Levator-Avulsion
Synonyme: Levatorabriss, Levatorruptur
Englisch: levator avulsion
Definition
Eine Levator-Avulsion bezeichnet die partielle oder vollständige Ablösung des Musculus levator ani vom Schambein (Os pubis), häufig als Folge eines vaginalen Traumas, insbesondere während der Geburt. Sie stellt eine strukturelle Schädigung des Beckenbodens dar und kann zu funktionellen Einschränkungen führen.
Epidemiologie
Die Inzidenz liegt bei 20 bis 40 % nach vaginaler Geburt.
Ätiopathogenese
Die Levator-Avulsion tritt kann durch einen übermäßigen Dehnungsstress oder direkte mechanische Belastung der Muskeln und ihrer Ansatzstellen ausgelöst werden.
Risikofaktoren umfassen:
- Erstgebärende
- verlängerte Austreibungsperiode
- instrumentelle Entbindungen: insbesondere die Zangengeburt
- Makrosomie des Neugeborenen
- Episiotomie
- Kristeller-Handgriff
- Verletzungen der analen Darmschließmuskeln
- Alter der Mutter > 35 Jahre
- hoher BMI der Mutter
Pathophysiologie
Meist reißt der Musculus puborectalis einseitig von der Innenseite des Os pubis am vorderen Beckenring ab. Dadurch kommt es zu einer Schwächung oder vollständigen Dysfunktion des Beckenbodens. Der Verlust der mechanischen Unterstützung der Beckenorgane (Harnblase, Uterus, Rektum) erhöht die Anfälligkeit für Senkungsbeschwerden wie Prolaps, Inkontinenz und chronische Beckenbodenschmerzen.
Klinik
Patientinnen mit Levator-Avulsion können folgende Symptome aufweisen:
- vaginaler Druck oder Schweregefühl
- Harn- oder Stuhlinkontinenz
- Prolaps der Beckenorgane (z.B. Zystozele, Rektozele)
- Dyspareunie
- weite, schlaffe Vagina, insbesondere beim Sex bis hin zum Lost-Penis-Syndrom
- chronische Schmerzen im Beckenbodenbereich
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt klinisch und radiologisch:
- Anamnese: Geburtstrauma, Symptome wie Inkontinenz oder Prolapsbeschwerden.
- Klinische Untersuchung: Palpation des Beckenbodens und Beurteilung des Beckenbodentonus sowie des Schweregrads eines möglichen Prolaps
- Radiologie:
- Ultraschall: mittels 3D-/4D-transperinealer oder translabialer Ultraschall kann eine Unterbrechung im Ansatz der Muskulatur dargestellt werden
- Magnetresonanztomographie (MRT): Hochauflösende Darstellung der Beckenbodenmuskulatur und angrenzender Strukturen, insbesondere zur Beurteilung von Begleitpathologien. Die dynamische Beckenboden-MRT ermöglicht eine funktionelle Beurteilung während der Belastung.
Therapie
Die Behandlung der Levator-Avulsion richtet sich nach den Symptomen:
- Konservative Therapie:
- Beckenbodentraining unter physiotherapeutischer Anleitung
- Elektro- und Magnetfeldstimulation
- Biofeedback-Therapie
- frühe postpartale Pessartherapie in den ersten drei Monaten nach Geburt
- Operative Therapie: Rekonstruktive Beckenbodenchirurgie und Prolaps-Chirurgie, z.B.:
- Levatorplastik (z.B. Zugang über das Septum rectovaginale und Annähen des Muskelansatzes am Symphysenast)
- Implantation von Beckenbodennetzen
- Sakrokolpopexie
Prognose
Bis zu 50 % der Avulsionen heilen spontan ab. In diesen Fällen handelt es sich meist um Teilavulsionen oder um Hämatome, die resorbiert werden.
Prävention
Präventive Maßnahmen umfassen:
- Optimierung der Geburtsbedingungen, wie z.B. Einsatz von Dammschutztechniken
- Begrenzung vaginal-operativer Eingriffe
- Präventives Beckenbodentraining bereits in der Schwangerschaft
- Frühzeitige Anleitung zu postnatalem Beckenbodentraining
- Aufklärung und Überwachung von Risikogruppen
Literatur
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- Kamisan Atan I et al; ProLong Study Group. Levator ani muscle avulsion: Digital palpation versus tomographic ultrasound imaging. Int J Gynaecol Obstet. 2022
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