Labyrinthinfarkt
Synonyme: Labyrinthapoplex, Innenohrinfarkt, Arteria-labyrinthi-Infarkt
Englisch: labyrinthine infarction, inner ear stroke
Definition
Als Labyrinthinfarkt bezeichnet man einen Infarkt des Innenohrs durch eine Durchblutungsstörung im Versorgungsgebiet der Arteria labyrinthi. Derartige Infarkte gehen typischerweise mit plötzlich einsetzendem Drehschwindel und einseitiger sensorineuraler Hörminderung einher.
Hintergrund
Die arterielle Versorgung des Innenohrs und des Nervus vestibulocochlearis erfolgt über die Arteria labyrinthi, die meist (80 % d.F.) als Ast der AICA, seltener der Arteria vertebralis bzw. basilaris (15 bis 20 %) oder der PICA (2 bis 3 %) abgeht.[1] Wenngleich es sich bei dem Gefäß um einen Ast von hirnstammversorgenden Arterien handelt, führt ein Arteria-labyrinthi-Infarkt durch Schädigung des Vestibularorgans zu einem peripher-vestibulären Schwindelsyndrom.[1][2]
Epidemiologie
Der Labyrinthinfarkt gilt als selten, genaue Inzidenzdaten liegen allerdings nicht vor. Isolierte Fälle können leicht verkannt werden, z.B. als akute unilaterale Vestibulopathie,[3] und könnten daher möglicherweise unterdiagnostiziert sein.
Ätiologie und Pathogenese
Die Auslöser eines Labyrinthinfarktes ähneln denen ischämischer Schlaganfälle. Beschriebene Ursachen sind unter anderem:[1][2][4][5]
- Makroangiopathie mit hämodynamisch bedingter Labyrinthminderperfusion oder arterio-arterieller Embolie
- bei thrombotischem Verschluss oder Stenose von AICA oder Arteria vertebralis bzw. basilaris
- seltener bei Vertebralarteriendissektion
- kardioembolisch, z.B. bei Vorhofflimmern, oder Endokarditis
- Embolie der AICA oder vertebrobasilär
- Embolie ausschließlich der Arteria labyrinthi
- paradox-embolisch bei persistierendem Foramen ovale
- vaskulitische Gefäßverschlüsse
- Thrombophilie
Durch oben genannte Ursachen kommt es zum Verschluss oder zur Minderperfusion der Arteria labyrinthi. Da es sich bei dem Gefäß um eine Endarterie für ein Organ mit hohem Energiebedarf handelt,[1][2][6] kommt es hierdurch rasch zur ischämischen Nekrose. Da sich die Arterie innerhalb des Meatus acusticus internus in mehrere Äste für die separate Versorgung einzelner Innenohranteile aufspaltet, sind separate vestibuläre und cochleäre Ausfälle möglich.[1][2][4]
Klinik
Mit akutem Beginn kommt es zu:[2][4][5]
- Drehschwindel, verstärkt durch Kopfbewegungen
- Übelkeit, Erbrechen
- Oszillopsien
- Lateropulsion mit Fallneigung zur betroffenen Seite
- Stand- und Gangunsicherheit
- einseitige Hörminderung, meist eher im Hochtonbereich (vom Patienten aber teils nicht aktiv berichtet, da durch Gegenseite kompensierbar)
- gelegentlich Tinnitus
Typisch ist dabei ein gleichzeitiges Auftreten vestibulärer Symptome mit Hörstörungen. Je nach betroffenem Gefäßast sind jedoch auch rein vestibuläre oder auditive Verläufe möglich.[4]
Die Symptomatik kann entweder isoliert auftreten oder bereits initial mit Zeichen eines Kleinhirn- und Hirnstamminfarktes vergesellschaftet sein (siehe auch AICA-Infarkt). Im Verlauf können sich zunächst isolierte Labyrinthinfarkte jedoch auch zu einem vollständigen AICA- bzw. vertebrobasilären Infarkt ausweiten.[1][2] Durch verstreute Embolien können außerdem klinische Zeichen aus unabhängigen Strömungsgebieten auftreten.[4]
Diagnostik
Bei der neurologischen Untersuchung zeigt sich bei vestibulärer Beteiligung ein horizontal-torsioneller Spontannystagmus zur nicht-betroffenen Seite hin.[2][4] Teilweise kann auch eine Up- oder Downbeat-Komponente auffallen.[4][7] Bei Prüfung des vestibulookulären Reflexes (VOR) findet sich ein Ausfall mit korrektiver Nachstellsakkade.[2] Gelegentlich kann auch eine Skew Deviation erkennbar sein.[7]
Hörstörungen können orientierend durch leises Fingerreiben neben beiden Ohren geprüft werden.[1][7] In den Weber-Rinne-Stimmgabelversuchen kann sich bei cochleärer Beteiligung ein zu einer sensorineuralen Schwerhörigkeit passender Befund zeigen.[4]
An apparativer Diagnostik sind möglich:[4][5][7][3]
- Elektro- bzw. Videonystagmographie: bei vestibulärer Beteiligung zeigt sich hier ein Spontannystagmus (s.o.) sowie ein ipsilateraler Ausfall des VOR
- Kalorikprüfung: bei vestibulärer Beteiligung Ausfall der ipsilateralen kalorischen Nystagmen
- zervikale und okuläre VEMP: bei vestibulärer Beteiligung Ausfall bei Reizung der betroffenen Seite
- Reintonaudiometrie: bei cochleärer Beteiligung meist deutliche Hörminderung, oft mit Hochtonschwerpunkt
Bildgebend ist ein isolierter Labyrinthinfarkt meist kaum darstellbar. Meist erscheinen Nerv und Innenohr bildmorphologisch blande.[4][6] Nur in wenigen Fällen kann der Infarkt nach einigen Tagen in der MRT sichtbar werden. Hierbei kann eine T2/FLAIR-Hyperintensität des Labyrinths auffallen,[7] insbesondere in hochauflösenden Dünnschichtsequenzen des Felsenbeins auch eine Diffusionsrestriktion in Labyrinth und/oder Nervus vestibulocochlearis.[1][3] Mithilfe einer 4 Stunden nach Kontrastmittelgabe durchgeführten MRT kann außerdem teilweise eine Störung der Blut-Labyrinth-Barriere nachgewiesen werden.[5]
Differentialdiagnostik
Klinisch von einem isolierten Labyrinthinfarkt nicht zu unterscheiden ist die Labyrinthblutung oder eine Labyrinthitis. Blutungen können sich jedoch durch T1- und FLAIR-Hyperintensitäten in der MRT abgrenzbar sein.[1][6] Bei einer Labyrinthitis können außerdem weitere Zeichen der auslösenden Grunderkrankung vorliegen. Assoziierte Infarktsymptome insbesondere des AICA-Stromgebiets hingegen deuten eher auf einen Labyrinthinfarkt hin.
Bei rein vestibulärer Symptomatik ist die Unterscheidung zu einer akuten unilateralen Vestibulopathie (Neuropathia vestibularis) klinisch wie apparativ kaum möglich.[2] Einziges sicheres Differenzierungsmerkmal ist die nur sehr selten auffällige MRT des Labyrinths sowie in der Bildgebung darstellbare, assoziierte Hirninfarkte.[2] Da der HINTS somit trotz erhöhtem Risiko für eine vertebrobasiläre Ischämie eine periphere Genese nahelegt, wird zusätzlich eine orientierende Hörprüfung mittels Fingerreiben neben dem Ohr empfohlen (HINTS-plus), um eine mögliche AICA- bzw. Arteria-labyrinthi-Beteiligung zu erfassen.[1][7]
Therapie
Akuttherapie und Sekundärprophylaxe richten sich nach der Infarktursache, dem Zeitfenster sowie nach dem Vorhandensein weiterer, begleitender Infarkte. Wie bei ischämischen Schwindelsyndromen im Allgemeinen[8] ist belastbare Evidenz für eine Thrombolyse auch für isolierte Labyrinthinfarkte derzeit (2025) nicht verfügbar.
Schwindel und Übelkeit können außerdem symptomatisch mit Antivertiginosa beziehungsweise Antiemetika behandelt werden. Bei teilweisem Erhalt der Hörfunktion können Hörgeräte eingesetzt werden.
siehe Hauptartikel: Schlaganfall
Prognose
Typischerweise kommt es durch Kompensationsmechanismen im Verlauf von Tagen bis Wochen zur Rückbildung der vestibulären Symptomatik, Hörschäden hingegen sind meist bleibend.[2]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 Dlugaiczyk, Seltene Erkrankungen des vestibulären Labyrinths: von Zebras, Chamäleons und Wölfen im Schafspelz, Laryngo-Rhino-Otologie, 2021.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Bouhmadi et al., A case report of labyrinthine infarction: a ‘central’ cause of vertigo with ‘peripheral’ presentation, Annals of Medicine & Surgery, 2024.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Nam et al., Pearls & Oy-sters: Labyrinthine Infarction Mimicking Vestibular Neuritis, Neurology, 2021.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 4,9 Liqun et al., Acute Unilateral Audiovestibulopathy due to Embolic Labyrinthine Infarction, Frontiers in Neurology, 2018.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 Eliezer et al., Labyrinthine infarction caused by vertebral artery dissection: consideration based on MRI, Journal of Neurology, 2019.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Kim et al. (Bárány Society), Vascular vertigo and dizziness: Diagnostic criteria, Journal of Vestibular Research, 2022.
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 7,5 Kong et al., Labyrinthine Infarction Documented on Magnetic Resonance Imaging, Stroke, 2024.
- ↑ Edlow und Tarnutzer, Intravenous thrombolysis in patients with acute dizziness or imbalance and suspected ischemic stroke-systematic review, Journal of Neurology, 2025.