Formatio reticularis
von lateinisch: rete - Netz
Synonym: Substantia reticularis
Englisch: reticular formation
Definition
Die Formatio reticularis ist eine netzartige Anordnung aus grauer (Substantia grisea) und weißer Substanz (Substantia alba), die den ganzen Hirnstamm bis zum Rückenmark durchzieht. Sie besteht aus diffus verteilten Kerngebieten, die netzförmig miteinander verbunden und makroskopisch schwer abgrenzbar sind.
Neuroanatomie
Die Formatio reticularis macht den Großteil des Tegmentum aus. In sie sind weitere Hirnnerven- und Relaiskerne interretikulär eingebettet. Phylogenetisch gehört die Formatio reticularis zu den sehr alten Systemen. Lange auf- und absteigende Bahnen durchziehen sie oder sind ihr oberflächlich angelagert. Die durchziehenden Bahnen sind phylogenetisch ebenfalls sehr alt, die oberflächlich gelegenen sind eher jüngeren Ursprunges.
Innerhalb der in der Formatio reticularis verteilten Kerngebiete finden sich funktionelle Steuerzentren. Entsprechende makroanatomische Korrelate sind nur schwerlich auszumachen. Die Differenzierung erfolgt anhand von histologischen und zytoarchitektonischen Kriterien sowie mit Hilfe immunhistochemischer Verfahren.
Jene Zentren sind durch folgende Merkmale charakterisiert:
- funktionelle Spezifität der Neurone
- Verknüpfung mit an der jeweiligen Funktion beteiligten weiteren Zentren bzw. Kerngruppen innerhalb des gesamten Zentralnervensystems
- (semi-)autonome Funktion
- Regulierbarkeit
- besondere Anfälligkeit gegenüber spezifischen Noxen
Zu diesen Zentren werden gezählt:
- Brechzentrum
- Atemzentrum
- Kreislaufzentrum
- Aktivitätszentrum (ARAS)
Struktur
Die Kerngruppen der Formatio reticularis lassen sich nach zytoarchitektonischen und z.T. auch nach funktionellen Kriterien im Hirnstamm in drei Längszonen ordnen:
Mediane Zone
Die mediane Zone besteht aus den langgestreckten Raphe-Kernen. Diese sind als schmale Zellplatten angeordnet und hängen über die Medianebene zusammen.
Sie geben absolut überwiegend lange auf- und absteigende Efferenzen ab und erhalten Afferenzen vor allem von anderen Kernen der Formatio reticularis, vom Cerebellum, Hypothalamus, vom limbischen System und vom anterioren frontalen Kortex.
Mediale Zone
Auch als magnozelluläre Zone bezeichnet, finden sich hier charakteristische große Zellen. Efferenzen ziehen von hier vor allem in verschiedenen Faserbündeln zum Thalamus und teilweise mit Umschaltung im Thalamus weiter zum Kortex. Teile dieser Projektionen sind Kernstück des ARAS.
Weitere Efferenzen innerhalb des Hirnstammes ziehen zu okulomotorischen Strukturen und zum Rückenmark. Ein kleiner Anteil an Fasern ziehen zum posterolateralen Hypothalamus, zu den Basalganglien und zum Kleinhirn.
Afferenzen erhält die mediale Zone vor allem vom prämotorischen Kortex, aus dem Rückenmark und aus sensorischen Hirnnervenkernen sowie vom Kleinhirn.
Laterale Zone
In der lateralen Zone dominieren kleine Zellen. Efferenzen ziehen vor allem zu motorischen Hirnnervenkernen, während Afferenzen überwiegend aus sensorischen Hirnnervenkernen stammen, aus dem Rückenmark, dem Kleinhirn und aus sensomotorischen Kortexregionen.
Intermediärzone
Zwischen medialer und lateraler Zone lässt sich aufgrund histochemischer und immunhistochemischer Befunde eine weitere Zone, die Intermediärzone, ausmachen. Ihre Afferenzen erhalten Neurone der Intermediärzone absolut überwiegend aus di- und telenzephalen Regionen, zu denen sie ebenso ihre Efferenzen entsenden. Ein kleiner Teil der Afferenzen kommt aus dem Hirnstamm, ein kleiner Teil der Efferenzen projiziert zu motorischen Hirnnervenkernen sowie ins Rückenmark.
Funktion
Innerhalb der Formatio reticularis (sowie dem periaquäduktalen Grau) sind wesentliche Anteile jener neuronalen Netzwerke lokalisiert, welche lebenswichtige Funktionen regulieren. Des Weiteren finden sich spezialierte, jedoch anatomisch nicht abgrenzbare Funktionsgebiete zur Steuerung und Regulation von:
- Schlucken und Erbrechen,
- Miktion,
- verschiedenen Schutzreflexen mit Beteiligung von Hirnnerven sowie
- Abwehrverhalten
Außerdem dient die Formatio reticularis dem gating, indem primärafferente Informationen gefiltert werden. Bei all diesen Vorgängen sind vor allem monoaminerge, cholinerge, serotoninerge, noradrenerge sowie adrenerge Systeme beteiligt, welche typisch für dieses System sind.
Im Weiteren ist die Formatio reticularis in die Motorik, das Schlafverhalten und das endogene analgetische System integriert.