Akute Milchsäure-Pansenazidose (Wiederkäuer)
Synonym: Akute Pansenazidose
Englisch: acute ruminal acidosis
Definition
Die akute Milchsäure-Pansenazidose ist die klassische Form der Pansenazidose bei Wiederkäuern. Sie entsteht durch die Aufnahme großer Mengen leicht verdaubarer Kohlenhydrate.
Epidemiologie
Grundsätzlich sind alle Wiederkäuer für eine akute Pansenazidose empfänglich. Besonders gefährdet sind Rinder und Schafe, die durch defekte Kraftfutterautomaten gefüttert werden. Gleichzeitig kommt es auch oftmals bei Schafen zu einer akuten Pansenazidose, da sie auf schlecht abgeernteten Getreidefeldern gehalten werden.
Ätiologie
Die akute Milchsäure-Pansenazidose entsteht durch die Aufnahme ungewohnt großer Mengen an leicht vergärbaren Kohlenhydraten (z.B. defekter Kraftfutterautomat, Einbruch in Futterkammer u.ä.).
Pathogenese
Nach der Aufnahme großer Mengen leicht vergärbaren Kohlenhydraten kommt es innerhalb von wenigen Stunden zu ausgeprägten Veränderungen der Pansenmikroflora.
Bei einer ausgewogenen Fütterung (gemischte Ration mit ausgewogenem Verhältnis) besteht die Mikroflora überwiegend aus gramnegativen und vielfältigen Mikroben. Bei einer entstehenden Pansenazidose nimmt die Vielfalt ab, sodass bald nur noch grampositive und Milchsäure-produzierende Streptokokken (Streptococcus bovis) sowie Laktobazillen dominieren. Durch die veränderten Verhältnisse sinkt der pH-Wert stetig ab, sodass ab einem pH-Wert von unter 5 die zellolytische Flora sowie die Infusorien absterben.
Durch die gebildete Milchsäure wird der osmotische Druck im Pansen und später auch im gesamten Darminhalt erhöht. Infolge dessen entsteht ein Zustrom von Wasser aus dem Körper in den Pansen, was zu massiver Diarrhö führt. Die überschüssige Milchsäure wird über die Mukosa resorbiert, weshalb sich eine metabolische Azidose (Additionsazidose) entwickelt. Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung kann es binnen 24 Stunden zum Tod der Tiere kommen. Gleichzeitig können sich betroffene Rinder auch durch Futterentzug innerhalb einiger Tage vollständig von der Azidose erholen.
Komplikationen
Bei einer bestehenden Azidose reagiert die Pansenwand mit einer mehr oder weniger tiefgreifenden Entzündung (Ruminitis). Durch das geschädigte Epithel können neben Bakterien auch Pilze eindrigen und sich hämatogen in anderen Organen (z.B. Leber) sowie im gesamten Organismus verbreiten. Parallel dazu können unterschiedliche Komplikationen wie z.B. Leberabszesse, Thrombosen der Vena cava caudalis sowie Klauenrehe entstehen.
Klinik
Die Symptome hängen vom Schweregrad der Pansenazidose ab.
In milden Fällen zeigen betroffene Tiere Inappetenz, der Pansen ist vollständig gefüllt, es sind keine Wiederkautätigkeiten nachweisbar und es zeigen sich leichte Koliksymptome. Ausgeprägte Pansenazidosen gehen mit einer massiven Störung des Allgemeinbefindens, Festliegen (mit eingeschlagenem Hals), Hypothermie, Exsikkose, Tachykardie, Tachypnoe, Durchfall, hellem und säuerlich riechendem Kot, Blindheit, Taumeln und Oligurie einher. Der Pansensaft ist hell bis milchig gefärbt.
Differenzialdiagnosen
Mögliche Differenzialdiagnosen sind Hypokalzämie, akute Mastitis, akute diffuse Peritonitis sowie Sepsis anderer Genese.
Diagnose
Neben der Anamnese ist v.a. das klinische Bild hinweisend für eine Verdachtsdiagnose. Die Diagnose kann mittels Beprobung des Pansensaftes (z.B. über eine Nasenschlundsonde) bestätigt werden (makroskopische und mikroskopische Untersuchung sowie pH-Wert-Messung).
Therapie
Die Therapie hängt vom Schweregrad des Krankheitsbildes ab.
Bei bereits fortgeschrittener Pansenazidose mit teilweise festem Panseninhalt ist eine Ruminotomie indiziert. Der Pansen wird entleert, gespült und anschließend mit frisch gehäckseltem Heu und Pansensaft eines gesunden Rindes befüllt (Pansensaftübertragung). Ist der Panseninhalt bereits weitgehend verflüssigt, kann dieser durch mehrmaliges Spülen geleert werden. Parallel dazu sind symptomatische Maßnahmen (z.B. parenterale Infusionen, Ausgleich des Basendefizits u.ä.) durchzuführen. Bei erwachsenen Rindern ist eine Dosierung von etwa 0,4 g/kgKG Natriumhydrogencarbonat notwendig.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prophylaxe
Die Fütterung ist wiederkaugerecht zu rationieren. Mastrinder sind über mehrere Wochen hinweg an eine kraftfutterreiche Ernährung zu gewöhnen.
Quellen
- Klee W, Metzner M. 2016. Ausgewählte Kapitel aus dem Gebiet der Inneren Medizin der Wiederkäuer Lehrmaterialien der Klinik für Wiederkäuer der LMU München (abgerufen am 23.03.2021)