Erythropoese
von altgriechisch: ἐρυθρός ("erythros") - rot; ποίησις ("poiesis") - Schöpfung
Synonyme: Erythropoiese, Erythrozytopoese, Erythrozytogenese, Erythrogenese, Erythroneozytose, "rote Reihe"
Englisch: erythropoiesis, erythrocytopoiesis
Definition
Als Erythropoese bezeichnet man die Bildung von reifen Erythrozyten aus hämatopoetischen Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks. Die Erythropoese ist ein Teil der Hämatopoese.
Ablauf
Die Erythropoese erfolgt nach der allgemeinen Modellvorstellung in sieben morphologisch unterscheidbaren Schritten in Kompartimenten des Knochenmarks und des peripheren Blutes. Bei der Bezeichnung der einzelnen Schritte gibt es in der Literatur teilweise unterschiedliche Angaben. Die Bezeichnung Normoblast als Synonym für Erythroblast gilt inzwischen als veraltet.
Teilungskompartiment des Knochenmarks
- E1: Bildung von Proerythroblasten aus CFU-E (unipotente myeloische Stammzellen)
- E2: Entstehung von Makroblasten durch Teilung
- E3: Entstehung von basophilen Erythroblasten/Normoblasten durch Teilung
- E4: Differenzierung zu polychromatischen Erythroblasten/Normoblasten durch Teilung; letztes mitotisches Stadium, danach Verlust der Teilungsfähigkeit
Reifungskompartiment des Knochenmarks
- E5: Weitere Entwicklung zu orthochromatischen (oxyphilen) Erythroblasten/Normoblasten
- E6: Verlust der Zellkerne, Entstehung von Retikulozyten
Peripheres Blut
- E7: Endgültige Reifung zum kern- und organellenlosen Erythrozyten
Im Verlauf der Erythropoese entstehen aus jedem Proerythroblasten damit 16 reife Erythrozyten. Durch sogenannte differentielle Zellteilungen reift jeweils nur ein Teil der Stammzellen zu Blutzellen heran, während andere Zellen undifferenziert als multipotente Stammzellen im Knochenmark verbleiben.
Mit zunehmender Differenzierungsstufe nimmt der Gehalt an Hämoglobin in den Zellen zu, bis er in den Erythrozyten eine Konzentration von etwa 20 mmol/l erreicht (MCHC). Im Gegenzug stoßen die roten Blutzellen im Verlauf ihrer Entwicklung die Organellen und schließlich auch den Nucleus aus, so dass sie die Fähigkeit zur Mitose, zur Proteinbiosynthese und zur aeroben Glykolyse verlieren.
Merkhilfe
| "Probleme machen bald Pollys Ortschaft recht einmalig." | |
|---|---|
| Proerythroblast | Probleme |
| Makroblast | machen |
| Basophiler Erythroblast | bald |
| Polychromatischer Erythroblast | Pollys |
| Orthochromatischer Erythroblast | Ortschaft |
| Retikulozyt | recht |
| Erythrozyt | einmalig |
Regulation
Physiologie
Im Normalfall werden täglich ungefähr 1% der Erythrozyten neu gebildet. Die Zahl der Erythrozyten wird jedoch vom Organismus dem Sauerstoffbedarf angepasst. Daher läuft bei Anämien die Erythropoese gesteigert ab. Auch Anpassungen an große Höhen und Schwangerschaften gehen mit einer gesteigerten Erythropoese einher. Faustregel: Die Erythropoese kann bei Bedarf bis auf das 10fache ansteigen und sie braucht dafür 10 Tage.
Molekularbiologie
Die Regulation der Erythropoese erfolgt vor allem durch das hormonell aktive Glykoprotein Erythropoetin. Dieses wird zu 85 bis 90% in peritubulären Fibroblasten der Niere als Antwort auf eine verminderte Sauerstoffsättigung (Hypoxie) in den Nierenarterien gebildet. Der Sauerstoffmangel reduziert in den Zellen den Abbau des Hypoxie-induzierten Faktors (HIF), der als Transkriptionsfaktor die Erythropoetinbildung beschleunigt. Aus der Niere gelangt das Hormon über die Blutbahn ins Knochenmark und bindet dort an Erythropoetin-Rezeptoren auf Erythroblasten.
Klinik
Störungen der Erythropoese bezeichnet man als Dyserythropoese. Sie können zu
- einem Mangel an Erythrozyten (Anämie) oder zu
- einer vermehrten Bildung von Erythrozyten mit Zellüberschuss (Polyzythämie, Erythrozytose bzw. Polyglobulie)
führen. Die Bildung von funktionsunfähigen Erythrozyten führt ebenfalls zu einer Anämie, da diese Zellen schnell hämolysieren (z.B. bei der Sichelzellenanämie). Anämien oder Polyzythämien können durch viele verschiedene Mechanismen ausgelöst werden.
Die häufigsten Ursachen einer Anämie sind Reifungsstörungen aufgrund eines Substratmangels, z.B. bei Eisenmangelanämie, Vitamin-B12-Mangelanämie oder Folsäuremangelanämie. Darüber hinaus kann es durch eine gestörte Erythropoetinproduktion bei Niereninsuffizienz (renale Anämie) oder chronischen Erkrankungen (z.B. PCP) zu einer verminderten Erythropoese kommen. Auch unter der Gabe bestimmter Medikamente (Zytostatika) treten Änamien auf.
Eine vermehrte Bildung von Erythrozyten findet sich als physiologischer Prozess nach einem Blutverlust oder im Rahmen von Höhenaufenthalten. Pathologisch tritt sie u.a. bei Nierenarterienstenose oder Zystennieren sowie bei myeloproliferativen Erkrankungen (z.B. Polycythaemia vera) auf. Auch eine paraneoplastisch bedingte exzessive Erythropoetinbildung, z.B. bei Nierenzellkarzinomen, kann zu einer Erythrozytose führen.