Andersen-Tawil-Syndrom
Synonyme: Andersen-Syndrom; LQT7; Long-QT-Syndrom Typ 7
Englisch: Andersen cardiodysrhythmic periodic paralysis; periodic paralysis, potassium-sensitive cardiodysrhythmic type
Definition
Bei dem Andersen-Tawil-Syndrom, kurz ATS, handelt es sich um eine extrem seltene, hereditäre Kalium-sensitive periodische Paralyse, die durch die charakteristische Trias aus periodischen Lähmungen, Herzrhythmusstörungen, sowie fazialen und skelettalen Dysmorphien gekennzeichnet ist. Ursächlich ist meist eine Mutation im KCNJ2-Gen.
Geschichte
Die Erstbeschreibung des Krankheitsbildes erfolgte durch mehrere dänische Ärzte (Ellen Damgaard Andersen, Peter A. Krasilnikoff und Hans Overvad) im Jahr 1971. Im Jahr 1994 erfolgte dann die Namensgebung durch Rabi Tawil.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Erkrankung wird auf unter 1:1.000.000 geschätzt. Weltweit wurden bisher (2022) mehr als 100 Fälle beschrieben. Es ist davon auszugehen, dass das Krankheitsbild deutlich unter- und fehldiagnostiziert wird.
Ätiologie
Ursächlich für das Krankheitsbild ist in etwa 60 % der Fälle eine Mutation des KCNJ2-Gens, das für den einwärts gleichrichtenden Kaliumkanal Kir2.1 kodiert. In einer Familie konnte zudem eine Mutation des KCNJ5-Gens gefunden werden.[1] In den restlichen Fällen konnte bisher keine ursächliche Mutation nachgewiesen werden.
In der Folge kann es zu einer Verlängerung der kardialen Depolarisation und zur Verlängerung der QT-Zeit kommen. Die Vererbung folgt einem autosomal-dominanten Muster, wobei etwa 50 % der Mutationen sporadisch auftreten.
Pathophysiologie
Das Gen KCNJ2 kodiert für einen einwärts-gleichrichtenden Kaliumkanal, der für die Funktion und Aufrechterhaltung des Aktionspotenzials und der muskulären sowie neuronalen Erregbarkeit eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Durch eine Mutation ist der Fluss von Ionen über den Kanal verändert, was in einer Beeinträchtigung und Entwicklungsstörung des Skelettmuskulatur und des Erregungsleitungssystems des Herzens resultiert. Das kann zu einer gestörten De- und Repolarisation und damit zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen. In der Folge ist das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöht.
Klassifikation
Auf Grundlage des KCNJ2-Mutationsstatus erfolgt die Einteilung in Typ 1 oder Typ 2.
- Andersen-Tawil Syndrom Typ 1: Nachgewiesene KCNJ2-Mutation
- Andersen-Tawil Syndrom Typ 2: kein Nachweis einer KCNJ2-Mutation
Symptome
Die klinische Ausprägung der Symptomatik, insbesondere die kardiale Beteilung und die fazialen Dysmorphien können sehr gering sein, sodass initial die muskuläre Problematik im Vordergrund steht. Mögliche Symptome sind:
- Periodische Paralysen und Muskelschwäche
- Herzrhythmusstörungen, Synkopen
- Skoliose, Kleinwuchs, Klinodaktylie
- Hypertelorismus, kleine und/oder prominente Ohren mit tiefen Ansatz, Mikrognathie und prominente Stirn
Am häufigsten sind die Beine von der Muskelschwäche betroffen, wobei der Schweregrad von milder Schwäche bis zur Unfähigkeit, selbstständig zu laufen, reichen kann. Arme, Hände und Füße sind häufig betroffen. Die Häufigkeit und Dauer der einzelnen Episoden variiert interindividuell und auch zwischen den verschiedenen Episoden (Minuten bis Stunden oder sogar Tage). Betroffene berichten auch zwischen den Episoden von einer anhaltenden, gering ausgeprägten Muskelschwäche.
Die Episoden treten einerseits spontan auf, andererseits jedoch auch nach langer Anstregung, langen Ruhezeiten (z.B. Schlafen oder langes Autofahrten), zu langem Gehen ohne Essen oder emotionalem Stress.
Differentialdiagnosen
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose eines Andersen-Tawil Syndroms basiert auf der Identifikation der typischen klinischen Symptome. Die Diagnose wird dann durch den molekularbiologischen Nachweis der Mutation im KCNJ2-Gen gesichert. Ergänzende Untersuchungen sind:
- Labor (Elektrolytveränderungen)
- Kardiale Diagnostik: EKG, Langzeit-EKG mit Nachweis von Rhythmusstörungen (Long-QT-Syndrom, Extrasystolen etc.)
- Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG)
Quellen
- ↑ Statland et al. Review of the Diagnosis and Treatment of Periodic Paralysis, Muscle & nerve, 2018
Literatur
- Andersen, E. D., Krasilnikoff, P. A., & Overvad, H. (1971). Intermittent muscular weakness, extrasystoles, and multiple developmental anomalies. A new syndrome?. Acta paediatrica Scandinavica, 60(5), 559–564.
- Tawil, R., Ptacek, L. J., Pavlakis, S. G., DeVivo, D. C., Penn, A. S., Ozdemir, C., & Griggs, R. C. (1994). Andersen's syndrome: potassium-sensitive periodic paralysis, ventricular ectopy, and dysmorphic features. Annals of neurology, 35(3), 326–330.
- Plaster, N. M., Tawil, R., Tristani-Firouzi, M., Canún, S., Bendahhou, S., Tsunoda, A., Donaldson, M. R., Iannaccone, S. T., Brunt, E., Barohn, R., Clark, J., Deymeer, F., George, A. L., Jr, Fish, F. A., Hahn, A., Nitu, A., Ozdemir, C., Serdaroglu, P., Subramony, S. H., Wolfe, G., … Ptácek, L. J. (2001). Mutations in Kir2.1 cause the developmental and episodic electrical phenotypes of Andersen's syndrome. Cell, 105(4), 511–519.
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