Locked-in-Syndrom
von englisch: locked in – eingeschlossen
Synonyme: Pseudokoma, ventrales Ponssyndrom, deefferenzierter Status, Monte Christo Syndrom
Englisch: locked-in-syndrome
Definition
Das Locked-in-Syndrom, kurz LiS, ist ein seltenes neurologisches Krankheitsbild, das bei einer beidseitigen Teilläsion des Hirnstammquerschnitts auftritt. Es hat eine Tetraplegie mit Einbezug der kaudalen Hirnnerven zur Folge. Für das Krankheitsbild typisch ist eine völlige Bewegungsunfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein. Der Betroffene ist nur zu vertikalen Augen- und Lidbewegungen fähig.
Epidemiologie
Das LiS ist eine seltene Erkrankung, genaue Angaben zur Prävalenz existieren aktuell (2023) nicht. In einer Studie wurde die Prävalenz in niederländischen Pflegeheimen auf etwa 0,7/10.000 Personen geschätzt.[1]
Die Sterblichkeit ist insgesamt hoch, besonders in den ersten Monaten nach Auftreten der Krankheit. Viele Patienten mit einem LiS werden nicht als solche erkannt. Schätzungen der Mortalitätsrate liegen bei 60 bis 75 %.[2]
Ätiologie
Vaskuläre Ursachen
Das Syndrom entsteht meist als Folge einer Thrombose der Arteria basilaris, die zu einem ausgedehnten Infarkt im Brückenfuß führt. Es kommt zu einer kompletten Unterbrechung der ventral gelegenen kortikobulbären- und kortikospinalen Bahn, eventuell auch eines Teils der pontinen Formatio reticularis. Entscheidend für die klinischen Symptome und die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines LiS ist die Lokalisation des Gefäßverschlusses.
Ebenso kann eine pontine Blutung ein LiS auslösen.
Nicht-vaskuläre Ursachen
Zu den nicht-vaskulären Ursachen eines LiS zählen:
- pontiner Tumor
- zentrale pontine Myelinolyse
- Schädel-Hirn-Trauma
- Entzündungen (z.B. Enzephalitis)
Eine Polyradiculitis cranialis, eine schwere Krise bei Myasthenia gravis, sowie neuromuskulär blockierende Medikamente können klinisch ein ähnliches Bild hervorrufen.
Symptome
Die selektive und komplette Schädigung der motorischen Nervenbahnen bei Erhalt des übrigen Gewebes bedingt das ungewöhnliche Erscheinungsbild des LiS.
Es kommt zu einer Tetraplegie und einer Lähmung der horizontalen Blickmotorik auf pontinem Niveau. Zudem sind die Funktionen der kaudalen Hirnnerven (Schlucken, Sprechen und meist auch mimische Funktionen) betroffen. Die Hirnstammreflexe (Kornealreflex, vestibulookulärer Reflex und Würgereflex) sind nicht auslösbar.
Die Vigilanz und das Sprachverständnis sind typischerweise nicht beeinträchtigt. Ebenfalls erhalten sind die vom rostralen Mesencephalon gesteuerten vertikalen Augenbewegungen und der Lidschlag. Sensibilität und Schmerzen sind in der Regel zumindest teilweise erhalten. Die Atmung kann eingeschränkt sein, ist aber nicht aufgehoben.
Diagnostik
Zur sicheren Befundung des LiS ist eine langfristige, sorgfältige Verlaufsbeobachtung notwendig. Dazu hilfreich sind vor allem EEG-Untersuchungen, akustische-, somatosensorische- sowie motorisch evozierte Potentiale. Die MRT hilft dabei, die Ausdehnung der Läsion zu erfassen und die Ursache einzugrenzen. Mithilfe der Doppler-Sonographie werden die Arteriae vertebrales und die Arteria basilaris beurteilt. Eine Liquorpunktion kann Hinweise auf eine entzündliche Genese liefern.
Es gilt vor allem das LiS von einer Reihe weiterer neurologischer Störungen abzugrenzen:
Therapie
In der Akutphase entspricht die Behandlung der Therapie eines Schlaganfalls. Ein wichtiges Ziel ist es, schnellstmöglich Kommunikationsmöglichkeiten für den Patienten zu schaffen. Es können Buchstabentafeln (um das Erlernen der vertikalen Augenbewegungen als Kommunikationsmittel zu fördern) sowie spezielle Computer eingesetzt werden. In der Praxis haben sich intensive Kombinationen von Physiotherapie, Ergotherapie- und Logopädie bewährt. Des Weiteren beinhaltet die Behandlung den behindertengerechten Einsatz technischer Hilfsmittel und psychische Verarbeitungshilfen sowie die soziale Integration.
Besserungen können häufig noch lange nach Krankheitsbeginn festgestellt werden.
Literatur
- LIS · Locked-In-Syndrom e.V.
- Schnetzer et al., Locked-in syndrome revisited, Therapeutic Advances in Neurological Disorders, 2023
Quellen
- ↑ Kohnen et al., The prevalence and characteristics of patients with classic locked-in syndrome in Dutch nursing homes, Journal of Neurology, 2013
- ↑ Schnetzer et al., Locked-in syndrome revisited, Therapeutic Advances in Neurological Disorders, 2023
Weblinks
- Heinz P et al. Locked-in-Syndrom nach Ponsblutung bei Amphetamin-Konsum. Dtsch Arztebl Int 2024 - Fallbericht mit Abb.
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