Neoplasie der Appendix
Synonyme: Appendixneoplasie, Appendixtumor
Definition
Neoplasien der Appendix sind eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Tumore, welche die Appendix vermiformis betreffen. Sie machen ca. 0,5 % aller gastrointestinalen Neoplasien aus.
Einteilung
Man unterscheidet histologisch folgende Formen:
- Sessile serratierte Läsionen (SSL) und Adenome der Appendix
- Muzinöse Neoplasien der Appendix:
- Adenokarzinome der Appendix:
- Becherzell-Adenokarzinome der Appendix
- Neuroendokrine Neoplasie (NEN) der Appendix
- neuroendokriner Tumor (NET) der Appendix
- neuroendokrines Karzinom (NEC) der Appendix
- gemischt neuroendokrine/nicht-neuroendokrine Neoplasien (MiNEN) der Appendix
Sessile serratierte Läsionen und Adenome der Appendix
Sessile serratierte Läsionen und Adenome der Appendix sind sehr selten. Histologisch fällt eine sägezahnartige Architektur auf. Die meisten SSL weisen keine Dysplasie auf, wobei Low- bzw. High-grade-Dysplasien vorkommen können. Bei größeren Läsionen kann es zur Lumenobstruktion und Appendizitis kommen. In der Regel erfolgt eine endoskopische Vollwandresektion, in einigen Fällen eine minimalinvasive Appendektomie ggf. mit Zökalpolresektion. Nach vollständiger Resektion ist keine weitere Therapie notwendig. Die Nachsorge erfolgt gemäß der S3-Leitinie für das kolorektale Karzinom.
Muzinöse Neoplasien
Muzinöse Neoplasien sind durch dysplastische, schleimbildende Epithelzellen, extrazellulären Schleimablagerungen und verdrängendes, nicht-invasives Wachstum charakterisiert. Bei Perforation kommen peritoneale Schleimablagerungen vor (peritoneale Muzinose). Finden sich in den peritonealen Ablagerungen noch Tumorzellen, handelt es sich um ein Pseudomyxoma peritonei (PMP).
LAMN
Low-grade muzinöse Neoplasien der Appendix zeigen Low-grade Atypien (Grad-1-Neoplasie) und treten gehäuft in der 5. bis 7. Lebensdekade auf. Frauen sind häufiger betroffen. LAMN werden bei ca. 0,13 % der Appendektomien diagnostiziert.
Eine Besonderheit bei der TNM-Klassifikation der LAMN ist, dass keine pT1- und pT2-Tumore existieren, da eine Ausbreitung bis in die Tunica muscularis als Herniation und somit als pTis gewertet wird.
Liegen keine Perforation, kein PMP und keine Muzinose vor, ist die alleinige Appendektomie mit vollständiger Resektion ausreichend. Bei ausgedehnter Dissemination von Muzin in die Abdominalhöhle ist eine zytoreduktive Chirurgie mit hyperthermer intraperitonealer Chemoperfusion (HIPEC) sinnvoll. Die Nachsorge besteht aus Schnittbildgebungen (v.a. MRT) und der Bestimmung von Tumormarkern (CEA, CA 19-9 und CA 125) alle 6 Monate über 5 Jahre, um ein Rezidiv möglichst frühzeitig zu erkennen.
HAMN
High-grade muzinöse Neoplasien der Appendix sind seltene Grad-2-Neoplasien, bei denen fokal High-grade-Dysplasien vorliegen. Sie führen häufiger zu einem High-grade-PMP (Grad 2), das mit einer schlechteren Prognose assoziiert ist. Bei nichtperforierter HAMN ohne bildmorphologischen Hinweis auf ein PMP wird die alleinige Appendektomie empfohlen. Bei Perforation bzw. peritonealer Aussaat kommt die Hemikolektomie rechts und eine zytoreduktive Operation mit HIPEC zum Einsatz.
Adenokarzinome
Adenokarzinome sind invasiv wachsende glanduläre Malignome. Man unterscheidet nicht-muzinöse Adenokarzinome (NOS, „not otherwise specified“), muzinöse Adenokarzinome, Siegelringzell-Adenokarzinome und undifferenzierte Karzinome. Ein muzinöses Adenokarzinom liegt vor, wenn > 50 % der Tumorfläche aus extrazellulärem Muzin besteht. Machen Siegelringzellen > 50 % des Tumors aus, spricht man von einem Siegelringzell-Adenokarzinom. Sind die jeweiligen Anteile < 50 % spricht man von einem Adenokarzinom mit extrazellulärer Verschleimung bzw. einem siegelringzellhaltigen Adenokarzinom. Undifferenzierte Karzinome zeigen außer einer epithelialer Markerexpression keine weiteren histologischen, immunhistochemischen oder molekularen Hinweise auf das Ursprungsgewebe.
Die Graduierung nicht muzinöser Adenokarzinome erfolgt in Analogie zu kolorektalen Karzinomen in low-grade (früher G1 bzw. G2) und high-grade (vormals G3). Muzinöse Adenokarzinome werden als Grad 2, Siegelringzell-Adenokarzinome als Grad 3 eingestuft. Die TNM-Klassifikation gleicht der des kolorektalen Karzinoms.
Die vollständige Resektion bei pTis- und pT1-Tumoren ist in der Regel ausreichend. Bei pT1-Tumoren mit Risikofaktoren (G3-Differenzierung, Angioinvasion oder R1-Resektion) und ab pT2-Tumoren sollte eine Hemikolektomie rechts mit systematischer Lymphadenektomie vorgenommen werden. Eine adjuvante Chemotherapie kann nach erfolgter Zytoreduktion erwogen werden. Bei nicht-G1-differenzierten Adenokarzinomen wird je nach Risikofaktoren (vor allem Lymphknotenstatus) eine adjuvante Systemtherapie analog der S3-Leitlinie für kolorektale Karzinome durchgeführt. Eine palliative Systemtherapie im Stadium IV orientiert sich ebenfalls an der Behandlung des kolorektalen Karzinoms, wobei Biologika (z.B. VEGF- oder EGFR-Inhibitoren je nach RAS-/BRAF-Mutationsstatus) bisher nicht validiert sind.
Becherzell-Adenokarzinome
Becherzell-Adenokarzinome machen zwischen 10 - 23 % der primären Neoplasien der Appendix aus. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt in der 6. Lebensdekade. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
Das Becherzell-Adenokarzinom ist überwiegend tubulär aufgebaut und weist becherzellartige, schleimproduzierende Zellen zusammen mit endokrinen Zellen und Paneth-ähnlichen Zellen auf. Man unterscheidet ein Low-grade- von einem High-grade-Wachstumsmuster. Die TNM- bzw. UICC-Klassifikation entspricht den Adenokarzinomen der Appendix.
Bei pT1- und pT2-Tumoren reicht in der Regel eine Appendektomie. Bei pT3- oder pT4-Tumoren sollte eine rechtsseitige Hemikolektomie durchgeführt werden. Ab Stadium III kommt eine adjuvante Chemotherapie in Frage. Bestehen bereits Metastasen, kann eine palliative Chemotherapie analog zur Behandlung des kolorektalen Karzinoms durchgeführt werden. Bei ausschließlich peritoneal metastasiertem Tumor wird eine zytoreduktive Operation mit HIPEC empfohlen.
Die 5-Jahres-Überlebensrate wird im Stadium I mit 100 %, im Stadium II mit 76 %, im Stadium III mit 22 % und im Stadium IV mit 14 % angegeben.
Neuroendokrine Neoplasien
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind epitheliale Tumoren mit neuroendokriner Differenzierung. Nach muzinösen Neoplasien sind sie die häufigsten Appendixtumore. Dabei handelt es sich fast immer um neuroendokrine Tumoren (NET). Neuroendokrine Karzinome (NEC) sind Raritäten.
Die Inzidenz der NET liegt bei 0,2 - 0,3 pro 100 000. Nach Dünndarm, Rektum, Pankreas und Magen ist der Appendix die fünfthäufigste Lokalisation für einen NET.
NET bestehen aus gleichartigen Zellen mit fein-getüpfeltem Kernchromatin. Sie sind gut differenziert, wobei in Abhängigkeit von der Mitoserate und dem Ki67-Markierungsindex eine Unterteilung in Low-grade (G1), Intermediate-grade (G2) und High-grade (G3) erfolgt. NEC zeigen hingegen eine weitgehend aufgehobene organoide Architektur und häufig Nekrosen. Sie proliferieren schnell und sind schlecht differenzierte Tumore. Gemischt neuroendokrine-nichtneuroendokrine Neoplasien (MiNEN) der Appendix sind sehr selten. Die jeweilige Tumorkomponente macht per definitionem zumindest 30 % des Tumors aus. Am häufigsten liegt eine Kombination aus NEC und einem Adenokarzinom vor. Die TNM-Klassifizierung entspricht dann der von Adenokarzinomen.
80 % der NETs sind bei Diagnosestellung < 1 cm groß (pT1a), ca. 15 % sind 1 - 2 cm groß (pT1b) und etwa 5 % der Tumoren sind bei Diagnosestellung > 2 cm (pT2). Bei 12 % der Patienten liegt bei Diagnosestellung eine Fernmetastasierung vor, während 60 % ein lokalisiertes und 28 % ein regional metastasiertes Tumorleiden aufweisen (Lymphknotenmetastasen oder kontinuierlich übergreifendes Wachstum).
Bei einer Tumorgröße < 2 cm und fehlenden Risikofaktoren (Angioinvasion, Infiltration der Mesoappendix > 3 mm und Ki67-Antigen > 2 %) ist die alleinige Appendektomie ausreichend. Bei Tumoren < 2 cm mit Risikofaktoren sollte eine Ileozökalresektion oder ggf. eine Hemikolektomie rechts unter Mitnahme des Lymphabflussgebiets der Arteria und Vena ileocolica erfolgen. Bei Tumoren > 2 cm wird die onkologische Hemikolektomie rechts empfohlen. Liegen resektable Fernmetastasen vor, sollte die Metastasenresektion erfolgen. Bei irresektablen Fernmetastasen kann eine Primariusresektion erwogen werden. Bei gut differenzierten, irresektablen und asymptomatischen Tumoren kommt eine „watch-and-wait“-Strategie in Frage, während bei schlecht differenzierten oder symptomatischen, gut differenzierten Tumoren eine medikamentöse Therapie sinnvoll ist.
Die Prognose ist bei gut differenzierten, nicht-fernmetastasierten NET sehr gut. Bei dem Vorliegen von Fernmetastasen liegt das mediane Überleben bei ca. 27 Monaten. Bei vollständig resezierten, gut differenzierten Tumoren < 1 cm ist keine Nachsorge notwendig. Bei Tumoren in Kombination mit Risikofaktoren wird eine Nachsorge mittels MRT, CT oder PET-CT für 10 - 15 Jahren empfohlen.
um diese Funktion zu nutzen.