Pyelonephritis
Synonyme: Nierenbeckenentzündung, interstitielle destruierende Nephritis
Englisch: pyelonephritis
Definition
Eine Pyelonephritis ist eine Entzündung des Nierenbeckens mit Beteiligung des Nierenparenchyms, die meist durch eine aszendierende bakterielle Harnwegsinfektion verursacht wird. Sie kann akut oder chronisch-rezidivierend auftreten.
Hintergrund
Eine Pyelonephritis kann einseitig oder beidseitig (seltener) auftreten. Ihre Abgrenzung von einem schweren Harnwegsinfekt ist schwierig. Pyelonephritiden sind die häufigsten bakteriellen Nierenerkrankungen im Erwachsenenalter. Escherichia coli kann in ca. 75 % der Fälle in Deutschland als Erreger identifiziert werden.
Einteilung
...nach Verlauf
- akute Pyelonephritis
- chronische Pyelonephritis
…nach Komplexität
- einfache Pyelonephritis
- komplexe Pyelonephritis
...nach Pathologie
...nach Ursache
- deszendierende Pyelonephritis
- aszendierende Pyelonephritis
Entstehung
Zumeist liegt eine aszendierende Harnwegsinfektion vor. Uropathogene Bakterien (v.a. uropathogene Escherichia coli) aus Harnröhre oder Blase steigen über die Ureteren bis ins Nierenbecken auf. Seltener erfolgt eine hämatogene Streuung, die zu einer hämatogen-deszendierenden Pyelonephritis führt. Wichtige mikrobielle Virulenzfaktoren sind P-Fimbrien (Pap/P-Pili) und Typ-1-Fimbrien, die Adhäsion und Nierenkolonisation ermöglichen.
Neben Escherichia coli können weitere typische Erreger auftreten, darunter Kokken, Klebsiellen, Enterobacteriaceae oder Proteus.
Risikofaktoren
Wesentliche Risikofaktoren sind:
- weibliches Geschlecht (anatomisch kürzere Harnröhre)
- sexuelle Aktivität
- Schwangerschaft
- Urolithiasis
- Benigne Prostatahyperplasie
- Fehlbildungen
- Analgetikaabusus
- Morbus Crohn o.a. chronische Darmentzündung
- Vesikoureteraler Reflux (VUR, insb. bei Kindern)
- Harnabflussstörungen (Steine, Prostatahyperplasie, mechanische Obstruktion)
- neurogene Blasenentleerungsstörung
- Dauerkatheter (DK)
- Immunsuppression
- Diabetes mellitus (prädispositioniert komplexe und emphysematöse Form)
- vorangehende/rezidivierende Harnwegsinfektionen
Symptomatik
Akute Pyelonephritis
Plötzlich einsetzende Erkrankung mit schwerem Krankheitsgefühl:
- Fieber
- Schüttelfrost
- Dysurie, ggf. Pollakisurie
- Flankenschmerzen mit klopfschmerzhaftem Nierenlager
- ggf. gürtelförmige Schmerzen wie bei einer Pankreatitis
- ggf. Rückenschmerzen
Chronische Pyelonephritis
Schleichender oder schubweiser Verlauf mit uncharakteristischen Symptomen wie:
- Müdigkeit und Abgeschlagenheit
- subfebrile Temperaturen
- Übelkeit und Brechreiz
- Gewichtsabnahme
- Pollakisurie
- progrediente Niereninsuffizienz
Pathohistologie
Akute Pyelonephritis
- interstitielle Entzündung
- sog. Abszessstraße: streifenförmige Granulozyten-Infiltrate
- Tubuli mit Granulozytenzylindern und Eiteransammlung
- vakuoläre Degeneration der Tubulusepithelien
Chronische Pyelonephritis
- Entzündungsherde mit Granulationsgewebe und Parenchymdefekten
- Tubulusatrophie
- Tubulus- und Glomerulusfibrosen → hyalinisierte Glomeruli
- "Thyreodisation": erweiterte Tubuli mit kolloidartigem, eosinophilen Inhalt (Stauung und Proteinresorption)
- bei diabetischen/immundefizienten Patienten ggf. gasbildende (emphysematöse) Nekroseherde
Komplikationen
Die chronische Pyelonephritis führt zum fortschreitenden Verlust von funktionellem Nierengewebe bis zur Niereninsuffizienz. Typischerweise entwickeln sich folgende Komplikationen:
- Nierenabszess: fokale oder perinephritische Eiteransammlung, ggf. drainagepflichtig
- Emphysematöse Pyelonephritis: gasbildende, nekrotisierende Infektion, vor allem bei Diabetes mellitus
- Urosepsis
- Akutes Nierenversagen: funktioneller oder parenchymaler Schaden
- Chronische Niereninsuffizienz
Diagnostik
Gemäß der aktuellen AWMF-S3-Leitlinie (2023/24) sollte die Diagnostik folgende Aspekte berücksichtigen:
- Klinik: Fieber, Flankenschmerz mit klopfschmerzhaftem Nierenlager, Übelkeit/Erbrechen, diffuse Harnwegsbeschwerden, ggf. eitrige Urinbeimengungen (trübe Diurese)
- Labor: Urinstatus (insb. Leukozyten, Nitrit), Urinmikroskopie, zwingend: Urinkultur mit Erreger- und Resistenztestung, Blutkulturen bei schweren Verläufen, Entzündungsparameter (CRP, Leukozyten), Nierenfunktionsparameter (Serumkreatinin, eGFR)
- Bildgebung: Sonographie der Nieren/des Urogenitaltraktes bei Verdacht auf Komplikationen, unklarem Verlauf oder komplizierten Fällen; CT (kontrastmittelgestützt) bei Verdacht auf Abszess, emphysematöse Pyelonephritis oder bei fehlender Besserung unter adäquater Therapie
Früher häufiger durchgeführte 99Tc-DMSA-Nierenszitigrafien kommen nur noch selten zur Anwendung und gehören nicht zur Standarddiagnostik.
Therapie
Gemäß der AWMF-S3-Leitlinie (2023/24) zur Behandlung von Harnwegsinfektionen ist eine frühe, ausreichend wirksame antibiotische Therapie der Goldstandard. Die Auswahl einer geeigneten Antibiose richtet sich nach dem Antibiogramm (Urinkultur) wie auch nach der klinischen Ausprägung (ambulate perorale Antibiose vs. stationäre intravenöse Antibiose) und möglichen Resistenzen. Standardmäßig sollte für die kalkulierte Therapie einer Pyelonephritis eine Antibiose mit einer erwarteten Empfindlichkeitsrate > 90 % gewählt werden.
Je nach Verlauf und Schwere der Pyelonephritis lassen sich weitere Therapiestrategien differenzieren:
Einfache Pyelonephritis (ambulant)
Einfache (unkomplizierte) Pyelonephritiden können bei gutem Ansprechen der Erreger im Antibiogramm mit einem geeigneten Antibiotikum ambulant behandelt werden. Geeignete Wirkstoffe sind in der Praxis häufig z.B. Fosfomycin, Pivmecillinam, Trimethoprim-Sulfamethoxazol oder Cephalosporine der 2./3. Generation. Fluorchinolone sollten aufgrund steigender Fluorchinolon-Resistenzen bei Frauen sehr restriktiv nur nach klarer Indikationsstellung eingesetzt werden. Bei jüngeren Männern hingegen können sie als Erstlinientherapie empfohlen werden, falls die lokale Resistenzrate von Escherichia coli noch unter 10 % liegt.
Komplizierte Pyelonephritis (stationär)
Sowohl bei klinischer Vorstellung einer komplizierten Pyelonephritis wie auch bei Verdacht auf Urosepsis sollte sofort eine intravenöse Breitspektrumantibiose eingeleitet werden, z.B. mit Cephalosporinen der 3. Generation wie Cefotaxim/Ceftriaxon. Alternativ kann Piperacillin/Tazobactam eingesetzt werden. Bei Verdacht auf multiresistente Erreger/ESBL kommen Carbapeneme in Betracht. Die Therapie kann im Verlauf durch eine gezielte Antibiose gemäß Antibiogramm umgestellt werden.
Die Anlage eines Dauerkatheters ist für die Zeit des stationären Aufenthalts zwingend indiziert, um den Harnabfluss sicherzustellen und eine kontinuierliche Beobachtung der Diurese (u.a. Eintrübungen, Hämaturie) zu ermöglichen.
Schwangere
Unabhängig vom Verlauf oder der Komplexität sollten Schwangere stets hospitalisiert werden, um eine leitliniengerechte intravenöse Antibiose einzuleiten. Wenn möglich, sollte hier eine Therapie mit β-Lactamen (Cephalosporine, Ampicillin-Kombinationen je nach Empfindlichkeit) gewählt werden. Nach der Antibiotikatherapie sollte auch bei einer unkomplizierten Pyelonephritis bei Schwangeren stets die Erregereradikation durch eine Urinkultur verifiziert werden.
Rezidivprophylaxe
Je nach anatomischen Gegebenheiten und individuellem Risikoprofil neigen manche Patientengruppen zu häufigen Rezidiven. Die Prävention wiederkehrender Pyelonephritiden basiert auf einem gestuften Vorgehen, das zunächst nicht-antibiotische Maßnahmen priorisiert und erst bei persistierenden, gehäuften Episoden eine antibiotische Prophylaxe erwägt:
Identifikation und Behandlung prädispositionierender Faktoren
Zentral ist die Abklärung potenzieller Ursachen rezidivierender Infekte. Hierzu gehören Harnabflussstörungen (z.B. Ureterabgangsstenose, Harnsteine, Prostatahyperplasie), vesikoureteraler Reflux, neurogene Blasenentleerungsstörungen und Katheterprobleme. Die urologische Diagnostik dient der strukturierten Ausschlussdiagnostik und ggf. einer kausalen Therapie.
Nicht-antibiotische Maßnahmen
- Hydratation und Miktion: ausreichende Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Blasenentleerung, insbesondere postkoital
- Lokale Östrogentherapie bei postmenopausalen Frauen: nachgewiesener Effekt auf die Senkung von HWI-Rezidiven durch Wiederherstellung der vaginalen Laktobazillenflora
- Verhalten und Hygiene: Vermeidung einer übertriebenen Intimhygiene, die die Schutzflora beeinträchtigen kann; korrekte Wischtechnik; ggf. Anpassungen bei spermizidhaltigen Kontrazeptiva
- Adjuvante Optionen: Präparate wie Cranberry-Extrakte, D-Mannose oder immunmodulatorische Lysatpräparate zeigen heterogene, teils moderate Evidenz, können aber begleitend in Erwägung gezogen werden
Antibiotikaprophylaxe
Bei gehäuften, klinisch relevanten Infekten trotz optimierter nicht-antibiotischer Maßnahmen kann eine zeitlich begrenzte Antibiose erwogen werden:
- Postkoitale Prophylaxe: sinnvoll, wenn Infekte eindeutig im zeitlichen Zusammenhang mit sexueller Aktivität stehen
- Kontinuierliche Niedrigdosis-Prophylaxe: für ausgewählte Patienten über mehrere Monate möglich; die Indikation sollte regelmäßig überprüft und die Prophylaxe nach Möglichkeit wieder beendet werden
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Bildquellen
Literatur
- AWMF S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen“. Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V., 2024.