AV-Reentrytachykardie
Synonym: atrioventrikuläre Reentrytachykardie
Englisch: atrioventricular reentrant tachycardia, AVRT
Definition
Als AV-Reentrytachykardie, kurz AVRT, bezeichnet man eine Form der supraventrikulären Tachykardien mit Präexzitationssyndrom. Die AV-Reentrytachykardie und die AV-Knoten-Reentrytachykardie (ohne Präexzitationssyndrom) wurden früher unter dem Überbegriff paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien (PSVT) zusammengefasst. Bei beiden Tachykardieformen handelt es sich um zwei Entitäten unterschiedlicher Pathogenese, die einer unterschiedlichen (vor allem medikamentösen) Therapie bedürfen.
Epidemiologie
Die AV-Reentrytachykardie ist die zweithäufigste Form der paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie.
Ätiologie
Die Ursache einer AV-Reentrytachykardie ist immer eine akzessorische Leitungsbahn (aLB) zwischen Vorhof und Ventrikel. Dabei existieren verschiedene Formen von AV-Reentrytachykardien:
- WPW-Syndrom
- Offenes WPW-Syndrom über Kent-Bündel
- Offenes WPW-Syndrom über Mahaim-Faser
- Verborgenes WPW-Syndrom
- Permanente junktionale Reentrytachykardie (PJRT)
- Lown-Ganong-Levine-Syndrom (LGL-Syndrom) über James-Bündel
Pathophysiologie
Physiologischerweise nimmt die Erregung des Herzens ihren Ursprung im Sinusknoten (Lage im rechten Vorhof). Vom Sinusknoten breitet sie sich über das Vorhofmyokard bis zur AV-Klappenebene aus, wird über den AV-Knoten und das His-Bündel auf den rechten und linken Tawara-Schenkel geleitet. Von den Tawara-Schenkeln setzt sich die Erregung fort auf die Purkinje-Fasern und letztlich wird das Kammermyokard erregt. Vorhof- und Kammermyokard sind voneinander elektrisch isoliert, so dass der AV-Knoten die einzige verbindende Leitungsbahn ist (AV-Überleitung).
Der AV-Knoten erfüllt in dieser Erregungsleitungskette die Funktion eines physiologischen Filters, der dafür sorgt, dass gefährlich hohe Frequenzen aus dem Sinusknoten oder ektopen Vorhoferregungszentren nicht auf die Kammer übergeleitet werden.
Die akzessorische Leitungsbahn stört diese physiologischen Abläufe. Sie wirkt arrhythmogen, wobei sich zwei Hauptformen differenzieren lassen:
- Bei der orthodromen AVRT wird die Vorhoferregung regulär anterograd über den AV-Knoten auf das Kammermyokard übertragen. Die akzessorische Leitungsbahn sorgt jedoch für eine irreguläre, rückwärts laufende (retrograde) Aktivierung des Vorhofs. Auf diese Weise kommt es zu einer kreisenden Erregung, welche die Tachykardie auslöst. Dieser Pathomechanismus liegt in mehr als 90% der Fälle vor. Er führt im EKG zu schmalen QRS-Komplexen.
- Der umgekehrte Fall liegt bei der antidromen AVRT vor. Hier wird das Kammermyokard anterograd über die akzessorische Leitungsbahn erregt, während die die Vorhofaktivierung retrograd über den AV-Knoten erfolgt. Dieser Fall tritt deutlich seltener auf (ca. 5%) und ist durch verbreiterte QRS-Komplexe gekennzeichnet.
Klinik
Der Patient kann vollkommen beschwerdefrei sein oder über Herzrasen und Schwindel klagen. Beim akuten Auftreten der AV-Reentrytachykardie können Palpitationen wahrgenommen werden. Sind die tachykarden Episoden hämodynamisch relevant, d.h. ist die diastolische Ventrikelfüllung durch die hohe Herzfrequenz gestört, kann es zu (kardial bedingten) Synkopen oder zum kardiogenen Schock kommen.
Diagnostik
Anamnese: Plötzliche Episoden von Palpitationen, Schwindel, Ohnmacht (Synkopen).
Im EKG außerhalb der tachykarden Phase zeigen sich verbreiterte QRS-Komplexe durch die präexzitatorische Delta-Welle. Die Delta-Welle ist das elektrokardiografische Korrelat der über die akzessorische Leitungsbahn einfallenden Erregung. Die Präexzitation kann kontinuierlich oder intermittierend auftreten. Desweiteren kann die PQ-Zeit verkürzt (< 0,12 s) sein.
Desweiteren dienen der Diagnosefindung Langzeit-EKG und Event-Recorder.
Ein intrakardiales EKG dient der Lokalisation der akzessorischen Leitungsbahn. Hier gilt es vor allem diejenigen Patienten zu identifizieren, deren akzessorische Leitungsbahn eine kurze Refraktärzeit aufweist. Diese Patienten sind besonders gefährdet einen plötzlichen Herztod zu erleiden. Patienten mit langer Refraktärzeit der akzessorischen Leitungsbahn zeichnen sich durch einen Verlust der Delta-Welle im Langzeit-EKG oder der Ergometrie aus und sind weniger gefährdet.
Therapie
Grundsätzlich gilt bei der Therapie von AV-Reentrytachykardien, dass Medikamente kontraindiziert sind, welche die AV-Überleitung verlangsamen oder blockieren (z.B. Verapamil, Digitalis oder Betablocker). Dies gilt insbesondere bei gleichzeitig bestehendem Vorhofflimmern.
- Bei einer AV-Reentrytachykardie ohne Vorhofflimmern wird Adenosin i.v. gegeben[1]
- Bei einer AV-Reentrytachykardie mit Vorhofflimmern ist Ajmalin i.v. Mittel der ersten Wahl (Reservemittel: Propafenon)[1]
Versagt die medikamentöse Therapie oder droht ein kardiogener Schock, ist eine Elektrokardioversion indiziert. Bei rezidivierenden, symptomatischen Verläufen ist die selektive Hochfrequenz-Katheterablation der akzessorischen Leitungsbahn die Therapie der Wahl.
siehe auch: WPW-Syndrom (häufigste Variante der AV-Reentrytachykardie)
Abgrenzung
Die AV-Reentrytachykardie muss klar von der AV-Knoten-Reentrytachykardie differenziert werden. Dies ist vor allem deswegen wichtig, weil Medikamente zur Behandlung der AV-Knoten-Reentrytachykardie bei der AV-Reentytachykardie unter Umständen kontraindiziert sind (siehe oben).
Der grundsätzliche Unterschied liegt darin begründet, dass bei der AV-Reentrytachykardie eine akzessorische Leitungsbahn zwischen Vorhof und Ventrikel vorliegt (Präexzitationssyndrom). Hierdurch ergeben sich die charakteristischen EKG-Veränderungen außerhalb der tachykarden Phasen (verbreiterter QRS-Komplex durch Delta-Welle). Eine solche Leitungsbahn gibt es bei der AV-Knoten-Reentrytachykardie nicht (keine Delta-Welle, verschmälerter QRS-Komplex).
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