Acetylleucin
Handelsnamen: Aqneursa®, Tanganil®
Synonyme: L-Acetylleucin, Acetyl-L-leucin, N-Acetylleucin, N-Acetyl-L-leucin
Englisch: levacetylleucine
Definition
Acetylleucin ist ein Aminosäurederivat, das als Arzneistoff zur Behandlung des Morbus Niemann-Pick vom Typ C (NPC) und zur symptomatischen Behandlung von Schwindel eingesetzt wird.
Chemie
Acetylleucin ist ein Leucin-Derivat. Die Summenformel ist C8H15NO3. Der chemische Name ist
- (2S)-2-Acetamido-4-methylpentanolsäure (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 173,21 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 0,78. Die CAS-Nummer lautet 1188-21-2. Die Substanz liegt bei Raumtemperatur als Granulat vor, das in Wasser löslich ist.
Wirkmechanismus
Der Wirkmechanismus von Acetylleucin bei Morbus Niemann-Pick vom Typ C ist bisher (2024) unbekannt. Es wird angenommen, dass Acetylleucin in die neuronale Zellmembran einlagert wird und durch Interaktion mit Phospholipiden eine Normalisierung des Membranpotentials bewirkt. Im Tierexperiment konnte gezeigt werden, dass Acetylleucin das Gleichgewicht zwischen hyperpolarisierten und depolarisierten medialen vestibulären Neuronen wiederherstellt. Bei experimentell ausgelöstem Morbus Niemann-Pick-Krankheit Typ C und Morbus Sandhoff wurden neuroprotektive Wirkungen beobachtet, die aber keine eindeutige Zuordnung zur Pathophysiologie der Erkrankungen zulassen. [1][2]
Pharmakokinetik
Acetylleucin wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach einer Stunde erreicht. Die Plasmaproteinbindung ist nicht bekannt. Das Verteilungsvolumen beträgt 253 Liter (ca. 4 l/kgKG). Die Biotransformation erfolgt unabhängig von Cytochrom-P450-Isoenzymen durch enzymatische Spaltung in Essigsäure und L-Leucin, die weiter metabolisiert werden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt eine Stunde.[3]
Indikationen
Acetylleucin ist indiziert zur Behandlung der neurologischen Manifestationen des Morbus Niemann-Pick vom Typ C bei Erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit einem Gewicht von ≥ 15 kgKG.[3][4]
Acetylleucin wird in Frankreich seit 1957 zur symptomatischen Behandlung von Schwindel bei Erwachsenen eingesetzt. Bisher (Stand 2024) wurden keine randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) durchgeführt, welche die Wirksamkeit für diese Indikation belegen.[5]
Darreichungsform
Acetylleucin ist als Granulat zur Herstellung einer Suspension zur oralen Anwendung verfügbar.[3]
Dosierung
Die Dosierung zur Behandlung des Morbus Niemann-Pick vom Typ C erfolgt in Abhängigkeit vom Körpergewicht.
Zur symptomatischen Behandlung von Schwindel wird Acetylleucin in einer Dosierung von 3 x 500 mg täglich eingesetzt. In einer Fallserie wurden bei Patienten mit zerebellärer Ataxie unterschiedlicher Ätiologie 5.000 mg täglich über eine Woche verabreicht.[1]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Acetylleucin sind:[3]
Wechselwirkungen
Acetylleucin ist ein Inhibitor des P-Glykoproteins. Die klinische Bedeutung dieser Wirkung ist bisher (2024) nicht untersucht worden.[3]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Acetylleucin oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
Schwangerschaft und Stillzeit
Im Tierexperiment wurden reproduktionstoxische Wirkungen festgestellt. Acetylleucin schädigt die Organogenese, führt zum intrauterinen Fruchttod und zu postnatalen Fehlbildungen. Zum Übertritt in die Muttermilch liegen bisher (2024) keine Daten vor.[3]
Da Frauen, die an Morbus Niemann-Pick vom Typ C erkrankt sind, das gebärfähige Alter erreichen können, werden während der Behandlung mit Acetylleucin geeignete Maßnahmen der Kontrazeption empfohlen. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob das Stillen während der Behandlung unterbrochen oder die Behandlung während der Stillzeit abgebrochen werden soll.
Toxizität
Aktuell (2024) liegen keine Erfahrungen zur Symptomatik einer Überdosierung oder Vergiftung mit Acetylleucin vor. Es ist davon auszugehen, dass verstärkt gastrointestinale Beschwerden und metabolische Störungen (Azidose) auftreten können. Eine primäre Giftentfernung durch die Gabe von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Ein spezifisches Antidot ist bisher (2024) nicht verfügbar. Aufgrund der raschen Metabolisierung von Acetylleucin ist wahrscheinlich keine sekundäre Giftentfernung notwendig.
Zulassung
ATC-Code
- N07CA04 - Antivertiginosa
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Strupp M et al. Effects of acetyl-DL-leucine in patients with cerebellar ataxia: a case series. J Neurol 2013
- ↑ Tifft CJ. N-Acetyl-l-Leucine and Neurodegenerative Disease. N Engl J Med. 2024
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 Full Prescribing Information Aqneursa, FDA, abgerufen am 26.09.2024
- ↑ Bremova-Ertl T et al. Trial of N-Acetyl-l-Leucine in Niemann-Pick Disease Type C. N Engl J Med. 2024
- ↑ Vanderkam P et al. Efficacy of acetylleucine in vertigo and dizziness: a systematic review of randomised controlled trials. Eur J Clin Pharmacol. 2019
Weblinks
- Vidal France - TANGANILPRO, abgerufen am 26.09.2024
- Acetyl-DL-Leucin verspricht Hilfe bei Schwindelsyndrom. DAZ 2014
- Drugbank - L-Acetylleucine, abgerufen am 26.09.2024
- PubChem: 70912
- MeSH: 67088117