Multiple endokrine Neoplasie Typ 2
Englisch: multiple endocrine neoplasia type 2
Definition
Multiple endokrine Neoplasie Typ 2, kurz MEN2, ist ein genetisch bedingtes, autosomal-dominant vererbtes Syndrom, das mit verschiedenen Tumoren endokriner Organe einhergeht.
siehe auch: Multiple endokrine Neoplasie
Epidemiologie
Die Prävalenz von MEN2 liegt bei etwa 2 bis 5 Fällen pro 100.000.
Einteilung
Je nach Phänotyp werden drei Formen unterschieden:
- MEN 2A (Sipple-Syndrom): Meist medulläres Schilddrüsenkarzinom (MTC) und Phäochromozytom.
- MEN 2B (Wagenmann-Froboese-Syndrom, früher MEN3): Meist medulläres Schilddrüsenkarzinom und Phäochromozytom. Teilweise bestehen besondere klinische Manifestationen wie marfanoider Habitus oder Schleimhautneurome an Lippen und Zunge.
- Familiäres medulläres Schilddrüsenkarzinom (FMTC)
Medullären Schilddrüsenkarzinome treten deutlich früher auf, als bei sporadischen Fällen. Die Aggressivität der Tumoren ist bei MEN2B am höchsten, gefolgt von MEN2A und FMTC.
Genetik
MEN2 entsteht durch Gain-of-Function-Mutationen des Protoonkogens RET auf Chromosom 10 an Genlokus 10q11.2. Das Gen kodiert einen membrangebundenen Tyrosinkinaserezeptor. Mutationen des RET-Gens finden sich bei rund 98 % der MEN2-Patienten. Bei diesen Patienten liegt eine signifikante Genotyp-Phänotyp-Korrelation vor. Mutationen in Exon 10 und 11 werden in der Regel mit MEN2A in Verbindung gebracht. Mutationen im Exon 16 finden sich in der Regel bei Patienten mit MEN2B. Das Auftreten von FMTC ist häufig mit den Exons 10, 13 und 14 verbunden.
Klinik
MEN2A
Die Hauptmanifestationen von MEN2A sind medulläre Schilddrüsenkarzinome (> 90 % der Patienten) und Phäochromozytome (50 %). Bei einigen Patienten mit MEN2 kann darüber hinaus ein Morbus Hirschsprung auftreten, meist im Zusammenhang mit Mutationen in Exon 10. Bei einem Zehntel der MEN2A-Familien wird eine kutane Lichen-Amyloidose manifest, die häufig mit Exon 11 zusammenhängt.
Medulläre Schilddrüsenkarzinome
Typische Symptome der medullären Schilddrüsenkarzinome sind Durchfall und Flush durch vermehrte Sekretion von Calcitonin sowie Beschwerden durch den raumfordernden Effekt des Tumors (z.B. Dyspnoe). Laborchemisch fällt eine Erhöhung von Calcitonin und CEA auf. Im Ultraschall zeigen sich hypoechogene, teilverkalkte Knoten. Weiterführende bildgebende Untersuchungen dienen dem Tumorstaging.
Phäochromozytome
Phäochromozytome bei MEN2A sind meist gutartig und bilateral. Mögliche Symptome sind Palpitationen, Hypertension, Kopfschmerzen und Schweißausbrüche. Laborchemisch sind Katecholamine und deren Metabolite im Plasma erhöht. Als Bildgebung kommt in der Regel die CT zum Einsatz.
MEN2B
Bei MEN2B treten ebenfalls medulläre Schilddrüsenkarzinome und Phäochromozytome auf. Unterschiede zu MEN2A sind:
- aggressiveres Verhalten der medullären Schilddrüsenkarzinome und Auftreten in fast 100 % der Fälle
- meist kein Entstehen einer Nebenschilddrüsenerkrankung (Hyperparathyreoidismus)
Besondere Manifestationen, die meist frühzeitig auftreten, sind:
- marfanoider Habitus
- gastrointestinale Ganglionneurinome
- multiple Schleimhautneurinome (Lippen, Zunge, Augenlider, Bindehaut)
- vorstehende Lippen
- Verdickung der Nerven der Cornea
- Anomalien des Bewegungsapparats (z.B. Gelenklaxizität)
FMTC
Bei Patienten mit FMTC entwickeln sich in der Regel nur medulläre Schilddrüsenkarzinome, die meist milder verlaufen als bei den anderen Formen. Bei einigen Patienten kann ebenfalls ein Morbus Hirschsprung auftreten.
Diagnostik
Bei Patienten mit Verdacht auf MEN2 ist eine molekulargenetische Untersuchung zum Nachweis des Gendefekts notwendig. Klinische Diagnosekriterien für die drei Subtypen sind:
- MEN2A: 2 oder mehr Haupttumore (MTC, Phäochromozytom, Nebenschilddrüsentumor)
- MEN2B: MTC, Phäochromozytom und spezielle Manifestationen wie marfanoider Habitus
- FMTC: nur MTC und mindestens 4 Fälle von MTC in der Familie
Therapie
Die Therapie ist abhängig vom genauen Ort der RET-Mutation und vom Schweregrad des medullären Schilddrüsenkarzinoms. Bei Patienten mit der niedrigsten Risikostufe A wird eine totale Thyreoidektomie nach dem 5. Lebensjahr oder bei positivem Ergebnis der Computertomographie (CT) empfohlen. Patienten mit einem Risiko der Stufen B oder C sollten eine vollständige Thyreoidektomie vor dem 5. Lebensjahr erhalten. Bei Patienten mit der höchsten Risikostufe D sollte die Operation bereits im ersten Lebensjahr erfolgen.