West-Syndrom
nach dem englischen Chirurgen William James West (1793-1848)
Synonyme: Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie, BNS-Epilepsie, BNS-Syndrom, infantile Spasmen, epileptische Spasmen, propulsiver Petit-Mal-Anfall (obsolet)
Englisch: West-syndrome, infantile spasm
Definition
Das West-Syndrom ist ein seltenes infantiles Epilepsie-Syndrom im Säuglingsalter. Es ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Blitz-Nick-Salaam-Anfällen und Hypsarrhythmien.
Epidemiologie
Die Prävalenz des West-Syndroms wird auf 1:4000 bis 1:6000 geschätzt, wobei männliche Säuglinge relativ häufiger betroffen sind als weibliche. Die Erstmanifestation erfolgt typischerweise zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat.
Ätiologie
In der Hauptzahl (70 %) der Fälle liegt eine metabolische (Phenylketonurie), genetische oder sekundär erworbene hirnorganische Ursache vor, u.a.:
- postnatale zerebrale Hypoxie
- kortikale Dysplasie
- Hirnatrophie
- Läsion in Folge entzündlicher Prozesse
- Mikrozephalie
- ischämisch zerebrale Schädigung in Folge vaskulärer Malformation
- Hirnblutung
- Schädelhirntrauma
- tuberöse Sklerose
- Sturge-Weber-Syndrom
- Mutationen in den Genen ARX, CDKL5 oder SPTAN1
- Trisomie 21
Seltener sind kryptogene (20 %) und idiopathische Erkrankungsformen.
Klinik
Das West-Syndrom ist durch in Serie (Cluster) auftretende generalisierte Krampfanfälle mit bilateral symmetrischer Ausprägung gekennzeichnet. Die Anfälle weisen drei Krampfcharakteristika auf, die in der Regel kombiniert als Blitz-Nick-Salaam-Anfall (BNS-Anfall) auftreten. Hierzu zählen:
- blitzartig auftretende Myoklonien mit überwiegender Flexionsbewegung der Extremitäten, insbesondere der Beine (Blitz-Anfall)
- krampfartige Beugung des Kopfes (Nick-Anfall) und
- Hochwerfen und Beugung der Arme mit ggf. Zusammenführen der Hände vor der Brust und Beugung des Rumpfes (Salaam-Anfall)
In der Regel werden die Anfälle von Weinen begleitet.
Folgekomplikationen
Die hohe Anfallsrate bedingt eine Störung der physiologischen Hirnentwicklung. Kinder mit West-Syndrom weisen in der Regel psychomotorische Entwicklungsstörungen mit
- geistiger Retardierung
- mangelnder Fähigkeit zur Fixierung
- inadäquater Reaktion auf Ansprache und/oder
- hypotonem Muskeltonus auf.
Diagnostik
Die Diagnose des West-Syndroms erfordert die Kenntnis über die Anfallsausprägung. Häufig werden BNS-Anfälle von Seiten der Eltern und Ärzte, insbesondere in Folge der Ähnlichkeit zwischen Salaam-Anfällen und dem Moro-Reflex, fehlinterpretiert. Das EEG zeigt ein krankheitstypisches pathologisches Muster (Hypsarrhythmie) aus langsamen asynchronen Delta- und Tethawellen sowie epilepsietypischen hochamplitudigen Krampfpotentialen (sharp-waves, spikes).
Die Ursachenabklärung erfolgt bildgebend mittels
- Sonographie, CCT, MRT: Läsion, Blutung, Durchblutungsstörung, kortikale Dysplasie, Fraktur, Hirnatrophie?
- PET: metabolische Störung?
Die Abklärung einer metabolischen Ursache beinhaltet die Blut- und Urindiagnostik (Phenylketonurie?).
Bei fehlendem Nachweis einer hirnorganischen oder metabolischen Störung ist die Abklärung einer genetischen Ursache mittels Familienanamnese und molekulargenetischer Untersuchung indiziert.
Therapie
Ein einheitliches Therapiekonzept zur Behandlung des West-Syndroms existiert nicht.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie umfasst die Gabe von
- ACTH oder Glukokortikoiden
- Antikonvulsiva (Sultiam, Vigabatrin, Levetiracetam, Valproat, Topiramat)
- Benzodiazepinen (Clonazepam, Nitrazepam)
- Pyridoxalphosphat (Vitamin B6)
Das Ansprechen auf medikamentöse Therapieversuche ist individuell unterschiedlich. Pharmakoresistente Verläufe sind möglich.
Operative Therapie
Bei läsionsbedingter hirnorganischer Schädigung kann eine epilepsie-chirurgische Intervention in Erwägung gezogen werden.
Prognose
Die Prognose ist individuell unterschiedlich und richtet sich nach dem Behandlungsbeginn und der jeweiligen Ursache.
20 % der Erkrankungsfälle verlaufen letal. Ungünstige Prognosen bestehen bei
- therapierefraktären Verläufen und
- asymmetrisch ausgeprägten Anfallsformen, die zumeist auf eine bereits bestehende schwergradige hirnorganische Störung hinweisen.
Im Falle günstiger Verlaufsformen kommt es zu einem Sistieren der Anfälle um das 5. Lebensjahr herum, wobei ein Übergang in andere Epilepsieformen möglich ist. Die frühkindliche hirnorganische Entwicklungsverzögerung äußert sich durch anhaltende kognitive Defizite.
Quellen
- AWMF: Therapie der Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie (West-Syndrom) - S3-Leitlinie der Gesellschaft für Neuropädiatrie e.V (GNP) Stand 2021, gültig bis 2026
- epilepsie bundes-elternverband e.v.: Allgemeine Informationen zu kindlichen Epilepsien
- Therapieschema zur Behandlung des West-Syndroms
- Orphanet-Datenbank: West-Syndrom - ORPHA:3451
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