Hirntumor
Synonym: Gehirntumor
Englisch: brain tumor
Definition
Hirntumor ist eine Sammelbezeichnung für gutartige oder bösartige Tumoren, die vom Gehirngewebe ausgehen. Im weiteren Sinn werden alle Tumoren, die innerhalb der Schädelhöhle wachsen, als Hirntumore bezeichnet - einschließlich der Metastasen extrakranieller Tumoren.
Pathophysiologie
Hirntumoren wachsen in einem geschlossenen Raum, der Schädelhöhle, die der Expansion des Tumors und den Ausweichbewegungen der Nachbargewebes enge Grenzen setzt. Bei Hirntumoren ist daher nicht nur die direkte Zerstörung des Gewebes durch das Tumorwachstum, sondern auch die Umgebungsreaktion ein wichtiger Faktor:
- Je maligner der Tumor, desto größer ist das die Raumforderung umgebende perifokale Ödem. Es kann den Volumeneffekt des Tumors außerordentlich vergrößern und die Symptomatik aggravieren. Intrazerebrale Metastasen besitzen in der Regel ein sehr ausgeprägtes Ödem.
- Die Raumforderung durch den Tumor kann die Liquorräume verengen und dadurch zu Störungen der Liquorzirkulation bzw. Liquorresorption führen.
Nach dem Aufbrauchen der intrakraniellen Reserveräume steigt der Hirndruck exponentiell an (Monro-Kellie-Doktrin). Dies macht sich klinisch durch die Hirndruckzeichen bemerkbar. Im weiteren Verlauf kann es zu charakteristischen Massenverschiebungen (z.B. Midlineshift), Herniationen und Einklemmungssymptomen kommen.
Einteilung
Einteilung nach WHO
Eine Einteilung der Hirntumoren kann man nach der WHO-Klassifikation der ZNS-Tumoren vornehmen, die in der 5. Auflage von 2021 vorliegt. Sie basiert auf histologischen, immunhistochemischen und molekularbiologischen Eigenschaften der Tumoren. Dadurch kann eine Therapie besser angepasst werden.
Einteilung nach Lokalisation
Nach ihrer Lokalisation kann man Hirntumoren grob unterteilen in:
- supratentorielle Tumoren und
- infratentorielle Tumoren
Diese Unterscheidung ist insofern von Bedeutung, dass infratentorielle Tumoren in einem sehr beengten Raum, der hinteren Schädelgrube, wachsen.
Pathohistologie
Nach der alten WHO-Klassifikation von 2016 wurden Hirntumoren übergreifend in 4 Malignitätsgrade eingeordnet:
- WHO Grad I: Benigne Tumoren – kurative Therapie ist durch operative Resektion der Raumforderung möglich. Beispiel: Schwannom
- WHO Grad II: Benigne Tumoren – dennoch infiltratives Wachstum und Gefahr der Destruierung von umliegendem Gewebe. Neigung zu Rezidiven. Bei entsprechender Therapie keine Einschränkung der Lebenszeit. Beispiel: Oligodendrogliom
- WHO Grad III: Maligne Tumoren – Verminderung der Lebenszeit ist sehr wahrscheinlich. Beispiel: anaplastisches Astrozytom
- WHO Grad IV: Hochmaligne Tumoren – signifikante Verkürzung der Lebenszeit. Häufig keine effektive Therapie möglich (aufgrund der Lage). Beispiel: Glioblastom
Dieses Gradierungsschema ist in der 5. Auflage der WHO-Klassifikation weitgehend verändert worden. Das Grading erfolgt nun – wie allgemein in der Onkologie üblich – jeweils innerhalb einer Tumorentität, d.h. jeder Tumor wird anhand seiner eigenen Merkmale eingestuft. Entsprechend kann die niedriggradige Version eines bestimmten Hirntumors aggressiver sein als die höhergradige Version eines anderen Hirntumors. Weiterhin werden die römischen Ziffern durch arabische ersetzt.
Allerdings ist diese neue Systematik nicht ganz konsistent. So hat das IDH-mutierte Astrozytom keinen Grad 1, während das IDH-Wildtyp-Glioblastom ausschließlich als Grad 4 vorkommt. Um diese Unterschiede zum Grading anderer Tumoren zu verdeutlichen, sollte deshalb vom "ZNS-WHO-Grad" gesprochen werden.
Symptomatik
Allgemeine Symptome
Die meisten Tumoren wachsen langsam, weshalb das Gehirn die Volumenzunahme relativ lange ohne Funktionsausfälle tolerieren kann. Erst bei einer Dekompensation werden Raumforderungen symptomatisch. Sie äußern sich unter anderem durch folgende Symptome:
- Hirndruckzeichen
- Kopfschmerzen
- Nausea
- Erbrechen, v.a. morgens, schwallartig
- Vigilanzminderung
- Krampfanfälle
- Wesensänderung
- Sehstörungen
- Stauungspapille (selten)
Hirndruckzeichen bei infratentoriellen Tumoren häufiger und früher auf.
Neurologische Ausfälle
Ungefähr 2/3 aller Gehirntumoren werden zuerst durch die neurologische Symptomatik auffällig. Diese kommt durch direkte Destruktion von Nervengewebe oder durch Begleiterscheinungen des Tumors wie mechanischer Druck, perifokales Ödem oder Tumoreinblutungen zustande.
Die Symptomatik gibt Hinweise auf die Lokalisation der Tumoren:
Supratentorielle Tumoren
Infratentorielle Tumoren
- Hirnstamm
- kombinierte Hirnnervenausfälle
- Störungen der langen Bahnen, v.a. der Pyramidenbahn
- Kleinhirn
- Intentionstremor
- Dysmetrie
- extremitätenbetonte Ataxie
- rumpfbetonte Ataxie (Vermis)
- breitbasiger Gang (Vermis)
- Dysarthrie
- Nystagmus
- Dysdiadochokinese
Differentialdiagnose
Als Differentialdiagnosen kommen vor allem andere intrakranielle Raumforderungen oder neurodegenerative Erkrankung in Betracht, z.B.
- chronisches Subduralhämatom, besonders bei älteren Patienten unter Antikoagulation
- Gehirnblutung oder Hirninfarkte, besonders bei perakutem Auftreten der Symptomatik
- Multiple Sklerose
Diagnostik
Im Vordergrund stehen bildgebende Verfahren, mit denen die Lokalisation und Ausdehnung des Tumors bestimmt werden kann. Dabei kommen immer häufiger auch aus den Schichtaufnahmen errechnete 3D-Darstellungen zum Einsatz.
- CT
- MRT (bessere Weichteilauflösung)
- Röntgennativaufnahmen des Schädels zum Ausschluss von kranialen Osteolysen
- SPECT und PET
- Angiographie
Zusätzlich kommen EEG und Liquordiagnostik in Frage.
Therapie
Die Therapie von Hirntumoren ist meist diffizil. Sie muss dem Patienten und seiner Tumorart individuell angepasst werden. Grundsätzlich bestehen folgende Möglichkeiten: