Taucherkrankheit
Synonyme: Dekompressionskrankheit, DCS, Morbus Caisson, Caissonkrankheit, "Kastenkrankheit", Tauchunfall
Englisch: decompression sickness, decompression illness (DCI), divers' disease, "the bends"'
Definition
Die Taucherkrankheit ist ein disseminiertes Trauma, das durch Ausperlen von gelösten Gasen (Stickstoff, Helium) in verschiedenen Körpergeweben bei einer zu schnellen Druckänderung (rasches Auftauchen) entsteht.
- ICD10-Code: T70.3
Terminologie
Die Begriffe Taucherkrankheit, Tauchunfall und Dekompressionskrankheit werden häufig synonym verwendet und sind teils uneinheitlich definiert.
Die deutsche Leitlinie definiert den Tauchunfall als potenziell lebensbedrohliches oder gesundheitsschädigendes Ereignis, hervorgerufen durch Abfall des Umgebungsdruckes beim Tauchen oder aus sonstiger hyperbarer Atmosphäre mit und ohne Tauchgerät. Andere Definitionen verstehen unter dem Begriff Tauchunfall jedes medizinische Ereignis in Zusammenhang mit einem Tauchgang – also z.B. auch Ertrinken.
Der Begriff Taucherkrankheit wird hingegen häufig als Überbegriff verwendet und beschreibt allgemein alle durch das Tauchen bedingten pathologischen Zustände. Synonym wird meist von der Dekompressionskrankheit gesprochen, die im engeren Sinne aber einen spezifischen pathophysiologischen Mechanismus beschreibt.
Die unabhängig von der Taucherkrankheit auftretenden neurologischen Effekte des Stickstoffs in größeren Tauchtiefen (ab ca. 30 m) bezeichnet man als Stickstoffnarkose.
Pathophysiologie
Insbesondere beim Tauchen mit Pressluft als Atemgas (siehe auch: Kunstluft) lagert sich aufgrund des auf den Körper einwirkenden Wasserdrucks zunehmend Stickstoff in den Geweben ein. Diese Einlagerung mit Stickstoff ist auch bei tiefen bzw. langen Apnoetauchgängen möglich. Der Umfang der Einlagerung (Lösung) ist abhängig von der Tauchtiefe und der Dauer des Tauchgangs.
Stickstoff ist ein inertes Gas, das im Gegensatz zu Sauerstoff oder Kohlendioxid nicht an Stoffwechselvorgängen beteiligt ist. Eingelagerter Stickstoff kann daher nur auf dem Weg der schrittweisen Abatmung über die Lunge aus dem Körper eliminiert werden. Die Verteilung des Stickstoffs in den verschiedenen Geweben ist u.a. abhängig von ihrer Durchblutung und ihrem Fettgehalt. In gut durchbluteten Geweben (Gehirn, Muskel) wird Stickstoff relativ schnell eingelagert. Im Fettgewebe lagert sich Stickstoff langsamer ein, wird aber in deutlich höherer Konzentration gelöst als im „wässrigen“ Muskelgewebe.
Wird der auf den Körper einwirkende Druck wieder gesenkt (Dekompressionsphase, Auftauchvorgang), spielen sich diese Vorgänge in umgekehrter Reihenfolge ab: Die Gewebe, die den Stickstoff relativ schnell eingelagert haben, geben ihn schnell wieder ab, die ihn langsam eingelagert haben, geben ihn langsam wieder ab. Zudem muss der gelöste Stickstoff über das Blut wieder in die Lunge transportiert werden, um dort abgeatmet werden zu können. Der komplexe Vorgang der Umverteilung der inerten Gase zwischen den verschiedenen Kompartimenten benötigt Zeit. Diesem Umstand wird durch Einhalten von Dekompressionszeiten (mit Auftauch- bzw. Dekompressionsstufen) in verschiedenen Wassertiefen Rechnung getragen.
Erfolgt die Druckänderung während des Auftauchens plötzlich oder werden die Dekompressionsstufen nicht eingehalten, wird die Löslichkeit von Stickstoff in den Geweben schlagartig reduziert. Dadurch kommt es zur Bildung von Gasblasen im Blut und anderen Körpergeweben, die, wenn sie nicht abgeatmet werden können, je nach Ort der Entstehung bzw. Anlagerung und Verweildauer unterschiedliche Symptome bzw. Schädigungen hervorrufen können.
Auch bei einem regulär durchgeführten Tauchgang kommt es zur Bildung von sogenannten „Mikroblasen“, die jedoch nicht zu einer Zerstörung von Gewebsstrukturen führen.
Symptome
Die Symptome werden in zwei Klassen eingeteilt:
- Leichte Symptomatik
- auffällige Müdigkeit
- "Hautjucken" ohne sichtbare Hautveränderungen (Taucherflöhe)
- Schwere Symptomatik
- sichtbare Hautflecken und -veränderungen
- Missempfindungen ("Ameisenlaufen")
- Taubheitsgefühle
- Subkutane Schwellungen
- Gliederschmerzen ("Bends")
- Gürtelförmige Schmerzen
- Paralysen
- Blasenentleerungsstörungen
- Koordinations- und Gangstörungen
- Sensibilitätsstörungen
- Hörverlust
- Sehverlust
- Sprachverlust
- Schwindel, Übelkeit
- Bewusstlosigkeit
- Schwächegefühl
- Dyspnoe bis zum Atemstillstand
- Herz-Kreislauf-Symptomatik (Brustenge, Schock)
Eine ähnliche Einteilung, die traditionell international verwendet wird, unterscheidet nach der Art des Leitsymptoms:
- DCS Typ I: Leichte Symptomatik mit Schmerz als Leitsymptom
- Gelenkschmerzen
- Muskelschmerzen
- Juckreiz der Haut (Taucherflöhe)
- Livedo reticularis
- Mikroembolien
- Ödeme
- Hautemphysem
- Müdigkeit
- DCS Typ II: Schwere Symptomatik mit neurologischen Ausfällen
- Paralysen
- Sensibilitätsstörungen
- Hörverlust
- Sehverlust
- Bewusstlosigkeit
- Atemstillstand
Bei schwerem Verlauf kann die Taucherkrankheit tödlich enden. Eine eher seltene Komplikation ist die Hüftkopfnekrose beziehungsweise Osteonekrose. Diese tritt eher bei tiefen und langen Tauchgängen auf.
Risikofaktoren
Das Risiko für eine Taucherkrankheit steigt, wenn mehrere Tauchgänge hintereinander durchgeführt werden. Jeder Tauchgang erhöht das Plateau von gelöstem Stickstoff, da die vollständige Elimination des Gases aus den Geweben erst nach einigen Tagen vollständig abgeschlossen ist.
Therapie
Die Erstmaßnahmen bei milden Symptomen umfassen u.a.:
- 100 % Sauerstoffgabe
- Überprüfung von Bewusstsein und Bewegungsfähigkeit
- Flüssigkeitsgabe (0,5-1l/Stunde, isotonisch)
- Ruhigstellung (Rückenlagerung, keine Kopftieflagerung)
- Taucherärztliche Beratung (z.B. DAN, Aquamed)
- 24h Nachbeobachtung
Es darf KEINE "nasse Rekompression" erfolgen, da sie den Taucher erheblichen Risiken aussetzen würde.
Wenn bei schwerer Symptomatik innerhalb von 30 Minuten keine Besserung eintritt, setzt man die Versorgung wie oben fort und ergreift zusätzlich folgende Maßnahmen:
- Notruf (Stichwort „Tauchunfall“)
- Kontaktaufnahme zur nächstgelegenen Druckkammer zur Evaluation einer Druckkammerbehandlung (HBO-Behandlung)
Die Therapie der Wahl ist die hyperbare Oxygenation in einer Überdruckkammer mit Sauerstoffgabe (idealerweise 100 % Sauerstoff, z.B. mit NIV, alternativ als ultima ratio Intubation)
Forschung
In Tierversuchen wurden Stickstoffoxid-freisetzende Medikamente getestet, die in einem gewissen Bereich die Bläschenbildung im Gewebe reduzieren sollen. Ob sich dieser Effekt für die Entwicklung eines „Tauchermedikaments“ nutzen lässt, ist derzeit (2025) jedoch noch Gegenstand der Forschung.
Prognose
Die Prognose ist abhängig vom Ausmaß und der Lokalisation des Gewebetraumas. Leichtere Fälle heilen folgenlos aus, schwerere Traumata hinterlassen unter Umständen lebenslange Behinderungen.
Literatur
- Muth, C.-M. et al. Tauch- und Ertrinkungsunfälle, CME 2013; 10(7/8): 61-72, abgerufen am 22.07.2019
- Jüttner et al: Leitlinie Tauchunfall, veröffentlicht 05.03.2023, gültig bis 30.11.2027, abgerufen 22.09.25