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Paracetamolintoxikation

(Weitergeleitet von Paracetamolvergiftung)

Synonyme: Paracetamol-Intoxikation, Paracetamolvergiftung

1. Definition

Eine Paracetamolintoxikation ist eine Vergiftung mit dem Analgetikum Paracetamol.

2. Ätiologie

Eine Paracetamolintoxikation kann u.a. durch Überdosierung, akzidentelle Einnahme oder Einnahme in suizidaler Absicht erfolgen.

3. Pathophysiologie

Paracetamol wird bei Gabe in therapeutischen Dosen in der Leber glucuronidiert und sulfatiert. Bei einer Paracetamolintoxikation ist die Kapazität der Leber zur Konjugation des Arzneistoffs überschritten. In der Folge kommt es zu einer verstärkten Metabolisierung über CYP2E1, wobei der toxische Zwischenmetabolit N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) entsteht.

Wird NAPQI nicht mittels Glutathion entgiftet, kann es an zelluläre Proteine binden, wirkt dadurch zytotoxisch und führt zu Leberzellnekrosen. Dieser Prozess besitzt durch die relativ geringe Geschwindigkeit der Stoffwechselprozesse eine gewisse Latenzzeit.

4. Kritische Dosis

Bei Erwachsenen liegt die kritische Einnahmemenge etwa zwischen 7,5 und 10 g Paracetamol/Tag. Eine eingenommene Paracetamoldosis ab 150 mg/kg Körpergewicht wird als behandlungsbedürftig angesehen.[1] Die toxische Plasmakonzentration beginnt ab 200 μg/ml, die kritische, d.h. behandlungsbedürftige Konzentration ab 150 μg/ml.

Häufiger als die einmalige Einnahme einer Überdosis ist die nicht bestimmungsgemäße Anwendung größerer Patacetamolmengen über mehrere Tage. Hier liegt die empfohlene Tagesmaximaldosis für Erwachsene bei etwa 4 g.

Bei Säuglingen und Kleinkindern sowie bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen ist die toxische Dosis geringer. Vor allem bei Alkoholikern findet sich die Kombination von erhöhtem CYP2E1 (Expression induziert durch Ethanol) und tiefem Glutathion (schlechte Ernährung), wodurch bereits eine geringere Plasmakonzentration toxisch wirkt.

5. Klinik

Leichte Paracetamolvergiftungen können asymptomatisch verlaufen. Die Einschätzung des Verlaufs schwerer Vergiftungen wird dadurch erschwert, dass sich die Symptomatik mit einer deutlichen Latenz entwickelt. Nach relativ unspezifischen gastrointestinalen Primärsymptomen kann innerhalb von 72 bis 96 Stunden ein fulminantes Leberversagen eintreten, das anschließend in ein Multiorganversagen übergehen kann.

Typsicherweise verläuft die Intoxikation dabei in 4 Stadien.[2]

Stadium Zeit Klinik
I 0,5 - 24 h Nausea, Erbrechen, Inappetenz
II 24 - 48 h Druckschmerz im rechten Oberbauch, AST und ALT erhöht. Bei schwerer Vergiftung sind auch Bilirubin und INR erhöht.
III 3 - 4 d "Hepatische Phase": Symptome eines akuten Leberversagens. AST, ALT, Bilirubin und INR stark erhöht. Ggf. Niereninsuffizienz[3] und Pankreatitis
IV 4 - 14 d vollständiges Leberversagen, Multiorganversagen oder Rekonvaleszenz

In Einzelfällen kann die Niereninsuffizienz vor dem Leberversagen auftreten.

6. Diagnostik

Eine Entscheidungshilfe für die Risikoeinschätzung und die Einleitung von Therapiemaßnahmen auf der Basis des Paracetamol-Serumspiegels bietet das Rumack-Matthew-Nomogramm. Das Nomogramm hat jedoch nur eine eingeschränkte Aussagekraft, wenn die Paracetamol-Überdosierung über einen längeren Zeitraum erfolgte.

7. Therapie

Eine schwere Paracetamolintoxikation erfordert eine intensivmedizinische Behandlung.

Die Gabe von Aktivkohle ist nur sinnvoll, wenn sie innerhalb einer Stunde nach der Paracetamol-Einnahme erfolgt.[4]

Die wichtigste Therapiemaßnahme ist die intravenöse Gabe von Acetylcystein (ACC). ACC induziert die Glutathionsynthese und fördert dadurch die Entgiftung von NAPQI. Dabei wird das sogenannte Prescott-Schema verwendet:[5]

Schritt Dauer ACC-Dosierung
1 (Bolus) 15 bis 60 min 150 mg/kgKG in 200 ml 5-%iger Glukoselösung (G5)
2 4 Stunden 50 mg/kgKG in 500 ml G5 (12,5 mg/kg/h)
3 16 Stunden 100 mg/kgKG in 1.000 ml G5 (6,25 mg/kg/h)

Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.

Mögliche Nebenwirkung einer ACC-Infusion sind anaphylaktische Reaktionen mit Exanthem, Juckreiz, Erbrechen, Flush, Dyspnoe und Blutdruckabfall.

Bei sehr hohen Paracetamol-Serumspiegeln (> 1.000 μg/ml) oder bei Serumspiegeln über 900 μg/ml mit Bewusstseinsstörungen, metabolischer Azidose und erhöhtem Laktat ist eine Dialyse indiziert.[6]

Als Ultima ratio ist in seltenen Fällen beim Versagen anderer Therapieoptionen eine Lebertransplantation notwendig.

8. Prognose

Je weiter fortgeschritten eine Paracetamolvergiftung zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ist, desto höher ist die Mortalität. Bei Beginn der Behandlungsmaßnahmen in der Phase III (hepatische Phase) kann die Mortalität bei 20 bis 40 % liegen. Besonders gefährlich sind Vergiftungen mit einer Paracetamol-Einnahme in überhöhten Dosen über mehrere Tage hinweg.

9. Trivia

Aktuell (Februar 2025) wird vor einer sogenannten "Para­cetamol-Challenge" gewarnt, einer lebensgefährlichen Mutprobe, bei der Jugendliche überdurchschnittlich hohe Mengen Paracetamol einnehmen und dies in sozialen Medien dokumentieren. Die von den USA ausgehende Challenge hat sich auch in Belgien und der Schweiz etabliert.[7]

10. Quellen

  1. Wallace et al. Paracetamol overdose: an evidence based flowchart to guide management Emergency Medicine Journal, 2002
  2. Mund ME et al.: Paracetamol as a toxic substance for children: aspects of legislation in selected countries J Occup Med Toxicol. 2015; 10: 43.Published online 2015 Dec 10. doi: 10.1186/s12995-015-0084-3 PMCID: PMC4674926 PMID: 26664414
  3. Mazer M, Perrone J. Acetaminophen-induced nephrotoxicity: pathophysiology, clinical manifestations, and management. J Med Toxicol. 2008
  4. Ogilvie JD et al.: Acetaminophen overdose in children CMAJ. 2012 Sep 18; 184(13): 1492–1496. doi: 10.1503/cmaj.111338 PMCID: PMC3447018 PMID: 22664763
  5. K. Faber, C. Reichert, Ch. Rauber‐Lüthy: Paracetamolvergiftung: Wiederholte Einnahme ToxInfo Suisse, Stand Mai 2013, abgerufen am 18.5.2022
  6. Hüser C: Paracetamol Teil 1 – Allgemeines Tox Docs, Posted on 15. Dezember 2018, abgerufen am 18.5.2022
  7. Pharmaverband warnt vor „Para­cetamol-Challenge“. Dtsch Ärzteblatt 2025, abgerufen am 06.02.2025

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