrome (plus urticaria)--1922 (with a note on aspirin desensitization), J Asthma. 1987;24(5):297-300.
- ↑ Farooque SP, Lee TH Aspirin-sensitive respiratory disease, Annu Rev Physiol. 2009;71:465-87, abgerufen am 03.09.2019
- ↑ Skypala et al. Sensitivity to food additives, vasoactive amines and salicylates: a review of the evidence, Clin Transl Allergy (2015) 5:34, abgerufen am 04.09.2019
- ↑ Kowalski ML et al. Hypersensitivity to nonsteroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs) - classification, diagnosis and management: review of the EAACI/ENDA(#) and GA2LEN/HANNA*, Allergy. 2011 Jul;66(7):818-29, abgerufen am 03.09.2019