Leukose (Geflügel)
Synonym: Aviäre Leukose, Geflügelleukose
Englisch: avian leukosis
Definition
Die aviäre Leukose ist die häufigste Virus-induzierte Tumorerkrankung beim Huhn, die durch spezielle Retroviren (Retroviridae) verursacht wird.
Allgemein
Vertreter der Gattung Alpharetrovirus können neben Leukosen auch Sarkome induzieren, weshalb man bei diesen Erregern auch von aviären Leukose-/Sarkom-Viren (ALSV bzw. L/S-Gruppe) spricht. Abhängig von den jeweiligen viralen Onkogenen führen diese Erreger zu unterschiedlichen Neoplasien, u.a.:
Ätiologie
Innerhalb der L/S-Gruppe kommt am häufigsten das aviäre Leukosevirus (ALV) vor, das als Auslöser der aviären Leukose gilt. Die antigenen Unterschiede innerhalb der aviären Leukoseviren sind durch die Oberflächenstruktur der Virushülle (Glykoproteine) bedingt. Diese werden von einem dominanten autosomalen Gen der Zelle kodiert und tragen so maßgeblich zur spezifischen Bindung des Virus an die Rezeptoren der Zelloberfläche bei. Anhand der Oberflächenstrukturen können beim Nutzgeflügel bisher sechs Subgruppen unterschieden werden (A bis E sowie J), während die Subgruppen F bis I für endogene ALV anderer Vogelarten reserviert sind. Das für das Huhn am häufigsten vorkommende ALV wird der Subgruppe A zugeordnet.
ALV A besitzt - ähnlich wie viele Retroviren - eine hohe Mutationsrate und kann sich auch mit dem endogenen ALV der Subgruppe E rekombinieren. Durch die Mutation kommt es zu neuen ALV-Rekombinanten im Feld, z.B. Rekombinante aus ALV-C, ALV-E und ALV-J. Rekombinanten können auch aus unterschiedlichen exogenen ALV-Stämmen verschiedener Subgruppen entstehen, z.B. ALV A/J.
Epidemiologie
Es muss davon ausgegangen werden, dass ALV sowohl in kommerziellen Geflügelbeständen als auch in Hobbybeständen weit verbreitet ist. Trotz einer Infektion bleiben die meisten Tiere zeitlebens tumorfrei (Inzidenz von ca. 12 %). Die verschiedenen Virusstämme zeigen dabei ein variables Tumorspektrum.
Neben dem Virusstamm bestimmen v.a. auch die Virusdosis, das Alter, das Geschlecht und die Genetik des Tieres das Tumorspektrum. Viele der zur Gruppe der ALV gehörenden Erreger besitzen gleichzeitig auch immunsuppressive Eigenschaften.
Pathogenese
Infektionen finden vorwiegend vertikal (transovariell) statt. Die horizontale Erregerübertragung ist eher von untergeordneter Bedeutung. Infizierte Hühner scheiden das Virus entweder dauernd oder intermittierend über verschiedene Sekrete und Exkrete aus, u.a. über den Speichel und den Kot. Zusätzlich werden die Viren auch mit den Eiern abgegeben.
Bei der Virusverbreitung kann zwischen einer vertikal-genitalen sowie einer vertikal-germinalen (Provirus ist in das Wirtsgenom integriert) Übertragung unterschieden werden. Während diese Übertragungswege zu immuntoleranten, permanent virämischen Trägertieren führen, induziert die horizontale Übertragung eine Antikörperbildung. Dabei reduzieren zirkulierende Antikörper sowohl die Virusausscheidung als auch die Tumorentwicklung.
Klinik
Unter Berücksichtigung der Infektionsempfänglichkeit und Krankheitsresistenz der Tiere kommt es trotz hoher Infektionsrate meistens nur bei vereinzelten Tieren zu klinisch manifesten Erkrankungen mit Todesfolge. Die Symptome können jedoch stark variieren, sodass zwischen einer akut-transformierenden und einer langsam-transformierenden ALV unterschieden wird.
Akut-transformierende Viren tragen zwar ein virales Onkogen im Genom, sind jedoch replikationsdefizient und benötigen daher ein entsprechendes Helfervirus. Im Gegensatz dazu tragen langsam-transformierende ALV kein virales Onkogen in sich, sind jedoch deutlich replikationskompetenter. Diese Viren induzieren Tumoren, indem sie das virale Genom in das Wirtsgenom in Bereiche integrieren, die eine Aktivierung der zellulären Onkogene bewirken. Kommt es zu einer Tumorentwicklung, entstehen nach einer 4- bis 5-wöchigen Latenzzeit die ersten tumorösen Veränderungen - v.a. in den Zellen Bursa cloacalis. Diese kleinen Tumoren können sich entweder selbstständig zurückbilden oder auch ausgeschwemmt werden, um sich dann in anderen Organen (z.B. Leber, Milz oder Nieren) als Metastasen mit makroskopisch erkennbaren Tumoren nieder zu lassen. Dieser Krankheitsverlauf endet in der Regel tödlich. Betroffene Hühner können dabei aber auch gleichzeitig unterschiedliche Arten von Tumoren aufweisen.
Diagnose
Die Diagnostik erfolgt unter der Berücksichtigung des Alters (Abgrenzung zur Marek-Krankheit), der Lokalisation des Tumors bzw. der Tumore sowie der Charakteristiken der Tumorzellen (spezifische Marker für B-Zellen).
Für die Klassifizierung einer SPF-Herde kommen virologische, serologische (v.a. ELISA) und molekularbiologische (z.B. RT-PCR) Diagnoseverfahren zum Einsatz.
Therapie
Derzeit (2021) sind keine kausalen Therapiemöglichkeiten verfügbar. Da auch keine Impfstoffe erhältlich sind, ist die Eradikation von ALV im Großeltern- und Elterntierbereich die wichtigste Bekämpfungsstrategie.
Literatur
- Rautenschlein S, Ryll M. 2014. Erkrankungen des Nutzgeflügels. 1. Auflage. Stuttgart: UTB Verlag GmbH. ISBN: 978-3-8252-8565-5
- Siegmann O, Neumann U (Hrsg.) 2012. Kompendium der Geflügelkrankheiten. 7., überarbeitete Auflage. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN: 978-84268333-4
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