Sensibilität
Synonyme: Empfindlichkeit, Fühlen
Definition
Als Sensibilität wird in der Medizin die Fähigkeit von Lebewesen zur Wahrnehmung qualitativ unterschiedlicher Empfindungen bezeichnet, die man in ihrer Gesamtheit als Fühlen bezeichnet.
Im weiteren Sinn wird Sensibilität auch als Bezeichnung für die generelle Empfindlichkeit der physischen oder psychischen Systeme eines Organismus verwendet. Eine gesteigerte Sensibilität nennt man Idiosynkrasie.
Im Bezug auf Test- oder Messverfahren spricht man von Sensitivität.
Qualitäten der Sensibilität
Die Sensibilität ist eine komplexe Leistung des Nervensystems. Sensible Wahrnehmungen werden bezüglich ihrer Qualität und Quantität unterschieden und führen nach Summation und Integration in höheren Zentren des ZNS zu subjektiven Empfindungen.
Die Wahrnehmung der Sensibilität unterliegt interindividuellen sowie intraindividuellen Schwankungen. So können unterschiedliche Menschen den gleichen Reiz verschieden empfinden, genauso kann jedoch der selbe Mensch den gleichen Reiz abhängig von Aufmerksamkeit und Affektlage unterschiedlich empfinden.
Einteilung
Die Sensibilität kann nach anatomischen und physiologischen Gesichtspunkten in mehrere Dimensionen unterteilt werden. Diese Unterteilungen sind jedoch nicht trennscharf, sondern weisen teilweise große Überschneidungen auf.
...nach Ort der Reizentstehung
- Exterozeption: Wahrnehmung von äußeren Reizen über die Haut oder Schleimhaut
- Interozeption: Wahrnehmung innerer Reize, weiter unterteilbar in
- Viszerozeption: Wahrnehmung von Reizen aus den inneren Organen, auch Enterozeption genannt
- Propriozeption: Wahrnehmung von Lage, Spannungs- und Bewegungszustand des muskuloskelettalen Systems
...nach Ort der Reizaufnahme
...nach Art der vermittelten Reize
- Protopathische Sensibilität: "Grobwahrnehmung" von Schmerz und Temperatur
- Epikritische Sensibilität: "Feinwahrnehmung" von Druck, Berührung und Vibration
...nach Art der aufnehmenden Rezeptoren
- Mechanorezeption: Berührung, Druck, Vibration, Dehnung usw.
- Thermorezeption: Kälte, Wärme
- Nozizeption: Schmerz
- Chemorezeption: pH-Wert, Sauerstoffpartialdruck, Kohlendioxidpartialdruck
...nach Wahrnehmungsrichtung
- haptische Wahrnehmung: aktives Erfühlen eines Objekts
- taktile Wahrnehmung: passive Wahrnehmung von Berührungen
Beide Formen können auch unter dem Begriff Tastsinn zusammengefasst werden.
Reizaufnahme und -weiterleitung
Diese grob unterteilten Formen der Sensibilität werden bestimmten physiologischen Prozessen und leitenden anatomischen Strukturen zugeordnet.
Dabei erfolgt die Aufnahme sensibler Reize durch spezielle Nervenendigungen wie Ruffini-Körperchen, Merkel-Zellen und Muskelspindeln und die Weiterleitung über Nerven in die Hinterwurzel des Spinalganglions. Von dort werden die sensiblen Reize über anatomische Strukturen des Rückenmarks zu höheren Zentren, unter anderem Thalamus und Großhirnrinde weitergeleitet.
Für die Leitung sensibler Impulse aus der Peripherie in das ZNS sind folgende Bahnen des Rückenmarks verantwortlich:
Klinik
In der Neurologie sind die anatomisch-physiologischen Zuordnungen gültig, reichen jedoch nicht zur Differenzierung und Zuordnung von Sensibilitätsstörungen bzw. Sensibilitätsausfällen aus. Bei der neurologischen Sensibilitätsprüfung werden daher die unterschiedlichen Qualitäten der Sensibilität einzeln genauer untersucht. Unterschieden werden:
- Berührungsempfindung
- Temperaturempfindung
- Vibrationsempfindung
- Schmerzempfindung
- Bewegungsempfindung
- Lageempfindung
- Kraftempfindung
Weiterhin werden von diesen "einfachen" Qualitäten zusätzliche komplexe Sensibilitätsleistungen wie Stereognosie und sensibler Funktionswandel unterschieden.
Sind eine oder gar mehrere Qualitäten gestört, so kann anhand von Lokalisation und Qualität der Störung eine Lokalisationsdiagnostik bzw. Ursachenforschung erfolgen. Grundsätzlich sollte jede Prüfung der Sensibilität im Seitenvergleich erfolgen.