Bakterielle Dünndarmfehlbesiedlung
Synonyme: Bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms, Bakterielle Überwucherung des Dünndarms
Englisch: small intestinal bacterial overgrowth, SIBO, small intestinal bacterial overgrowth syndrome
Definition
Bei der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung, kurz DDFB, handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Verdauungsstörungen, die auf einem Ungleichgewicht des bakteriellen Mikrobioms im Darm beruhen. Dabei kann eine bakterielle Fehlbesiedlung oder eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms vorliegen. Häufig wird der englische Begriff "small intestinal bacterial overgrowth", kurz SIBO, verwendet.
Epidemiologie
Die Prävalenz der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung in der gesunden Bevölkerung wird auf 0-20 % geschätzt. Bei Patienten mit einer Motilitätsstörung des Darms zeigt sich eine höhere Prävalenz.[1]
Ätiologie
Ursachen einer bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung können Störungen der antibakteriellen Mechanismen des Körpers, eine veränderte Anatomie und/oder intestinale Motilitätsstörungen sein. Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Ob die Faktoren ursächlich oder prädisponierend sind, ist bisher unklar.
Zu den Ursachen gehören u.a.:
- Störungen der antibakteriellen Mechanismen des Körpers
- Achlorhydrie oder Protonenpumpeninhibitor-Langzeittherapie
- Exokrine Pankreasinsuffizienz
- Immundefizienz
- Obstruktion des Darms
- Adhäsionen nach Operationen
- Strikturen (z.B. durch Bestrahlung) oder Stenosen (z.B. bei Morbus Crohn)
- anatomische Abnormalitäten
- Divertikel
- Fisteln
- Resektionen (z. B. Ileumcoecalresektion)
- Blindsacksyndrom ("blind-loop-syndrom“)
- intestinale Motilitätsstörungen
Pathophysiologie
Verschiedene Mechanismen können eine Fehlbesiedlung des Dünndarms hervorrufen. Motilitätsstörungen des Gastrointestinaltraktes begünstigen eine pathologische Vermehrung von Bakterien im Dünndarm. Sind die physiologischen Abwehrmechanismen des Körpers z.B. durch eine geringe Magensäuresekretion oder Immundefizienz gestört, verändert sich die bakterielle Besiedelung auch im Darm in Anzahl und Zusammensetzung. Außerdem können anatomische Veränderungen bzw. eine daraus resultierende Stase eine Einwanderung von Bakterien aus dem Colon in den Dünndarm und die dortige Ausbreitung ermöglichen.
Symptome
Klinisch präsentiert sich die bakterielle Fehlbesiedlung je nach grundlegender Ursache unterschiedlich. Häufig klagen Patienten über
- Meteorismus
- Flatulenzen
- Bauchschmerzen
- Spannungsgefühl des Abdomens
- Veränderung des Stuhlgangs (z. B. Diarrhö, Steatorrhö)
Möglich sind auch Folgeerscheinungen durch die Malabsorption v.a. von Fetten, Proteinen und Mikronährstoffen (z.B. Vitaminen).
Diagnose
Eine ausführliche Anamnese ist Grundlage jeder weiteren Untersuchung. Die weitere Diagnostik beinhaltet insbesondere:
Als Goldstandard gilt die Anzüchtung einer Kultur aus einem endoskopisch gewonnenen Jejunalaspirat. Als Schwelle für eine Dünndarmfehlbesiedlung werden aktuell mindestens 103 Keime pro Milliliter Darminhalt angegeben. Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwändig, weshalb zunächst andere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen und die Verdachtsdiagnose gestützt werden sollte. Dazu können Verfahren wie der H2-Atemtest, die Durchführung einer Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) oder eine Kernspintomographie mit Kontrastmittelpassage nach Sellink (MR-Sellink) durchgeführt werden. Diese haben jedoch in der Regel eine geringere Spezifität und Sensitivität.
Test der Wahl ist meist der H2-Atemtest. Erhöhte Wasserstoffwerte (> 19 ppm) haben eine hohe Vorhersagekraft für das Vorliegen einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms mit einer Spezifität von über 90 %. Die Sensitivität der Atemtests liegt jedoch deutlich niedriger.
Eine Laboruntersuchung sollte durchgeführt werden, um eine mögliche Malabsorption zu entdecken. Eine probatorische Antibiotikagabe kann erfolgen, ist aber nicht Teil der klinischen Praxis.
Differentialdiagnosen
Therapie
Die Behandlung der SIBO hat zunächst die bestmögliche Behandlung der Ursache der bakteriellen Fehlbesiedlung als Ziel. Dazu gehören u.a:
- chirurgische Therapie von anatomischen Abnormalitäten
- Beendigung der Einnahme von motilitätshemmenden Medikamenten oder von Protonenpumpeninhibitoren
- Verbesserung von Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus
Ohne den Einsatz von Antibiotika kommt es jedoch selten zu einer Eradikation der fehlbesiedelten Bakterien bzw. zur Reduktion der Dünndarmüberwucherung. Bisher gibt es keine festen Therapieregimes und nur wenige klinische Studien. Der Einsatz von Rifaximin für 7 bis 10 Tage zeigte gute Ergebnisse. Häufig sind danach Patienten für einige Monate beschwerdefrei. Rezidive sind jedoch häufig.
Die anschließende Gabe von Probiotika scheint in Beobachtungsstudien Erfolge zu erzielen. Langfristige Erfolge sind vor allem in Kombination mit einer Ernährungsumstellung zu beobachten, bei der die Aufnahme von fermentierbaren Kohlenhydraten reduziert wird.
Literatur
- Christoph Lübbert (2015): Fehlbesiedelung des Dünndarms, DGIM Innere Medizin - eMedpedia.
- Wilhelmi, Martin; Studerus, Diana; Dolder, Mathias; Vavricke, Stephan (2018): «small intestinal bacterial overgrowth». Die Antwort auf therapierefraktäre Bauchbeschwerden?, Swiss Med Forum (9)
Quellen
- ↑ Grace et al. Review article: small intestinal bacterial overgrowth – prevalence, clinical features, current and developing diagnostic tests, and treatment. Alimentary Pharmacology and Therapeutics; 2013, abgerufen am 02.09.2021
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