Klinefelter-Syndrom
nach dem amerikanischen Arzt und Endokrinologen Harry Fitch Klinefelter (geb. 1912)
Synonym: XXY-Syndrom
Englisch: Klinefelter syndrome
Definition
Das Klinefelter-Syndrom gehört zu den numerischen Chromosomenaberrationen. Es ist durch überzählige X-Chromosomen bei männlichem Karyotyp gekennzeichnet.
Epidemiologie
Das Klinefelter-Syndrom tritt mit einer Häufigkeit von 1:500 bis 1:1.000 bei männlichen Lebendgeburten auf.
Genetik
Die Mehrzahl der Betroffenen (ca. 80 %) weist den Karyotyp 47, XXY auf. Bei den verbleibenden Fällen finden sich Mosaikformen mit Karyotypen wie beispielsweise 46, XY / 47, XXY. Bei der Bildung der elterlichen Keimzellen findet während der Meiose keine Trennung der elterlichen Geschlechtschromosomen statt – es entstehen Keimzellen mit überzähligem X-Chromosom. Diese Abweichung in der Anzahl der Geschlechtschromosomen (Heterosomen) wird auch als heterosomale Aneuploidie bezeichnet. Das X-Chromosom kann sowohl mütterlicher als auch väterlicher Herkunft sein.
Klinik
Die Manifestationen des Klinefelter-Syndroms sind vielfältig und variabel. Für diagnostische Zwecke sind Veränderungen der Geschlechtsmerkmale und der äußeren Gestalt hervorzuheben.
Die Körpergröße ist überdurchschnittlich – insbesondere die untere Extremität erscheint verlängert. 47XXY-Männer sind ca. 10 cm größer als 46XY-Männer. Dennoch wird ein Klinefelter-Syndrom häufig nicht oder nur spät diagnostiziert.
Geschlechtsmerkmale
Betroffene Individuen weisen einen Hypogonadismus auf. Hodenatrophie und -funktionsstörung sowie verkleinerte Hoden sind ein gängiges Merkmal des Klinefelter-Syndroms. Der Testosteronspiegel ist vermindert und die Gonadotropinsekretion erhöht. In den Hoden findet sich eine Hyperplasie der Leydig-Zellen. Die Behaarung an Körper, Gesicht und Scham ist spärlich und gleicht eher dem weiblichen Geschlecht. Aufgrund des Androgenmangels tritt häufig eine Gynäkomastie auf.
Fertilität
Bei den meisten Betroffenen (ca.90 %) liegt eine nicht-obstruktive Azoospermie vor. Sie basiert auf einem frühen Zelldifferenzierungsarrest mit progressiver Apoptose der Spermatogonien bzw. der frühen Spermatozyten. Falls Spermien im Ejakulat gefunden werden können, weisen diese zumeist Einschränkungen in Form und Motilität auf. Bei Mosaikformen kann die Fertilität mitunter erhalten sein.
Psyche und kognitive Fähigkeiten
Das Klinefelter-Syndrom ist nicht mit einer geistigen Behinderung assoziiert. Die Intelligenz der Betroffenen ist bei Vorliegen des häufigsten Karyotyps (47, XXY) nur unwesentlich betroffen. So wird im Mittel eine Verminderung des IQ um 10 Punkte angegeben. Qualitativ macht sich dieses Defizit durch eine verzögerte Sprachentwicklung, sprachbasierte Lernstörungen und Legasthenie bemerkbar.
Der Grad des Verlusts an kognitiven Fähigkeiten korreliert mit der Anzahl zusätzlicher X-Chromosomen. So ist beispielsweise bei Betroffenen mit dem Karyotyp 48, XXXY (48,XXXY-Syndrom) eine höhergradige Intelligenzminderung festzustellen.
Komorbiditäten
Patienten mit Klinefelter-Syndrom haben ein 15- bis 50-fach höheres Risiko für Brustkrebs. Auch die Wahrscheinlichkeit für eine Hypothyreose, einen Diabetes mellitus, Thrombosen, Autoimmunerkrankungen und bestimmte andere Erkrankungen ist erhöht.
Therapie
Zur Linderung der Beschwerden und Belastungen, die durch den Hypogonadismus hervorgerufenen werden, können Testosteron enthaltende Präparate (z.B. als i.m. Depot-Injektion) zur Substitution eingesetzt werden.
Bei Lernstörungen im Bereich der Sprachentwicklung und subtilen motorischen Planungsdefiziten können Spracherziehung, Physiotherapie und Ergotherapie hilfreich sein.
Bei Kinderwunsch kann eine TESE durchgeführt werden. Eine bestehende Testosterontherapie sollte dabei vorab für mehrere Monate ausgesetzt werden. Empfohlen sind 9 bis 12 Monate. Die Wahrscheinlichkeit, im Rahmen einer TESE bei Klinefelter-Patienten Spermien zu finden, kann nicht vorab bestimmt werden. Die Erfolgschancen liegen bei ca. 30 bis 50 %.