Niereninsuffizienz
Synonyme: Nierenfunktionsstörung, Nierenversagen
Englisch: renal failure
Definition
Als Niereninsuffizienz oder Nierenversagen bezeichnet man die Unterfunktion einer oder beider Nieren. Es kommt im Rahmen einer Niereninsuffizienz zur Erhöhung der Konzentration von harnpflichtigen Substanzen (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure und andere) im Blut.
Ursachen
Eine Niereninsuffizienz kann auf der Basis verschiedener Nierenerkrankungen oder Allgemeinerkrankungen entstehen. Die mit Abstand häufigste Ursache ist die diabetische Nephropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus. Weitere Ursachen sind:
- hypertensive Nephropathie (Nephrosklerose)
- Glomerulonephritiden
- Zystennieren
- interstitielle Nephritiden
- Autoimmunerkrankungen, z.B. systemischer Lupus erythematodes (SLE)
Einteilung
...nach Verlauf
Klinisch wird die Niereninsuffizienz eingeteilt in:
- Akutes Nierenversagen (ANV) bzw. akute Niereninsuffizienz, ICD10-Code N17
- Chronisches Nierenversagen (CNV) bzw. chronische Niereninsuffizienz, ICD10-Code N18, nach neuerer Diktion "chronische Nierenerkrankung"
Unter ICD10-Code N19 ist die nicht näher bezeichnete Niereninsuffizienz klassifiziert.
...nach glomerulärer Filtrationsrate
Anhand der glomerulären Filtrationsrate (GFR) kann man die Niereninsuffizienz in fünf Schweregrade einteilen:
Stadium | GFR | ICD10-Code | Nierenerkrankung... |
---|---|---|---|
1 | > 89 | N18.1 | ...mit normaler Nierenfunktion |
2 | 60 - 89 | N18.2 | ...mit milder Funktionseinschränkung |
3 | 30 - 59 | N18.3 | ...mit moderater Funktionseinschränkung |
4 | 15 - 29 | N18.4 | ...mit schwerer Funktionseinschränkung |
5 | < 15 | N18.5 | Chronisches Nierenversagen |
Im Stadium 1 und 2 ist zur Diagnose einer Nierenkrankheit immer der Nachweis einer Proteinurie oder ein pathologischer Befund in einem bildgebenden Verfahren erforderlich. Patienten mit einer milden Nierenfunktionseinschränkung (GFR 60-89 ml/min/1,73m²), bei denen man keine Proteinurie oder andere pathologische Veränderungen an den Nieren feststellen kann, sind nicht nierenkrank.
...nach Retentionswerten
Eine andere Möglichkeit der Einteilung ist die Klassifizierung in Abhängigkeit von den Retentionswerten. Dabei wird die Niereninsuffizienz in 4 Stadien eingeteilt.
Stadium 1 - Funktionseinschränkung
Im Stadium 1 der Niereninsuffizienz liegt eine Funktionseinschränkung der Niere vor. Die Kreatinin-Werte liegen zwischen 1,2 mg/dl bis 2 mg/dl. Jedoch muss nicht jede Funktionseinschränkung der Niere in diesem Stadium zu einer Erhöhung des Serumkreatinins führen. Erst ab einer Abnahme der GFR um 50 % steigt das Kreatinin im Serum an.
Daher kann eine Niereninsuffizienz trotz Kreatininwerten im Referenzbereich vorliegen. Zur Aufdeckung solch maskierter Fälle der Niereninsuffizienz eignet sich die Bestimmung der Clearance, beispielsweise der Kreatinin-Clearance.
Besonders bei Patienten hohen Alters ist auch das Vorliegen einer geringgradigen Niereninsuffizienz durch Dosisanpassungen bei renal eliminierten Medikamenten zu berücksichtigen.
Stadium 2 - Kompensierte Retention
Im Stadium 2 spricht man auch von einer kompensierten Retention oder Azotämie. Die Kreatininwerte liegen zwischen 2 bis 6 mg/dl. In diesem Stadium können harnpflichtige Substanzen noch in ausreichendem Maß ausgeschieden werden.
Stadium 3 - Dekompensierte Retention
Das Stadium 3 ist das Stadium der dekompensierten Retention. Harnpflichtige Substanzen werden nicht mehr in ausreichendem Maß aus dem Blut eliminiert - es resultiert eine Präurämie. Die Kreatininwerte liegen zwischen 6 bis 12 mg/dl. Im Stadium der dekompensierten Retention ist durch eine diätetische Eiweißrestriktion eine Rückführung in die kompensierte Retention möglich.
Stadium 4 - Urämie
Das Stadium 4 ist die terminale Niereninsuffizienz, es besteht die Indikation zur Dialyse und/oder zur Nierentransplantation. Die Retentionswerte liegen über 12 mg/dl. Das Erscheinungsbild des Patienten ist durch die klinische Symptomatik der Urämie geprägt.
...nach Pathophysiologie
- Prärenale Niereninsuffizienz: Die auslösende Störung sitzt "vor" der Niere. Die Verminderung des (effektiven) Blutvolumens (Hypovolämie) führt zur Niereninsuffizienz.
- Intrarenale Niereninsuffizienz: Die Ursache für den Funktionsverlust liegt im Nierengewebe selbst.
- Postrenale Niereninsuffizienz: Die Insuffizienz wird durch Veränderungen "hinter" der Niere verursacht, d.h. im Bereich der ableitenden Harnwege (obstruktive Uropathie).
Symptome und Folgeerkrankungen
Die Niereninsuffizienz führt zu einer Vielzahl charakteristischer Symptome und Folgeerkrankungen, die neben den Laborwerten diagnostisch wegweisend sein können. Die wichtigsten Konsequenzen sind Überwässerung, Retention harnpflichtiger Substanzen (Urämie) und Elektrolytstörungen. Zu den typischen Symptomen zählen:
- Pruritus
- Foetor uraemicus
- renale Anämie (Anämie durch Erythropoetinmangel und erhöhten Harnstoffgehalt im Blut)
- renale Osteopathie mit Knochenschmerzen
- Polyneuropathie mit Somnolenz, Parästhesien und Paresen
- Ödeme im Augenlid und an den Unterschenkeln
- Kopfschmerzen, Müdigkeit, Depressionen, Schwindel
- Erbrechen
- Durchfall
- Krampfanfälle
- Metabolische Azidose mit Hyperventilation
- Herzinsuffizienz, Perikarditis, Arrhythmien, Hypertonie
- Stauung der Lunge
- gastrointestinale Störungen
Diagnostik
- Anamnese (Medikamente, Toxine)
- Körperliche Untersuchung
- Bildgebende Diagnostik
- Blutuntersuchung
- Urinanalyse
- Urinsediment (Phasenkontrastmikroskopie)
- 24-Stunden-Sammelurin (Proteinurie, SDS-PAGE)
- Albuminurie (mg/24h) als wichtigster Risikofaktor für das kardiovaskuläre Risiko sowie die Prognose der chronischen Niereninsuffizienz (A1: <30 mg/24h, A2: 30-300 mg/24h, A3: >300 mg/24h)
- Bestimmung der GFR
- Nierenbiopsie
- 24-Stunden-Blutdruckmessung
Dosisanpassung von Medikamenten
Die Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz (DANI) beschreibt Regeln zur Dosierung von Arzneimitteln zur Anwendung bei leichter, mittelgradiger und/oder schwerer Niereninsuffizienz.[1] Durch die verschlechterte Ausscheidung kann es zur Akkumulation des Arzneistoffes im Körper kommen. Die angeordnete Dosis wird so zeitweise überschritten, was vermehrte Nebenwirkungen auslösen kann. Daher muss eine Dosisanpassung erfolgen.
Therapie
Die Therapie der Niereninsuffizienz richtet sich nach dem Grad des Funktionsausfalls und nach der auslösenden Krankheitsursache. Eine Kausaltherapie im Sinne einer Reparatur untergegangenen Nierengewebes ist zur Zeit (2023) nicht möglich. Neuste Forschungsansätze zielen auf die Rekonstruktion ganzer Nieren durch den 3D-Gewebedruck. Sie befinden sich jedoch noch im Stadium der Grundlagenforschung.[2]
Leichte bis moderate Niereninsuffizienz
Bei leichten bis moderaten Funktionseinschränkungen liegt das Hauptaugenmerk der Therapie darauf, eine weitere Verschlechterung der Nierenfunktion zu verhindern und entsprechende Risikofaktoren (z.B. Hypertonie, Hyperglykämie, Hyperlipidämie, Rauchen, Analgetikaabusus) auszuschalten. Wichtigste Maßnahme ist die Blutdruckeinstellung durch Antihypertensiva, in der Regel ACE-Hemmer. Dieses Vorgehen wird durch diätetische Maßnahmen (Kochsalzrestriktion, ausreichende Trinkmenge) ergänzt. Eine Steigerung der Flüssigkeitsaufnahme beeinflusst den Verlauf der Erkrankung nicht.[3] Eine eiweißreduzierte Ernährung ist umstritten, da ein renaler Proteinverlust besteht.
Fortgeschrittene Niereninsuffizienz
Eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz, die zur Retention harnpflichtiger Substanzen führt, macht eine Nierenersatztherapie (Peritonealdialyse, Hämofiltration, Hämodialyse) notwendig. Zusätzliche Maßnahmen sind die Gabe von Erythropoetin und Phosphatbindern. Eine durch den Mangel an Spenderorganen nur limitiert verfügbare Alternative ist die Nierentransplantation.
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Quellen
- ↑ Informationen zur Arzneimittel-Anwendung & -Sicherheit. Abt. Klinische Pharmakologie & Pharmakoepidemiologie, Universitätsklinikum Heidelberg. Abgerufen am 22.06.2023
- ↑ Engineering a Kidney. Wake Forst, School of medicine
- ↑ William F. Clark et al.: Effect of Coaching to Increase Water Intake on Kidney Function Decline in Adults With Chronic Kidney Disease - The CKD WIT Randomized Clinical Trial May 8, 2018 JAMA. 2018;319(18):1870-1879. doi:10.1001/jama.2018.4930