Sheehan-Syndrom
nach dem britischen Pathologen Harold Leeming Sheehan (1900–1988)
Synonym: Simmonds-Sheehan-Syndrom, postpartaler Hypopituitarismus, postpartale Hypophysennekrose
Englisch: Simmond's-Sheehan-Syndrome, postpartum pituitary gland necrosis
Definition
Als Sheehan-Syndrom bezeichnet eine Insuffizienz des Hypophysenvorderlappens (Hypopituitarismus) nach einer Geburt. Dabei führt meist ein massiver postpartaler Blutverlust zu ischämischen Nekrosen in der Hypophyse.
- ICD10-Code: E23.0
Epidemiologie
In Industriestaaten ist die Erkrankung selten. In europäischen Populationsstudien wurde die Prävalenz des Sheehan-Syndroms auf 2,6 bis 5,1 Fälle pro 100.000 Frauen beziffert.[1][2] Für Entwicklungsländer, in denen eine schlechtere geburtshilfliche Versorgung vorherrscht und Hausgeburten die Regel sind, werden die Fallzahlen deutlich höher geschätzt.[3]
Ätiopathogenese
Auslöser des Sheehan-Syndroms sind meist massive atonische postpartale Blutungen mit hypovolämischem Schock, die ischämische Nekrosen des Hypophysenvorderlappens (HVL) verursachen. Selten können auch andere Blutungen in der Schwangerschaft HVL-Nekrosen auslösen, z.B. gastrointestinale Blutungen.[4] Außerhalb der Schwangerschaft wurden blutungsbedingte Hypophysennekrosen nicht beschrieben.
Der Pathomechanismus ist bisher (2024) nur unvollständig verstanden. Im Rahmen der Schwangerschaft kommt es aufgrund der Hyperplasie laktotroper Zellen zu einer Zunahme des Hypophysenvolumens um etwa 130 %.[4][5] Vermutlich ist die Hypophyse aufgrund der Größenzunahme anfälliger für eine Ischämie. Denkbare Mechanismen für eine Unterbrechung der Blutzufuhr sind eine Kompression der Arteriae hypophysiales gegen die Sella turcica bzw. das Diaphragma sellae durch die vergrößerte Drüse oder auch Vasospasmen als Reaktion auf die Hypotonie.[4]
Klinik
Der Verlauf kann sowohl akut als auch chronisch sein. Dabei können einzelne Hormone oder auch die gesamte Hypophysenfunktion ausfallen.
Akute Verlaufsform
Akute Verlaufsformen sind seltener. Sie zeigen sich wenige Tage post partum durch einen schweren Hypopituitarismus. Führend sind hierbei:[4]
- Ausbleiben der Laktation
- Diabetes insipidus centralis
- Hypocortisolismus
Darüber hinaus können Hypotonie, Schock, Kopfschmerzen und Sehstörungen auftreten.
In seltenen Fällen bildet sich das akute Sheehan-Syndrom innerhalb des ersten Jahres post partum zurück.[4]
Chronische Verlaufsform
Bei chronischen Verlaufsformen ist die Symptomatik variabler, meist wird die Diagnose daher erst Jahre später gestellt. Insgesamt können die Symptome sehr unspezifisch sein und umfassen z.B. Müdigkeit, Abgeschlagenheit, frühzeitige Alterung, körperliche Schwäche, Übelkeit, Anämie und Kälteempfindlichkeit. Die Symptomatik verläuft teils langsam progredient.
Je nach Ausmaß der Hypophysenschädigung sind spezifischere Symptome möglich:[4]
- Panhypopituitarismus oder partieller Hypopituitarismus
- Brustinvolution, Agalaktie
- hypophysärer Hypocortisolismus, jedoch milder als bei Akutform, z.T. erst unter Stress (z.B. OPs, Infektionen)
- sekundäre Hypothyreose
- sekundärer Hypogonadismus mit Amenorrhoe, Sterilität, Verlust von Achsel- und Schamhaare
- MSH-Mangel mit Hautblässe
Eine Rückbildung ist für die chronische Verlaufsform nicht beschrieben.[4]
Diagnostik
Die Diagnosestellung geschieht in Zusammenschau von Klinik, Labordiagnostik und Bildgebung der Hypophyse.
Bildgebung
Die Hypophyse kann per CT oder MRT dargestellt werden. Dabei kann initial die Kontrastmittelaufnahme vermindert sein. Im Laufe des ersten Jahres post partum kann sich eine partielle oder vollständige Empty Sella ausbilden (insbesondere bei der akuten Form). Eine Korrelation zwischen dem klinischen Verlauf und dem Volumenverlust der Hypophyse besteht nicht.[4]
Diagnosekriterien
Folgende Diagnosekriterien deuten auf ein Sheehan-Syndrom hin:[6]
- anamnestisch schwere postpartale Hämorrhagie
- Ausfall mindestens eines Hypophysenhormons
- im Verlauf partielle oder vollständige Empty Sella in der MRT oder CT
- schwere Hypotonie post partum
- postpartale Amenorrhoe
- postpartale Agalaktie
Therapie
Eine kausale Therapie existiert nicht. Eine wichtige Rolle nimmt die Hormonersatztherapie ein.
Bei akuter Verlaufsform muss umgehend eine Therapie des Hypocortisolismus mit Substitution von Cortisol und bedarfsgemäßer Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Glucosesubstitution begonnen werden.[4][6] Bei ausgeprägter Polyurie ist eine frühe Gabe von Desmopressin sinnvoll.
Andere Hormonachsen sollten etwa 4 bis 6 Wochen postpartal beurteilt werden und dann bedarfsmäßig substituiert werden (z.B. mit L-Thyroxin).[6]
Prävention
Um das Auftreten eines Sheehan-Syndroms möglichst zu verhindern, ist primär die Verlagerung der Geburt in ein Krankenhaus wichtig, sodass ein starker Blutverlust frühzeitig mit Bluttransfusionen kompensiert werden kann.
Literatur
- Sheehan, Post-Partum Necrosis of the Anterior Pituitary . Transactions. Edinburgh Obstetrical Society, 1938.
Einzelnachweise
- ↑ Kristjansdottir et al., Sheehan's syndrome in modern times: a nationwide retrospective study in Iceland. European Journal of Endocrinology, 2011.
- ↑ Regal et al., Prevalence and incidence of hypopituitarism in an adult Caucasian population in northwestern Spain. Clinical Endocrinology, 2002.
- ↑ Zargar et al., Epidemiologic aspects of postpartum pituitary hypofunction (Sheehan’s syndrome). Fertility & Sterility, 2005.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 Diri et al., Sheehan’s syndrome: new insights into an old disease. Endocrine, 2016.
- ↑ Gonzalez et al., Pituitary gland growth during normal pregnancy: An in Vivo study using magnetic resonance imaging. The American Journal of Medicine, 1988.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Illig et al., Das Sheehan-Syndrom – eine seltene Form der Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2022
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