Trochlearisparese
Englisch: trochlear nerve paresis, fourth nerve palsy
Definition
Als Trochlearisparese bezeichnet man eine Lähmung infolge einer Läsion des IV. Hirnnerven (Nervus trochlearis).
- ICD-10-Code: H49.1
Epidemiologie
Ätiologie
Die meisten Fälle einer Trochlearisparese beruhen auf einer kongenitalen Fehlanlage des Nerven oder des durch ihn innervierten Musculus obliquus superior.[1][2] Am häufigsten findet sich hierbei eine Aplasie des Nervens mit konsekutiver Atrophie des durch ihn innervierten Muskels.[2] Seltener sind Defekte des Muskels selbst für das Krankheitsbild verantwortlich, z.B. durch Fehlbildungen der Muskelsehne.[2] Hierbei sollte jedoch eher von einer Obliquus-Superior- als von einer Trochlearisparese gesprochen werden. Kongenitale Trochlearisparesen können mit einer asymmetrischen Mittelgesichtshypoplasie assoziiert sein.[2]
Aufgrund seines geringen Durchmessers, seines langen und komplexen Verlaufes sowie seines Austritts auf der Dorsalseite des Mesenzephalons gilt der Nervus trochlearis außerdem als besonders empfänglich für erworbene Schädigungen.[3] Ursachen einer solchen erworbenen Trochlearisparese sind zum Beispiel:[2][3][4][5][6][7]
- Schädel-Hirn-Traumata, hierbei findet sich oft eine Schädigung im Bereich des Mittelhirns oder des Nervenaustrittspunktes aus jenem, häufig auch bilateral
- neurochirurgische Eingriffe
- Tumorkompression
- Neuropathien, z.B. bei Lupus-Vaskulitis, diabetischer Neuropathie, Guillain-Barré-Syndrom
- Vaskuläre Veränderungen
- Kompression durch Aneurysmen, z.B. der Arteria cerebri posterior
- diabetische und/oder hypertensive Mikroangiopathie mit Schädigung des Trochleariskerns
- Hirnstamminfarkte mit Involvierung des Kerngebiets
- Sinus-cavernosus-Syndrom, z.B. bei Sinus-cavernosus-Thrombose
- Orbitaerkrankungen, hier auch als Teil eines Fissura-orbitalis-superior- oder Orbitaspitzensyndroms (z.B. bei Tolosa-Hunt-Syndrom)
- Infektionen (z.B. Herpes zoster, Borreliose)
- Multiple Sklerose mit Demyelinisierung des intrazerebralen Nervenanteils
- idiopathische intrakranielle Hypertension
In einem kleinen Teil der Fälle ist jedoch keine Ursache auffindbar. Sie tragen den Label "idiopathische Trochlearisparese".[1]
Pathogenese
Infolge einer Trochlearisparese kommt es zu einem Ausfall des Musculus obliquus superior. Dieser äußert sich durch ein Übergewicht des antagonistischen Musculus obliquus inferior mit resultierender Blickdeviation des Auges bei entsprechenden Blickbewegungen:[6][7]
- Abweichen des Auges nach oben (Hypertropie)
- verminderte Fähigkeit zur Blicksenkung (Depression)
- Verrollung des Auges mit dem Oberpol nach außen (Exzyklotropie)
Hypertropie und Depressionsschwäche verstärken sich beim Einwärtsblick (Adduktion), da hier der Musculus obliquus inferior einen besseren Ansatzwinkel für seine Bulbuselevationsfunktion besitzt.
Klinik
Patienten mit einer manifesten Trochlearisparese beklagen das Auftreten von vertikal und/oder torsionell versetzten, binokulären Doppelbildern (Diplopie).[2][3] Sie verschlechtern sich durch einen Abwärts- und Einwärtsblick (z.B. beim Lesen) und können durch eine Kopfneigung zur kontralateralen Seite kompensiert werden.[2][3] Letzteres führt zu einer unbewussten, dauerhaften Kopfneigung zur gesunden Seite, was als okulärer Schiefhals (Torticollis) bezeichnet wird.[2] Bei genauer Betrachtung kann die Augenfehlstellung auch äußerlich als Strabismus sichtbar sein.[2][3]
Durch eine kompensatorische Kopfhaltung können auch kongenitale Paresen oft jahrelang maskiert werden. Eine Manifestation findet sich dann bei einem Erschöpfen der Fusionsfähigkeit, z.B. bei Stress, Müdigkeit oder Akuterkrankungen. Oft kann im Nachhinein eine Kopfschiefhaltung dann in Kindheitsfotos ersichtlich werden.[3][7]
Diagnostik
Bei der Untersuchung der Okulomotorik fällt in den Blickfolgebewegungen eine einseitige Depressionsschwäche oder Hypertropie auf. Als klinische Untersuchungsmethode kann der dreistufige Parks-Bielschowksy-Test eingesetzt werden:[2][3]
- Beobachtung der Bulbi auf eine Hypertropie in Primärposition
- Aufforderung zum Blick nach rechts und links, hierbei verstärken sich Hypertropie und Diplopie bei Adduktion des betroffenen Bulbus
- Neigung des Kopfes zu beiden Seiten (Bielschowsky-Test), hierbei verstärken sich Hypertropie und Diplopie bei Neigung zur erkrankten Seite
Dieses Testverfahren besitzt jedoch keine hundertprozentige Sensitivität. Zur weiteren apparativen Abklärung können daher Rot-Grün-Brillen, Prismentests oder der Maddox-Test eingesetzt werden.[2][3][6]
In eindeutig kongenital bedingten Fällen, z.B. bei sicherem Nachweis eines langjährig vorbestehenden Torticollis, kann auf eine Ursachendiagnostik verzichtet werden.[2] Ansonsten sollte zumindest eine MR-tomographische Darstellung von Hirnstamm und Nervenverlauf erfolgen. Weitere Diagnostik wie beispielsweise Blut- oder Liquordiagnostik richtet sich nach der vermuteten Ursache.
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostisch muss an eine Augenfehlstellung anderer Ursache, z.B. infolge einer Myasthenia gravis, einer Orbita-Blow-Out-Fraktur, einer Skew Deviation oder einer endokrinen Orbitopathie, gedacht werden.[2][3] Kongenitale Formen müssen gegenüber einem Strabismus sursoadductorius abgegrenzt werden.[7] Ferner müssen weitere Ursachen eines Torticollis bedacht werden.[2]
Therapie
In den wenigen Fällen, in denen dies möglich ist, sollte eine Ursachentherapie erfolgen, z.B. durch Einstellung eines Diabetes mellitus, antiinfektive oder immunsuppressive Therapie.
Ansonsten ist die Therapie der Trochlearisparese primär symptombezogen und beruht auf einem Korrektur des Schielens. Möglich sind hierbei:[2]
- Prismengläser
- Botulinumtoxin-Injektionen in den Musculus obliquus inferior
- chirurgische Straffung des Musculus obliquus superior und/oder Schwächung des Musculus obliquus inferior (z.B. durch Resektion oder Transposition) sowie weiterer Augenmuskeln
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Dosunmu et al., Incidence and Etiology of Presumed Fourth Cranial Nerve Palsy: A Population-based Study, American Journal of Ophthalmology, 2018.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11 2,12 2,13 2,14 Khanam, Sood, Trochlear Nerve Palsy, StatPearls, 2024.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 Morillon, Bremner, Trochlear nerve palsy, British Journal of Hospital Medicine, 2017.
- ↑ Tran, Thompson, Cranial nerve IV palsy (trochlear nerve), Disease-a-Month, 2021.
- ↑ Yoshinaga et al., Case report: isolated trochlear nerve palsy associated with posterior cerebral artery aneurysm, Acta Neurochirurgica, 2023.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Kung, Stavern, Isolated Ocular Motor Nerve Palsies, Seminars in Neurology, 2015.
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 Burk und Burk, Trochlearisparese. In: Burk und Burk (Hrsg.) Checkliste Augenheilkunde, 6. Auflage, Thieme Verlag Stuttgart, 2018.