Hodenatrophie (Pferd)
Synonym: Hodendegeneration
Definition
Unter der Hodenatrophie versteht man die Regression des Parenchyms in einem ursprünglich vollkommen ausgereiften und entwickelten Hoden eines Pferdes.
Ätiologie
Eine Hodenatrophie kann infolge einer Vielzahl an Faktoren ausgelöst werden, u.a.:
- Trauma
- Durchblutungsstörungen infolge Hodentorsion oder Hydrozele
- entzündliche Prozesse
- wandernde Parasitenlarven
- Allgemeinerkrankungen mit Fieber und/oder lokaler Ödembildung
Pathogenese
Unabhängig vom Auslöser kommt es zu deutlichen Störungen der Thermoregulation im Skrotalbereich. Diese werden entweder durch die Verdickung der Wand des Skrotums oder aufgrund von Durchblutungsstörungen verursacht. In weiterer Folge kommt es zu einer vorübergehenden oder anhaltenden Erhöhung der Temperatur in den Hoden, die zu einer Schädigung des Keimepithels führt. Experimentelle Untersuchungen zeigten, dass eine Erhöhung der Skrotaltemperatur um 2 bis 3 °C für ein bis zwei Tage bereits zu deutlichen Auswirkungen auf die Spermienmotilität und -morphologie sowie zur Abnahme der Spermiengesamtzahl führt. Infektiöse oder traumatisch bedingte Orchititiden hingegen verursachen – nicht nur aufgrund der Thermoregulationsstörungen – eine direkte Zerstörung des Keimepithels und führen so zur Hodendegeneration.
Die altersbedingte Hodendegeneration kann auch bei Hengsten durch eine verminderte Ansprechbarkeit der testikulären Gonadotropinrezeptoren entstehen. Die reduzierte Testosteronkonzentration im Blut führt initial (aufgrund der hypothalamisch-hypophysären Rückkopplungsmechanismen) zu einem kompensatorischen Anstieg der LH- und FSH-Konzentration. Die Hoden erfahren dadurch eine verstärkte Stimulation, sodass die Funktion erhalten bleibt. Beim alternden Hängst reicht diese Stimulation jedoch langfristig nicht aus, sodass die Hodenfunktion – insbesondere die Spermatogenese – infolge einer altersbedingten Atrophie abbricht. Da jedoch für das hengstische Verhalten nur sehr niedrige Testosteronkonzentrationen notwendig sind, zeigen Hengste mit altersbedingter Hodendegeneration dennoch ein physiologisches Hengstverhalten.
Exogen zugeführte Steroidhormone (Anabolika, Gestagene zur Hemmung des Hengstverhaltens u.ä.) hemmen über negative Rückkopplungsmechanismen die hypothalamische GnRH- bzw. hypophysäre LH- und FSH-Sekretion. Die endogene Stimulation der Hodenfunktion wird reduziert, sodass es zu einer Hemmung der Androgensynthese und -sekretion sowie der Spermatogenese kommt. Ob und wie lange eine solche Hemmung der Hodenfunktion durch exogene Steroidbehandlung reversibel sein kann, ist bislang (2021) jedoch nicht bekannt.
Klinik
Die akute Form der Hodendegeneration ist nur histologisch festzustellen. Die chronische Form hingegen fällt (insofern nur ein Hoden betroffen ist) v.a. durch eine Asymmetrie der Hoden auf.
Milde Krankheitsfälle gehen mit einer normalen oder gerringgradig verkleinerten Hodengröße einher. Die Konsistenz dieser Hoden ist häufig nur unwesentlich derber als ein gesunder Hoden. Bei fortschreitender Atrophie nimmt der Gehalt an Bindegewebe zu, sodass die Größe deutlich abnimmt, während die Konsistenz zunehmend derber wird. Aufgrund dieser Veränderungen tritt der Nebenhoden immer mehr in den Vordergrund, sodass dieser letztendlich überproportional groß erscheint.
Ejakulat
Abhängig vom Schweregrad der Veränderungen nimmt die Spermiengesamtzahl bzw. die tägliche Spermienproduktion ab. Während der Anteil motiler Samenzellen sinkt, steigt der Anteil von Spermien mit morphologischen Defekten deutlich an. Durch das defekte Keimepithel werden vermehrt runde Spermatogenesezellen (Rundzellen) unterschiedlicher Größe ausgeschieden. Gelegentlich können auch multinukleäre Riesenzellen nachgewiesen werden, die eine Folge unvollständiger Zytoplasmateilungen während der Spermatogenese sind. Hochgradige Hodendegenerationen führen letztendlich zu einer Azoospermie.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch ist v.a. eine Hodenhypoplasie auszuschließen.
Diagnose
Die Verdachtsdiagnose kann häufig bereits aufgrund des klinischen Bildes gestellt werden. Zur Diagnosesicherung ist eine Ultraschalluntersuchung des Hodenparenchyms indiziert. Hier fallen im Vergleich zum gesunden Hoden (feinkörnig-mäßig echogenes Drüsengewebe) v.a. ein echodichtes, diffuses und feines bis grobes Netzwerk an Bindegewebszubildungen auf. Die Veränderungen können entweder den gesamten Hoden durchziehen oder lokal begrenzt sein.
In unklaren Fällen kann eine Hodenbiopsie mit anschließender pathohistologischer Untersuchung erfolgen. Im histologischen Schnittbild zeigen sich eine abnehmende Dicke des Keimepithels, vakuolige Zytoplasmadegenerationen, Pyknosen der Spermatozytenkerne, intratubuläre Riesenzellbildung, Verkalkungen und Fibrosen. Bei fortgeschrittener Hodendegeneration mit deutlicher Leydig-Zellatrophie bleibt bei der exogenen Zufuhr von hCG auch ein Anstieg des Testosteronspiegels aus.
Therapie
Alle prädisponierenden Faktoren sind umgehend zu vermeiden. Parallel dazu ist eine antiinflammatorische Therapie indiziert, um lokale Schwellungen und Entzündungen zu reduzieren.
Ob sich das Hodenparenchym jedoch wieder erholt, bleibt unklar. Um die Prognose abschätzen zu können, ist eine Untersuchung des Ejakulats einige Wochen nach klinischer Besserung anzuraten.
Literatur
- Aurich C (Hrsg.). 2009. Reproduktionsmedizin beim Pferd. Gynäkologie - Andrologie - Geburtshilfe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Parey-Verlag. ISBN: 978-3-8304-4179-3