Meralgia paraesthetica
Synonyme: Inguinaltunnel-Syndrom, Bernhardt-Roth-Syndrom
Englisch: Meralgia paraesthetica
Definition
Unter der Meralgia paraesthetica subsumiert man die Beschwerden, die durch eine Kompression des Nervus cutaneus femoris lateralis (NCFL) unter dem Leistenband hervorgerufen werden. Sie gehört zu den Engpasssyndromen.
Anatomie
Der hauptsächlich von den Spinalnerven L2 und L3 gebildete NCFL zieht über den lateralen Rand des Musculus psoas und des Musculus iliacus zum ventrolateralen Oberschenkel im Bereich der Spina iliaca anterior superior und des Leistenbandes. Der Nerv kann dabei transligamentär, subligamentär oder seltener durch den Musculus sartorius oder über die Spina iliaca anterior superior lateral des Leistenbands verlaufen.
Ätiopathogenese
Als Ursachen der Meralgia paraesthetica kommen Druck- oder Zugkräfte im Nervenverlauf, insbesondere unter dem Leistenband infrage. In den meisten Fällen werden die Beschwerden durch eine Kompression des Nervus cutaneus femoris lateralis bei seinem Durchtritt durch die Fasern des Musculus obliquus externus abdominis und des Musculus obliquus internus abdominis hervorgerufen, wobei der Nerv um knapp neunzig Grad abknickt. Eine weitere mögliche Ursache sind Nervenläsionen in Folge medizinischer Eingriffe (z.B. Beckenkammpunktion).
Als Risikofaktoren für die Entstehung einer Meralgia paraesthetica kommen infrage:
- Adipositas
- Diabetes mellitus
- Schwangerschaft
- Tragen enger Kleidung (Jeans, Gürtel)
- Überwiegend stehende Tätigkeit mit ausgeprägter Extension im Hüftgelenk
- Krafttraining im Oberschenkel-, Bauch- und Hüftbereich
- Längerer, forcierter Spaziergang bzw. Marsch
Epidemiologie
Männer sind etwa dreimal häufiger betroffen als Frauen. Die Inzidenz beträgt ca. 32/100.000 pro Jahr. Haupterkrankungsalter ist das 40. bis 60. Lebensjahr.
Klinik
Die Erkrankung äußert sich durch Parästhesien und brennende, teilweise stechende Schmerzen im ventrolateralen Teil des Oberschenkels bis oberhalb des Knies, die sich bei Beugung im Hüftgelenk bessern. Durch längeres Stehen, Überstrecken des Beins und Schlafen in Rückenlage mit ausgestrecktem Bein können die Beschwerden verstärkt werden. Das betroffene Areal kann oft präzise und scharf begrenzt angegeben werden. Bei zehn bis zwanzig Prozent der Patienten manifestiert sich die Erkrankung beidseits.
Im Laufe der Zeit können eine Hypalgesie, eine Hypästhesie und vegetative Störungen wie reduziertes Haarwachstum hinzukommen. Die Erkrankung kann für den Patienten sehr unangenehm sein. Manchmal wird die Haut so überempfindlich, dass selbst das Tragen von Kleidung kaum ertragen wird.
Da es sich beim Nervus cutaneus femoris lateralis um einen rein sensiblen Nerv handelt, treten keine motorischen Ausfälle auf.
Diagnostik
Grundlage ist zunächst eine ausführliche Anamnese und eine gründliche neurologische Untersuchung, bei der eine Sensibilitätsstörung an der Außenseite des Oberschenkels auffällt. Zusätzlich besteht häufig eine Druckschmerzhaftigkeit zwei Querfinger medial der Spina iliaca anterior superior, wo der Nerv durch das Leistenband hindurchtritt. Die Überprüfung des umgekehrten Lasègue-Zeichens führt häufig zur Auslösung von Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervus cutaneus femoris lateralis.
Bei typischer Klinik handelt es sich um eine klinische Diagnose. In unklaren Fällen ist eine erweiterte Diagnostik notwendig. Insbesondere die Magnetresonanztomographie (MRT) ist hilfreich zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Der Nerv kann dabei T2w-hyperintens erscheinen. In der hochauflösenden Sonographie können eine Vergrößerung des Nervenquerschnitts auf > 5 mm2 sowie hypoechogene Nervenfaszikel auffallen.
Zusätzlich ist es möglich, SEPs abzuleiten, bei denen sich ein ausgefallenes kortikales Potenzial auf der erkrankten Seite bzw. eine verlängerte Latenz feststellen lässt. Mittels Elektroneurographie kann versucht werden, die Nervenleitgeschwindigkeit zu bestimmen, was jedoch anspruchsvoll und nicht immer erfolgreich ist. In Einzelfällen kann eine Stanzbiopsie aus dem betroffenen Hautareal erwogen werden, bei der ein Verlust der kleinen intradermalen Nervenfasern auffällt.
Wenn die Infiltration eines Lokalanästhetikums am Leistenband die Beschwerden bessert, weist dies ebenfalls auf eine Meralgia paraesthetica hin.
Differenzialdiagnose
- radikuläres Syndrom im Bereich der Nervenwurzeln L2 und L3: Dabei können zusätzlich Reflexausfälle und Lähmungen auffallen.
- Affektion von Nervus genitofemoralis oder Nervus ilioinguinalis
- urogenitale oder gynäkologische Erkrankungen
- Coxarthrose
- Schädigung durch lokale Prozesse (z.B. Tumor)
- beginnende asymmetrische diabetische Polyneuropathie
Therapie
Grundlage der Therapie der Meralgia paraesthetica ist die Reduktion der Risikofaktoren (Gewichtsnormalisierung, weite Kleidung tragen, etc.). Wenn dadurch die Beschwerden nicht gemildert werden, können als spezielle Schmerztherapie Infiltrationen mit einem Glukokortikoid oder Nervenblockaden mit einem Lokalanästhetikum durchgeführt werden. Zusätzlich kommt eine allgemeine Schmerztherapie mit NSAR infrage.
Bei therapieresistenten Fällen ist ebenfalls eine operative Neurolyse bzw. Dekompression des betroffenen Nervs möglich.
Prognose
Eine Behandlung der Beschwerden führt bei neun von zehn Patienten zu einer Besserung. Bei jedem vierten Patienten wird eine Spontanremission beobachtet.
Weblinks
- Scholz C. et al. Meralgia paraesthetica: Relevanz, Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2023
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