No-Reflow-Phänomen
Englisch: no reflow phenomenon
Definition
Das No-Reflow-Phänomen beschreibt das Ausbleiben einer adäquaten Reperfusion eines ischämischen Bereiches, obwohl das versorgende Gefäß erfolgreich wiedereröffnet wurde.
Hintergrund
Das Phänomen tritt vor allem im Rahmen einer perkutanen Koronarintervention (PCI) auf, kann aber auch an anderen Organsystemen beobachtet werden (z.B. Gehirn). Obwohl das Infarktgefäß angiographisch wiedereröffnet erscheint, bleibt die Perfusion im betroffenen Gewebe eingeschränkt oder aufgehoben. Im Angiogramm zeigt sich ein Stagnieren des Kontrastmittels ohne erkennbare mechanische Ursache.
Epidemiologie
Die Inzidenz liegt bei < 5 % aller kardiologischen PCI-Prozeduren. Häufiger ist das Phänomen nach PCI von stark thrombusbeladenen Läsionen, bei degenerierten Venenbypässen, nach Rotationsangioplastie oder nach mechanischer Rekanalisation bei akutem okklusiven Myokardinfarkt (OMI) und nach vorangegangener Thrombolyse.
Pathogenese
Die Entstehung des No-Reflow-Phänomens ist multifaktoriell bedingt und lässt sich in vier Hauptmechanismen gliedern:
- Distale Embolisation: Thrombus- oder Plaquebestandteile verschließen die Mikrozirkulation.
- Ischämie/Reperfusionsschaden: Durch reaktive Sauerstoffspezies, Calciumüberladung und Entzündung kommt es zur Endothelschädigung.
- Kapillare Schädigung: Strukturelle Veränderungen der Kapillaren (Ödem, Nekrose) führen zu einer Obstruktion.
- Vasospasmus: Mikrovaskuläre Vasokonstriktion trägt zusätzlich zu einer verminderten Perfusion bei.
Klinik
In der Kardiologie zeigt sich das No-Reflow-Phänomen typischerweise durch persistierende ST-Hebungen im EKG, obwohl die PCI technisch erfolgreich war. In der Koronarangiographie fällt eine fehlende oder deutlich verzögerte Kontrastmittelanflutung auf, was sich in einem TIMI-Flow < 3 oder einem niedrigen Myocardial Blush Grade (0–1) widerspiegelt. Ergänzend lassen sich im Echokardiogramm regionale Wandbewegungsstörungen nachweisen, die dem betroffenen Myokardareal entsprechen. Das Auftreten des Phänomens ist eng mit einem größeren Infarktareal, einer erhöhten Rate an ventrikulären Arrhythmien sowie einer eingeschränkten linksventrikulären Pumpfunktion verbunden und verschlechtert die Prognose der Patienten erheblich.
Therapie
Ein kausaler Therapieansatz existiert bislang (2025) nicht, die Behandlung ist multimodal:
- Pharmakologisch: intraarteriell verabreichte Vasodilatatoren (z.B. Nimodipin, Adenosin, Verapamil, Nitroprussid), Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren
- Interventionell: Aspiration von Thrombusmaterial, optimierte PCI-Technik zur Reduktion distaler Embolisation
- Präventiv: konsequente Thromboseprophylaxe, frühe Reperfusion, Begrenzung der Ischämiezeit
Literatur
- Spes et al. (Hrsg.). Facharztprüfung Kardiologie – in Fällen, Fragen und Antworten (6. Aufl.). Urban & Fischer/Elsevier. 2024 ISBN 978-3-437-21007-5.
- Stierle und Weil. (Hrsg.). Klinikleitfaden Kardiologie (8. Aufl.). Urban & Fischer Verlag (Elsevier). 2024ISBN 978-3-437-22162-0
- Lapp. Das Herzkatheterbuch: Diagnostische und interventionelle Kathetertechniken (6., unveränderte Auflage). Stuttgart: Thieme. 2022 ISBN 978-3-13-245138-4
- Kaiser und Markant. (Hrsg.). Herzkatheterlabor für Einsteiger (1. Aufl.). Springer Berlin Heidelberg. 2025 DOI: 10.1007/978-3-662-67168-9. Softcover ISBN: 978-3-662-67167-2; eBook ISBN: 978-3-662-67168-9
- Faruk und Arif. Effects of verapamil and adenosine in an adjunct to tirofiban on resolution and prognosis of noreflow phenomenon in patients with acute myocardial infarction. Minerva Cardioangiol. 62(5):389-97. Epub 2014 Apr 3. PMID: 24699550. 2014
- Stefanos et. al. Coronary Microvascular Disease Early After Myocardial Infarction: Diagnostic Approach and Prognostic Value—A Narrative Review, Biomedicines, 13, 6, (1289). 2025