Biotinmangel
Definition
Biotinmangel ist eine Form des Vitaminmangels, der das zur Vitamin-B-Gruppe gehörende Biotin betrifft.
Physiologie
Biotin spielt eine wichtige Rolle als prosthetische Gruppe zahlreicher Carboxylasen und ist somit an einer Reihe biochemischer Reaktionen im Körper beteiligt. Auch im Zellkern übernimmt Biotin mit der Modifizierung von Histonen eine entscheidende Rolle.
Vorkommen
Biotin kommt in hoher Konzentration in Leber, Hefe und im Eigelb vor. Wichtige Biotinquellen sind Milch-, Vollkorn-, Sojaprodukte, Blumenkohl, Bohnen und Hülsenfrüchte. Es wird aber auch von den körpereignen Darmbakterien synthetisiert. Ob dieses Biotin jedoch verwertet werden kann, ist aktuell (2019) unklar.
Bedarf
Der Tagesbedarf für Biotin liegt vermutlich bei ca. 30 bis 70 µg.
Ätiologie
In Deutschland beträgt die durchschnittliche Tageszufuhr von Biotin ca. 100 bis 300 µg. Entsprechend ist ein alimentär bedingter Mangel in Industrieländern sehr selten.
Ein subklinischer Mangel kann labordiagnostisch häufig bei Schwangerschaft, Alkoholismus, partieller Gastrektomie, Achlorhydrie, Verbrennungen, alten Menschen und Extremsportlern gefunden werden. Ob dies Auswirkungen auf die Gesundheit hat, ist aktuell (2019) nicht geklärt.
Mögliche Ursachen eines manifesten Mangels sind:
- Verzehr großer Mengen von rohen Hühnereiern (mehrere pro Tag): Das rohe Hühnereiweiß enthält das Glykoprotein Avidin, das Biotin im Darm bindet und seine Resorption blockiert; werden die Eier erhitzt, denaturiert Avidin und wird unschädlich gemacht.
- extreme Mangelernährung (z.B. bei langjährigem Alkoholismus)
- Dünndarmverkürzung (verminderte Resorption)
- langdauernde parenterale Ernährung (ohne Biotinzusatz), insbesondere beim Kurzdarmsyndrom
- Hämodialyse
- langdauernde Therapie mit Antikonvulsiva, v.a. Primidon und Carbamazepin (verminderte Resorption, gesteigerter Umsatz)
- langdauernde Einnahme von Antibiotika (mangelnde Resorption, gestörte Synthese von Biotin in der Darmflora)
- Einnahme von Valproat bei Kindern (verminderte Resorption)
- angeborene Störungen des Biotinstoffwechsels (multipler Carboxylasemangel):
- angeborener Biotinidase-Mangel
- angeborener Halocarboxylase-Synthetase-Mangel
Symptome
Bei Kindern, meist bei angeborener Genese, äußert sich ein Biotinmangel in Form einer schuppigen Dermatitis überwiegend im Bereich der Körperöffnungen (Mund, Nase, Rektum) und einer reversiblen Alopezie. Im Verlauf entsteht eine Azidose mit Trinkschwäche, Erbrechen, Hypotonie, Eintrübung bis hin zum Koma. Weiterhin sind generalisierte Kampfanfälle, Entwicklungsstörungen, eine Innenohrschwerhörigkeit sowie vereinzelt eine Optikusatrophie möglich. In der MRT zeigt sich eine Atrophie der frontalen und temporalen Hirnregionen.
Bei Erwachsenen sind Übelkeit, Erbrechen, Alopezie und ebenfalls eine schuppende Dermatitis die ersten Manifestationen. Weiterhin findet sich eine Seborrhö, Mundwinkelrhagaden, Konjunktivitis und eine Fettleber. Im Verlauf kommt es schleichend zu neurologischen Symptomen: Depressive Verstimmung, Lethargie, Hyperästhesien, Parästhesien, Halluzinationen und eine Ataxie sind möglich. Auch Muskelschmerzen, Anämie und Hypercholesterinämie sind beschrieben.
Außerdem wird ein Biotinmangel wird mit dem plötzlichen Kindstod in Verbindung gebracht (1).
Weiterhin zeigen Untersuchungen einen Wirkungseffekt einer hochdosierten Biotingabe bei der multiplen Sklerose.
Diagnostik
Die Labordiagnose eines Biotinmangels kann durch eine verminderte Harnkonzentration von Biotin (oder seiner Metaboliten), eine erhöhte Urinexkretion von 3-Hydroxyisovaleriansäure (z.B. nach einer Leucin-Probe) oder der reduzierten Aktivität biotinabhängiger Enzyme in den Lymphozyten (z. B. Propionyl-CoA-Carboxylase) gestellt werden.
Normwerte sind:
- Biotin: 18 bis 77 nmol/24-h-Sammelurin
- Bisnorbiotin: 11 - 39 nmol/24-h-Sammelurin
- Biotinsulfoxid: 9 bis 19 nmol/24-h-Sammelurin
- 3-Hydroxyisovaleriansäure > 8 mmol/mol Kreatin
Für Biotin kann zwar der Serumspiegel bestimmt werden, dieser bleibt jedoch auch bei einem Mangel lange Zeit unverändert. Referenzbereiche sind:
- Normal: 200 - 800 pg/ml
- Indifferent: 100 - 200 pg/ml
- Erniedrigt: < 100 pg/ml
Therapie
Falls möglich, sollte eine Therapie der evtl. vorhandener Ursachen (z. B. Grunderkrankungen) erfolgen. Weiterhin muss Biotin substituiert werden. Empfohlene Dosierungen sind:
- 100 µg bis 5 mg pro Tag
- 5 bis 20 mg/Tag bei Biotinidase-Mangel
- 40 bis 100 mg/Tag bei Halocarboxylase-Synthetase-Mangel
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prophylaxe
- Schwangerschaft: Insbesondere im 3. Trimenon kann es leicht zu einer Unterversorgung an Biotin kommen. Ob sich tierexperimentell bestätigte teratogene Effekte eines Biotinmangels auch auf den Menschen übertragen lassen, ist aktuell (2019) noch unklar. Eine Supplementierung mit 30 µg/Tag ist zu erwägen
- brüchige Fingernägel: Einige kleine Studien haben eine Wirkung von Biotin bei brüchigen Fingernägeln dokumentiert, allerdings kann daraus keine allgemeine Empfehlung abgeleitet werden.
- Haarverlust: Ein schwerer Biotinmangel führt zu Haarverlust. Der Umkehrschluss, dass Haarverlust mit Biotin therapiert werden kann, trifft vermutlich nicht zu.