Vertebralisdissektion
Englisch: vertebral artery dissection, VAD
Definition
Die Vertebralisdissektion, kurz VAD, ist eine Aufspaltung der Gefäßwand der Arteria vertebralis mit Eindringen von Blut zwischen die Wandschichten. Das resultierende intramurale Hämatom verengt oder verschließt in der Folge das Gefäßlumen. Seltener bildet sich ein dissektionsbedingtes Aneurysma.
Epidemiologie
Zervikale Arteriendissektionen gehören zu den wichtigsten Ursachen ischämischer Schlaganfälle bei jüngeren Erwachsenen. Die Inzidenz der Vertebralisdissektion liegt bei etwa 1 pro 100.000 Personen pro Jahr.[1] Betroffen sind häufig Personen unter 50 Jahren. Es kommen sowohl spontane als auch traumatische Formen vor.
Ätiologie
Die Vertebralisdissektion zählt zu den extrakraniellen Dissektionen der hirnversorgenden Arterien.
Spontane Dissektionen entstehen überwiegend bei struktureller Gefäßwandvulnerabilität, wie sie bei fibromuskulärer Dysplasie und hereditären Bindegewebserkrankungen vorkommt. Hypertonie, Migräne und Nikotinkonsum sind begünstigende Faktoren.
Traumatische Dissektionen entstehen nach stumpfer Gewalteinwirkung, abrupten Rotationsbewegungen oder Manipulationen der Halswirbelsäule. Seltener treten iatrogene Läsionen im Rahmen operativer Eingriffe auf.
Pathogenese
Ein Intimariss oder eine Einblutung aus den Vasa vasorum ermöglicht das Eindringen von Blut in die Media. Das intramurale Hämatom verdrängt das Gefäßlumen und führt zu einer Stenose bis hin zum Verschluss. Die resultierende Perfusionsminderung kann ischämische Läsionen im vertebrobasilären Versorgungsgebiet verursachen.
Zusätzlich begünstigt die irreguläre Gefäßwand die Thrombenbildung mit embolischem Schlaganfallrisiko. Bei persistierender Wandinsuffizienz kann ein dissektionsbedingtes Aneurysma bestehen bleiben.
Klinik
Leitsymptom ist ein akut einsetzender, meist einseitiger Nacken- oder Hinterkopfschmerz ohne eindeutige muskuläre oder spondylogene Ursache. Er kann den neurologischen Defiziten Stunden bis Tage vorausgehen.
Ischämische Komplikationen äußern sich durch Schwindel, Ataxie, Dysarthrie, Dysphagie, Sensibilitätsstörungen sowie weitere Hirnstamm- oder Kleinhirnsymptome. Ein ipsilaterales Horner-Syndrom ist möglich, aber weniger typisch als bei der Carotisdissektion. Manche Dissektionen sind initial monosymptomatisch und präsentieren sich ausschließlich durch Kopfschmerz.
Diagnostik
Die Diagnostik stützt sich auf den Nachweis der Gefäßwandläsion in der Bildgebung. CT-Angiografie und MR-Angiografie sind Standardverfahren der Akutdiagnostik. Die MRT mit T1-gewichteten Sequenzen und Fettunterdrückung (z.B. CHESS) ist besonders sensitiv für intramurale Hämatome und eignet sich gut zur Bestätigung.
Die digitale Subtraktionsangiografie bleibt der Goldstandard der Lumenbeurteilung, wird aber vorrangig bei unklarer Befundlage oder geplanter Intervention eingesetzt. Die Duplexsonografie erlaubt eine hämodynamische Einschätzung und die Verlaufsbeurteilung, ist jedoch anatomisch limitiert.
Differentialdiagnosen
Differentialdiagnostisch kommen muskuloskelettale Nackenschmerzen, zervikale Radikulopathien, Migräne, Cluster-Kopfschmerz, entzündliche Gefäßerkrankungen sowie zerebrovaskuläre Ereignisse wie Embolien oder Thrombosen in Betracht.
Therapie
Ziel der Therapie ist die Prävention ischämischer Ereignisse und die Stabilisierung der Gefäßsituation. In unkomplizierten Fällen erfolgt in der Regel eine konservative Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmung. Bei erhöhtem embolischen Risiko oder nach ischämischem Schlaganfall kann eine zeitlich begrenzte Antikoagulation erwogen werden.
Interventionelle oder chirurgische Maßnahmen sind seltene Ausnahmeindikationen, etwa bei persistierender hämodynamischer Relevanz, progredienten Symptomen oder komplexen Dissektionaneurysmen. Im akuten Schlaganfall gelten die etablierten Reperfusionsstrategien wie Thrombolyse und mechanische Thrombektomie.
Prognose
Der Verlauf ist in den meisten Fälle günstig. Es kommt innerhalb von Wochen bis Monaten zu einer Resorption des Wandhämatoms mit teilweiser oder vollständiger Rekanalisation. Persistierende Dissektionaneurysmen bleiben meist stabil und sind nur selten rupturgefährdet. Unter adäquater Therapie ist das Risiko eines erneuten ischämischen Ereignisses gering. Rezidivdissektionen treten selten auf, sind jedoch bei Patienten mit zugrunde liegenden Bindegewebserkrankungen häufiger.
Literatur
- Debette S, Leys D. Cervical-artery dissections: predisposing factors, diagnosis, and outcome. Lancet Neurol. 2009;8(7):668-678. doi:10.1016/S1474-4422(09)70084-5
- Yaghi S, Engelter S, Del Brutto VJ, et al. Treatment and Outcomes of Cervical Artery Dissection in Adults: A Scientific Statement From the American Heart Association. Stroke. 2024;55(3):e91-e106. doi:10.1161/STR.0000000000000457
Quellen
- ↑ Schievink WI. Spontaneous dissection of the carotid and vertebral arteries. N Engl J Med. 2001;344(12):898-906. doi:10.1056/NEJM200103223441206