Adie-Syndrom
nach dem australischen Neurologen William John Adie (1886-1935) und dem irischen Neurologen Sir Gordon Morgan Holmes (1876-1965)
Synonyme: Holmes-Adie-Syndrom
Englisch: Adie's syndrome
Definition
Das Adie-Syndrom ist eine seltene neurologische Erkrankung mit einem Symptomkomplex aus Pupillotonie mit Akkomodotonie und abgeschwächten Muskeleigenreflexen.
Epidemiologie
Ätiologie
Die meisten Fälle sind idiopathisch. Gelegentlich tritt das Adie-Syndrom im Rahmen von Erkrankungen mit Beteiligung des Ganglion ciliare auf, z.B. bei:[1][2]
- Infektionen (insb. Neurosyphilis, HIV, Lepra, Covid-19, Varizellen, Virushepatitiden, Parvovirus B19 und Borreliose)
- immunologischen Erkrankungen (z.B. Riesenzellarteriitis, PAN, Sjögren-Syndrom, Sarkoidose, SLE, Guillain-Barré-Syndrom, CIDP, Miller-Fisher-Syndrom, Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom)
- Neoplasien (z.B. Hodgkin-Lymphom)
- Schädel-Hirn- oder Orbitatraumata, ophthalmologischen Operationen, retinaler Photokoagulation oder Migräne (selten)
Pathogenese
Pathogenetisch liegt eine Schädigung der Fasern des Ganglion ciliare zugrunde, meist durch entzündliche Prozesse. Dadurch werden postganglionäre parasympathische Fasern geschädigt, welche den Ziliarkörper und die Iris bzw. den Musculus sphincter pupillae versorgen. Durch eine aberrante Regeneration dieser Fasern kann es zur Umwidmung von Axonen beider Strukturen kommen. Axone, die den Ziliarkörper versorgten, innervieren dann den Musculus sphincter pupillae. Dadurch kommt es einer Licht-Nah-Dissoziation: Die Lichtreaktion ist herabgesetzt, während man bei der Nahakkomodation eine abnorm verlängerte, tonische Konvergenzreaktion der Pupille feststellt.[1]
Als Ursache der Hyporeflexie wird eine Schädigung thorakaler und lumbaler Spinalganglien (Neuronenverlust und/oder Demyelinisierung) diskutiert.[1]
Symptomatik
Das Adie-Syndrom besteht aus:
- Pupillotonie (verzögerte Pupillenreaktion und tonische Konvergenzreaktion): hierdurch sichtbare Anisokorie, Blendempfindlichkeit
- Akkommodotonie (verzögerte Akkommodation) mit anisometrischer Hyperopie, gelegentlich hierdurch Sehunschärfe im Nahbereich (z.B. Probleme beim Lesen)
- Hyporeflexie bzw. Areflexie, insbesondere der unteren Extremität
Die meisten Patienten haben jedoch nur wenig Beschwerden. Oft wird die Diagnose bei der Abklärung einer zufällig bemerkten Anisokorie gestellt.
Die okulären Störungen treten zumeist einseitig auf, in ca. 20 % der Fälle ist das andere Auge im Verlauf betroffen.[3]
Diagnostik
Die Diagnose wird klinisch anhand der ophthalmologischen Untersuchung gestellt. Hierbei können folgende Auffälligkeiten auftreten:[3][4]
- Anisokorie, wobei die betroffene Seite mydriatisch, bei Dunkelheit hingegen teils miotisch erscheinen kann
- einseitiger efferenter Pupillendefekt im Swinging-Flashlight-Test
- bei Prüfung der Konvergenzreaktion nur geringe Störung der Miosis (Licht-Nah-Dissoziation)
- bei Spaltlampenuntersuchung zeitlupenartige Pupillenkontraktion mit segmentalen Paresen
- bei Eintropfen von 0,1%iger Pilocarpinlösung nach 30 Minuten starke miotische Reaktion als Zeichen einer Denervierungshypersensitivität
Neben den Auffälligkeiten an den Augen sind die Reflexe, insbesondere der unteren Extremität, vermindert.
Zusätzlich sollte eine Infektionsserologie erfolgen. Bei Verdacht auf eine assoziierte Riesenzellarteriitis erfolgt die Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit und des CRP.
Therapie
Der Patient muss über die Harmlosigkeit der Erkrankung aufgeklärt werden.
Sinnvoll ist die Ausstellung eines Notfallausweises, um spätere Fehldeutungen der Anisokorie/Hyporeflexie (z.B. bei Schädel-Hirn-Trauma) zu vermeiden. Bei Blendempfindlichkeit können 0,1%ige Pilocarpin-Augentropfen oder Lichtschutzbrillen verordnet werden. Bei akkomodativen Beschwerden ist eine Lesebrille hilfreich.[4]
Prognose
Die Erkrankung verläuft gutartig. Mit der Zeit lässt die Anisokorie und Akkomodationsstörung nach, die betroffene Pupille wird enger ("Little old Adie"). Die Hyporeflexie bleibt und kann progredient sein.[1][3]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Sarao, Elnahry, Sharma: "Adie Syndrome" in: "StatPearls". Treasure Island, 2023.
- ↑ Xu et al.: "Adie's Pupil: A Diagnostic Challenge for the Physician" Medical Science Monitor, 2022.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Burk A, Burk R (Hrsg.): "Checkliste Augenheilkunde" 7., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart, 2023.
- ↑ 4,0 4,1 Wilhelm: "Empfehlungen zur Untersuchung und zum diagnostischen Vorgehen bei Pupillenstörungen" Leitlinienregister des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V., 2017.
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