Gallisepticum-Mykoplasmose (Geflügel)
Synonyme: Mycoplasma-gallisepticum-Infektion, MG
Definition
Als Gallisepticum-Mykoplasmose, kurz MG, bezeichnet man eine wirtschaftlich bedeutsame, kontagiöse und subakut bis chronisch verlaufende Infektionskrankheit beim Geflügel.
Ätiologie
Mycoplasma gallisepticum ist ein zellwandloses, pleomorphes, häufig in kokkoider Form vorliegendes und 0,25 bis 0,5 µm großes Bakterium aus der Familie der Mycoplasmataceae. Der Erreger ist nur schwach gramnegativ anfärbbar und zeichnet sich v.a. durch die hohen Wachstumsansprüche in unterschiedlichen Bakterienkulturen aus. Deshalb eine Anzucht nur in flüssigen und/oder festen Spezialnährmedien möglich. Die Tenazität ist als gering einzustufen. Das Bakterium ist außerhalb des Wirtsorganismus nur wenige Tage überlebensfähig (z.B. im Kot bei 20 °C bis zu 3 Tage).
Anhand der Pathogenität unterscheidet man drei verschiedene Gruppen an Virulenzstämmen:
- hoch-virulente Stämme (z.B. S6-Stamm, A-5969-Stamm, Rhigh-Stamm)
- mittelgradig-virulente Stämme (z.B. Rlow-Stamm, F-Stamm)
- niedrig-virulente Stämme (z.B. 6/85-Stamm, ts11-Stamm)
Da die Einteilung nicht einheitlich ist, wird in der Literatur häufig auch von virulenten, schwach-virulenten und avirulenten Stämmen gesprochen.
Das Genom des Rlow-Stamms konnte komplett sequenziert werden. Dabei wurden eine Reihe potenzieller Virulenzfaktoren wie zytoadhärente Bindungsproteine, bindende Biomoleküle und sogenannte Heat-Shock-Proteine identifiziert. Zusätzlich ist Mycoplasma gallisepticum in der Lage, wirtseigene Proteine in die Zellmembran zu integrieren und parasitär in Wirtszellen einzudringen, um dort zu überleben.
Epidemiologie
Mycoplasma gallisepticum ist v.a. in Regionen mit hoher Nutzgeflügeldichte verbreitet. Es ist die am längsten bekannte und am weitesten verbreitete Mykoplasmenart des Geflügels. Infektionen verlaufen beim Huhn meistens unauffällig, während eine Infektion bei der Pute häufig in der akuten Initialphase mit klinisch manifesten Krankheitszeichen in Erscheinung tritt.
Aufgrund erfolgreich durchgeführter Eradikationsprogramme sind viele Zuchtbetriebe frei von Mycoplasma gallisepticum. Im Gegensatz dazu stellen Ablegebetriebe und Rassegeflügelzuchten, in denen ständig mehrere Altersgruppen gehalten werden, weiterhin Infektionsherde dar. Unabhängig davon konnte in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Zunahme von Gallisepticum-Mykoplasmosen in Nutzgeflügelbeständen festgestellt werden. Bestimmte Regionen mit besonders hoher Bestandsdichte gelten daher als Mycoplasma-gallisepticum-Endemiegebiete.
Pathogenese
Aufgrund der geringen Tenazität kommt der direkten Erregerübertragung (horizontal sowie vertikal) die größte Bedeutung zu. Zusätzlich kommen auch Übertragungen auf geringe Distanz durch belebte und unbelebte Vektoren sowie über die Luft (v.a. bei nahe beieinander liegenden Stalleinheiten) in Frage.
Die Bakterien gelangen entweder transovariell oder über die Schleimhaut des Respirationstrakts und/oder der Konjunktiven in das Tier. Anschließend heften sie sich mit ihrem Terminalkörper an die glykoproteinhaltigen Strukturen der Zelloberfläche des Zilien- und Mikrovilli-tragenden Schleimhautepithels, worauf es zu einer lokalen Vermehrung kommt. Virulente Stämme sind zusätzlich dazu befähigt, in die Gewebezellen des Wirts einzudringen. Da die Bakterien ihre Oberflächenstruktur verändern können, sind sie dazu in der Lage, sich effektiv der antigenspezifischen Infektabwehr des Wirts zu entziehen (Immunevasion).
Klinisch manifeste Erkrankungen entwickeln sich jedoch meistens erst nach dem synergistischen Zusammenwirken mit anderen Erregern, wie z.B. dem Newcastle-Disease-Virus, Infektiöses-Bronchitis-Virus, Gallid Herpesvirus 1, Escherichia coli, Avibacterium paragallinarum und anderen. Prädisponierend auf die Krankheitsentstehung wirken sich auch ernährungs- und haltungsbedingte Mangelsituationen, erhebliche Stressfaktoren (z.B. Transport, Umstallung, Lärm), Eintritt der Geschlechtsreife sowie Mykotoxinosen aus.
Klinik
Die klinische Ausprägung einer Gallisepticum-Mykoplasmose hängt einerseits von der Anzahl der aufgenommenen Bakterien, andererseits von der Virulenz der beteiligten Erregerstämme und den weiteren belastenden infektiösen sowie nicht-infektiösen Faktoren ab. Zusätzliche Sekundärinfektionen können sowohl die Klinik als auch die Pathologie erheblich verkomplizieren.
Infektionen mit Mycoplasma gallisepticum verursachen Erkrankungen des oberen bis mittleren Respirationstrakts. Komplizierte Krankheitsverläufe gehen mit einer Beteiligung der Lungen, Lucktsäcke und den gesamten serösen Häuten der inneren Organe einher. Pathognomonisch ist ein ein- oder beidseitiges Anschwellen des Sinus infraorbitalis (Putensinusitis). Erkrankte Tiere leiden an Atembeschwerden mit niesend-krächzenden Atemgeräuschen sowie Augen- und Nasenausfluss. Mit fortschreitender Krankheit werden die Vögel zunehmend apathisch, sie bewegen sich nur ungern und halten die Augen vermehrt geschlossen. Sie entwickeln ein erhöhtes Wärmebedrüfnis und es kommt zu einer deutlichen Legeleistungsdepression.
Pathohistologie
Der obere bis mittlere Respirationstrakt ist von einer katarrhalischen Entzündung geprägt. Bei einer Beteiligung der Lunge und Luftsäcke entwickelt sich eine Bronchopneumonie sowie eine adhäsive fibrinöse Aerosacculitis und Serositis.
Diagnose
Die Diagnose von Mykoplasmosen erfolgt entweder indirekt (durch den Nachweis spezifischer Serumantikörper, mithilfe verschiedener ELISA-Systeme oder mittels Hämagglutinationshemmtest) sowie direkt mithilfe einer PCR. Letztere hat die kulturelle Anzucht (äußerst schwierig und zeitaufwendig) aufgrund der hohen Spezifität und Sensitivität als Goldstandard abgelöst.
Therapie
Die Bekämpfung aviärer Mykoplasmosen beruht auf folgenden drei Strategien:
- Schaffung und Überwachung Mykoplasmen-freier Basiszuchten und Elterntiere
- Impfung von Puten und Legehennen im Endproduktbereich
- bei Bedarf antibiotische Therapie
Durch strikte Bekämpfungsmaßnahmen konnten in den USA und in Europa weitgehend Mykoplasmen-freie Basiszuchten sowie Elterntiere erreicht werden. Der vertikale Infektionsweg wurde auf diese Weise wirkungsvoll unterbrochen. Im Gegensatz dazu ist eine Mykoplasmen-Freiheit in den Endproduktherden wenig realistisch, weshalb diese Betriebe vorrangig mit Impfungen (v.a. autogene sowie Inaktivat- und Lebendimpfstoffe) und bei Bedarf auch mit Antibiotika (v.a. Tetrazykline, Makrolide, Tiamulin oder Fluorchinolone) behandelt werden müssen.
Literatur
- Rautenschlein S, Ryll M. 2014. Erkrankungen des Nutzgeflügels. 1. Auflage. Stuttgart: UTB Verlag GmbH. ISBN: 978-3-8252-8565-5
- Siegmann O, Neumann U (Hrsg.) 2012. Kompendium der Geflügelkrankheiten. 7., überarbeitete Auflage. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN: 978-84268333-4
- Mayr A, Rolle M. Mayr A (Hrsg.). 2007. Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. 8., überarbeite Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1060-7