Wiederkauen
von lateinisch: ruminare - wiederkäuen
Synonym: Rumination
Englisch: ruminate
Definition
Das Wiederkauen ist ein physiologischer Vorgang bei Wiederkäuern, der die im Vormagensystem ablaufenden Verdauungsvorgänge ermöglicht.
Namensherkunft
Der Begriff Wiederkauen stammt aus dem Lateinischen ruminare und hat der Unterordnung Ruminantia (Wiederkäuer) zum Namen verholfen.
Funktionelle Bedeutung
Wiederkauen ist eine elementare Voraussetzung für den physiologischen Ablauf der Verdauungsvorgänge in den Vormägen. Es erfüllt folgende Funktionen:
- Die mit dem Wiederkauen einhergehende Zerkleinerung großer Futterpartikel führt zu einer Oberflächenvergrößerung. Sie ist die Voraussetzung für eine intensive mikrobielle Besiedelung und den Abbau von Zellinhaltsstoffen. Wiederkauen beeinflusst - vor allem bei raufutterreichen Rationen - indirekt auch das Ausmaß der mikrobiellen Fermentation.
- Das Wiederkauen ist unmittelbar mit der Aktivierung von bukkalen Mechanosensoren verbunden, was zu einem erhöhten Speichelfluss führt. Somit beeinflusst die Wiederkauaktivität maßgeblich das Milieu im Reticulorumen. Die erhöhte Bicarbonatkonzentration des Wiederkäuerspeichels wirkt einer Übersäuerung des Panseninhalts (Pansenazidose) entgegen.
- Die Abnahme der Partikelgröße aufgrund des Wiederkauens und die gleichzeitige Zunahme der Partikeldichte beeinflussen den Ablauf der Ingestapassage aus dem Reticulorumen in den Psalter.
Regulation
Der Wiederkauvorgang wird durch die Stimulation der epithelialen Rezeptoren in der Mukosa von Haube und Pansenvorhof induziert. Als adäquate Reize für diese Rezeptoren gelten Berührungen der Schleimhaut durch grobe Futterpartikel im Panseninhalt. Diese Tatsache erklärt die Abhängigkeit der Wiederkauaktivität von Menge und Zusammensetzung der Ration: Wird das Tier mit strukturreichen Raufutterrationen gefüttert, kaut es zwischen 8 und 11 Stunden pro Tag wieder. Bei kraftfutterreichen Rationen oder Verfüttern von gemahlenem Raufutter sinkt die Wiederkauaktivität drastisch ab. Nach erfolgten Stimuli projizieren die epithelialen Rezeptoren über vagale Fasern zum Wiederkauzentrum, das in der Medulla oblongata liegt. So tritt nach Vagotomie oder Dezerebrierung kein Wiederkauen mehr auf.
Physiologie
Der Wiederkauzyklus kann in zwei Abschnitte unterteilt werden:
Rejektion
Der eigentliche Wiederkauakt beginnt mit der sogenannten Rejektion eines Bolus in die Maulhöhle des Wiederkäuers. Ihr geht eine zusätzliche Kontraktion der Haube unmittelbar vor der biphasischen Haubenkontraktion des A-Zyklus voraus (Rejektionskontraktion). In dieser Phase werden Ingesta aus dem Bereich von Haube und Pansenvorhof vor die Kardia gehoben, während sich ihr unterer Sphinkter gleichzeitig öffnet. Parallel bzw. unmittelbar vor der Rejektionskontraktion erfolgt eine Inspiration bei angehobenem weichem Gaumen. Dieses Anheben bewirkt, dass der Lufteinstrom über die Luftwege deutlich erschwert wird und so ein vergrößerter Unterdruck im thorakalen Bereich des Ösophagus (25-40 mmHg) entsteht. Infolge dessen vergrößert sich die Expansion des Brustkorbes, wodurch der Bolus regelrecht in den Ösophagus angesaugt wird. Eine rasch folgende, schnelle, antiperistaltische Kontraktion des Ösophagus befördert den Bolus letztendlich in die Maulhöhle. Gleichzeitig erfolgt ein kurzzeitiges Schließen der Epiglottis, um eine Fremdkörperaspiration zu verhindern. Hierbei ist wichtig, dass im Gegensatz zum Erbrechen Kontraktionen der Bauchmuskulatur und des Magens an der Rejektion nicht beteiligt sind.
Wiederkauen
Ist der Bolus erst einmal in der Maulhöhle angekommen, wird er durch Anheben der Zunge am harten Gaumen ausgedrückt. Die dabei ausgepresste Flüssigkeit wird wieder abgeschluckt, sodass nur noch die Festpartikel übrigbleiben. Das eigentliche Wiederkauen dauert nun etwa eine Minute, in der der Bolus mit regelmäßigen Kieferschlägen gekaut wird. Die groben Futterpartikel werden so weiter zerkleinert, um im Anschluss besser verdaut werden zu können. Wichtig zu wissen ist, dass die Speichelsekretion während des Wiederkauens gegenüber der Ruheperiode mehr als verdoppelt ist. So endet nach etwa 50 Kieferschlägen der Wiederkauzyklus mit dem finalen Abschlucken, wobei der nächste Zyklus nach einer kurzen Pause von 5-10 Sekunden wieder beginnt.
Besonders wichtig ist, dass für jede Rejektion die Hauben-Pansen-Motorik (Rejektionskontraktion), die Atmung (Inspiration mit Verschluss der Luftwege) und die Aktivität des Ösophagus synchronisiert werden. Diese schwierige Koordination, die vermutlich im Hypothalamus erfolgt, gelingt offenbar am besten im Zustand der Ruhe. So ist das Wiederkauen vor allem bei liegenden, dösenden Tieren zu beobachten. Im Gegenzug wirken Aufregung und Stress stark hemmend auf die Wiederkauaktivität. Unterbindet man experimentell durch Anlegen von engen Masken bei Kühen das Wiederkauen für mehrere Stunden, beginnen die Tiere unmittelbar nach Abnahme der Masken, selbst bei massiven Störungen und trotz anfallendem Hunger, mit dem Wiederkauen. Diese Versuche verdeutlichen die große Bedeutung von übergeordneten Zentren des ZNS für den Wiederkauvorgang.
Pseudowiederkauen
Als Pseudowiederkauen bezeichnet man eine Aktivität, bei der Boli rejiziert werden, ohne dass sich Perioden rhythmischer Kaubewegungen anschließen. So wird Pseudowiederkauen vor allem bei Fütterung von strukturarmen Rationen beobachtet und gilt als Ausdruck der zentralen Komponente an der Auslösung des Wiederkauvorgangs.
Klinik
Wiederkauen setzt ein Mindestmaß an Wohlbefinden voraus. So hemmen Schmerzen, Fieber und Stress merkbar die Wiederkauaktivität. Gleichzeitig führen etliche Erkrankungen zu einer deutlichen Verminderung des Wiederkauens, wie etwa die Pansenazidose. Aufgrund dessen kann das Wiederkauen als guter Indikator für die Gesundheit des Tieres angesehen werden.
Literatur
- von Engelhardt, Wolfgang, and Gerhard Breves, eds. Physiologie der Haustiere. Stuttgart: Enke, 2015.
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