Barbiturat
Englisch: barbiturate
Definition
Als Barbiturate bezeichnet man eine Gruppe von Arzneistoffen mit sedierender, hypnotischer und narkotischer Wirkung. Sie gelten in Deutschland nach Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes als Betäubungsmittel.[1]
Chemie
Die Grundstruktur der Barbiturate ist die Barbitursäure, die in einer Kondensationsreaktion aus Harnstoff und Mevalonsäure entsteht. Durch unterschiedliche Substitutionen am Grundmolekül entstehen verschiedene Derivate mit unterschiedlicher Pharmakokinetik. Pharmakologisch wirksam ist nur die ungeladene, lipophile Form.
Einteilung
Man unterscheidet drei Typen von Barbituraten:
Kurz wirkende Barbiturate
Kurz wirkende Barbiturate sind stark lipophil. Ihre Wirkung tritt bei intravenöser Gabe sofort ein, ihre Wirkdauer liegt zwischen 10 bis 15 Minuten. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 3 bis 8 Stunden. Das aktuell (2024) einzige verfügbare kurz wirkende Barbiturat ist Thiopental, welches als Injektionsanästhetikum zur Narkoseeinleitung verwendet wird.
In Deutschland nicht mehr erhältlich sind Methohexital und Hexobarbital.
Mittellang wirkende Barbiturate
Aktuell (2024) sind keine mittellang wirkenden Barbiturate in Deutschland erhältlich. Früher wurden Cyclobarbital und Pentobarbital bei Schlafstörungen verwendet.
Lang wirkende Barbiturate
Lang wirkende Barbiturate sind schlecht lipidlöslich und besitzen einen verzögerten Wirkeintritt von ungefähr 15 Minuten. Die Wirkdauer beträgt ca. 10 bis 18 Stunden bei einer Eliminationshalbwertszeit von drei Tagen. Dabei werden sie überwiegend unverändert renal eliminiert.
In Deutschland ist aktuell (2024) nur Phenobarbital erhältlich. Es wird zur Sedierung und bei Krampfanfällen eingesetzt.
Historisch gesehen zählt Barbital ebenfalls zu den lang wirkenden Barbituraten.
Primidon ist ein Prodrug von Phenobarbital, das bei essentiellem Tremor und Myoklonien sowie als Reservemittel für therapieresistente fokale und generalisierte Krampfanfälle eingesetzt wird.
Wirkmechanismus
Funktionell führen Barbiturate zu einer Hemmung der Formatio reticularis.
Auf molekularer Ebene wirken Barbiturate als positive allosterische Modulatoren an der β-Untereinheit von GABA-A-Rezeptoren. Das bedeutet, dass sie an den Rezeptor binden und in Anwesenheit von GABA die Öffnungswahrscheinlichkeit des Rezeptors erhöhen. Durch die erhöhte Öffnungsfrequenz strömen vermehrt Chloridionen durch den ionotropen Rezeptor. Es kommt letztlich zu einer Hyperpolarisation der postsynaptischen Zelle (inhibitorische Synapse). In hohen Konzentrationen können Barbiturate - im Unterschied zu Benzodiazepinen - den Rezeptor GABA-unabhängig aktivieren. Dadurch lässt sich unter anderem die Toxizität dieser Stoffklasse erklären.
Barbiturate wirken zudem hemmend an glutamatergen AMPA-Rezeptoren. In höheren Dosierungen können sie spannungsgesteuerte Natriumkanäle blockieren und die Atmungskette hemmen, indem sie die Übertragung der Elektronen vom Flavinmononukleotid auf Ubichinon behindern (Komplex I).
Wirkung
Barbiturate wirken dosisabhängig sedativ, hypnotisch und narkotisch. Weiterhin besitzen sie eine antikonvulsive und hyperalgetische Wirkung. Sie zeigen keine analgetischen oder muskelrelaxierenden Effekte.
Verwendung
- in Ausnahmefällen als Injektionsanästhetikum zur Narkoseeinleitung (Thiopental)
- zur Hirndrucksenkung (Thiopental)
- zur Sedierung (Phenobarbital)
- Barbituratnarkose beim Status epilepticus (Thiopental, Phenobarbital)
Aufgrund der geringen therapeutischen Breite und der vielen Nebenwirkungen werden Barbiturate nicht mehr als Schlafmittel eingesetzt.
In der Schweiz wird Pentobarbital für die Sterbehilfe eingesetzt.[2]
Nebenwirkungen
In hynotischer Dosierung sind folgende Nebenwirkungen möglich:
- morgendliches Nachwirken mit Schläfrigkeit, Schwindel, Verlangsamung
- Übelkeit, Erbrechen
- paradoxe Erregung vor allem bei älteren Patienten und Kindern
- allergische Hautreaktionen (z.B. Exantheme, Urtikaria)
- Histaminfreisetzung
- Bronchospasmus, Laryngospasmus
- Reflextachykardie
- Induktion des Cytochrom-P450-Systems in der Leber mit beschleunigtem Abbau von Barbituraten (Toleranzentwicklung) und von anderen Pharmaka (s.u.)
- Suchtpotential bei chronischer Einnahme
- Entzugssymptomatik bei plötzlichem Absetzen (Übererregbarkeit, Angst und Krampfanfälle)
- Floppy-infant-Syndrom bei Neugeborenen
Des Weiteren kann es in narkotischer Dosierung zu einer Atemdepression und kardiovaskulären Depression (Blutdruckabfall, Abnahme des Herzzeitvolumens) kommen.
Bei versehentlicher intraarterieller oder paravasaler Gabe wirken Barbiturate stark gewebsschädigend und müssen sofort durch Gabe von 0,9 %iger NaCl-Lösung verdünnt werden. Anschließend kann Heparin oder Lidocain intraarteriell verabreicht werden.
Wechselwirkungen
- Substanzen mit sedierender oder atemdepressiver Wirkung (Alkohol, Antihistaminika der ersten Generation, Benzodiazepine, Hypnotika, Narkotika, Antidepressiva, Neuroleptika, Opioide, Muskelrelaxantien): synergistischer Effekt
- orale Antikoagulantien, Carbamazepin, Clonazepam, Diazepam, Phenytoin, Digitoxin, Doxycyclin, Chloramphenicol, Glukokortikoide, orale Kontrazeptiva, Methotrexat: verminderte Wirkung der angeführten Sustanzen aufgrund eines beschleunigten Abbaus
- Valproat, MAO-Hemmer: verstärkte Wirkung von Barbituraten durch verminderten Abbau
Kontraindikationen
- akute Porphyrie (Aktivierung der Delta-Aminolävulinsäuresynthase mit vermehrter Bildung von Porphyrin-Vorstufen und Gefahr eines akuten Anfalls)
- schwere Leberinsuffizienz
- schwere Niereninsuffizienz
- akute Intoxikation mit zentral dämpfenden Pharmaka oder Alkohol
- Status asthmaticus
- Myasthenia gravis
- Herzinsuffizienz
- Ateminsuffizienz (incl. Status asthmaticus)
- Myxödem
- strenge Indikationsstellung während Schwangerschaft und Stillzeit
Labormedizin
Eine labormedizinische Testung kann sowohl zur Untersuchung des Medikamentenspiegels als auch im Rahmen eines Drogensuchtests erfolgen.
Material
Referenzbereiche
Medikamentenspiegel:
Präparat | therapeutischer Bereich (µg/ml) | toxischer Bereich (µg/ml) | Eliminations-HWZ |
---|---|---|---|
Cyclobarbital | 2-10 | > 10 | |
Pentobarbital | 1-5 | > 10 | 15-48 h |
Phenobarbital | 15-30 | > 50 | 3 Tage |
Primidon | 6-15 | > 20 | |
Barbital | 2-20 | > 20 | 4 Tage |
Da es sich beim Drogensuchtest im Urin um einen qualitativen Nachweis handelt, sollte dieser negativ ausfallen.
Hinweise
Für den Medikamentenspiegel ist der Zeitpunkt der Probenabnahme wichtig. Hierbei gibt es Folgendes zu beachten:
- frühestens 4 Medikamenten-Halbwertszeiten nach Therapiebeginn (erst dann ist der "steady state" erreicht)
- vor turnusmäßiger Tabletteneinnahme morgens (jedoch mindestens 4 Stunden nach letzter Tabletteneinnahme)
Im Urin-Schnelltest sind Barbiturate je nach Präparat, Dosis und Eliminationshalbwertzeit 1 bis 7 Tage nachweisbar. Falsch-positive Ergebnisse kann die Einnahme von Ibuprofen oder Naproxen auslösen.[3]
Veterinärmedizin
Pentobarbital wird u.a. für die Epilepsie bei Kleintieren und für die Euthanasie verwendet. Da es gewebereizend ist, wird es i.v. verabreicht. Die Wirkdauer beträgt ca. 12 h.
Bei Tieren mit geringem Körperfettanteil (z.B. Windhund) ist dauerhaft eine hohe Konzentration vorhanden, da keine Umverteilung ins Fettgewebe möglich ist. Das bedeutet eine sehr tiefe Anästhesie und langes Nachschlafen. Umgekehrt ist bei adipösen Tieren eine hohe Dosis notwendig. Bei einer Nachdosierung kommt es zu einer Kumulation, womit das Risiko für einen Atemstillstand steigt. Eine Antagonisierung ist nicht möglich.
Quellen
- ↑ BtMG Anlage III, abgerufen am 16.09.2019
- ↑ Deutscher Bundestag - Medikamente zur Selbsttötung, abgerufen am 01.08.2022
- ↑ Pfäffli M et al. Urinschnelltests (Immunoassays) auf Drogen und Medikamente. Schweiz Med Forum 2013